Mensch - Maschine

Noch sehen sie nicht aus wie wir. Aber sie sind uns schon ganz schön ähnlich. Roboter erobern die Welt

27.04.2016 UPDATE: 04.05.2016 06:00 Uhr 5 Minuten, 4 Sekunden
Mensch - Maschine

Der Armar und sein Erfinder: Tamim Asfour forscht am Karlsruher KIT mit und über Roboter.

Von Kirsten Baumbusch

Der Traum ist fast so alt wie die Menschheit selbst: Maschinen zu bauen, die Arbeit abnehmen und das Leben leichter machen. Das Ziel rückt nah und näher, beispielsweise in Karlsruhe. Dort hat sich Professor Tamim Asfour auf den Weg gemacht, diesen Menschheitstraum Wirklichkeit werden zu lassen. Der ursprünglich aus Syrien stammende Wissenschaftler forscht am Karlsruher Institut für Technologie über humanoide Roboter und baut sie selbst.

Eine ganze Familie ist seit seiner Doktorarbeit entstanden. Zum Beispiel Armar-III. Der ist gerade schwer beschäftigt. Seine Ventile schnarren. Er muss Frühstück machen in der Karlsruher Versuchsküche. Dazu holt der etwa 1,70 Meter große und 140 Kilo schwere Kerl aus Metall die Milch und den gewünschten Saft aus dem Kühlschrank, stellt Tassen und Teller auf den Tisch und räumt anschließend das Geschirr ohne Murren in die Spülmaschine.

Dank seiner vier Kameras findet er sich prima zurecht. Die Hände verfügen über sensible Sensoren, die harte von weichen Gegenständen unterscheiden können. Armar erkennt Dinge und ergreift sie ganz vorsichtig, um ja nichts kaputt zu machen. Er versteht über seine Mikrofone, was gesagt wird. Antworten kann er mit seinen kleinen Lautsprechern. Seine Adern und Nerven bestehen aus Kabeln, statt Blut fließt Energie.

Zugegeben, Armars Aktionen dauern. Mit einem hektischen Familienfrühstück wäre der Maschinenmensch leicht überfordert. Dafür kann der Metallkoloss seinen Kopf fast vollständig um die eigene Achse drehen. Und dass er keine Lust hat, kommt auch nicht vor. Im Vergleich zu seinen Kollegen in der Industrie ist dieser Roboter überaus vielseitig und lernt sogar selbstständig, in dem er Menschen beobachtet. Unbekanntes untersucht er durch Drehen und Tasten, bis er sich eine Vorstellung über die Beschaffenheit gemacht hat.

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Schöne neue Welt der künstlichen Intelligenz: ein Roboter, der die Küche putzt, die Zimmer aufräumt, mit den Kindern Hausaufgaben macht, auf Oma aufpasst oder den Hund ausführt. Was manche Menschen ängstigt, bringt Tamim Asfours Augen zum Leuchten. Und manchmal macht es ihn auch ein wenig ärgerlich, dass die Deutschen so skeptisch sind. "Es kommt immer darauf an, was man daraus macht", sagt der 47-jährige Vater zweier Kinder. "Missbrauch ist theoretisch bei allem möglich. Auch das Internet hat als eine militärische Erfindung angefangen, und bei Drohnen sehen wir auch, wie alles zwei Seiten hat."

Meist zerstreuen sich die Bedenken, wenn der Hochschullehrer erklärt, dass sich an seiner Universität ein ganzes Team ausschließlich damit beschäftigt, die Folgen von Technologien abzuschätzen. Darüber hinaus treibt das Thema Verantwortung ihn um. Ob selbstfahrendes Auto oder Haushaltsroboter, das Rechtssystem muss nach Asfours Ansicht schnellstens neue Gesetze schaffen. Fehler, Missgeschicke und Unfälle passieren schließlich auch technischen Systemen - und dafür muss jemand verantwortlich zeichnen, beispielsweise der Hersteller oder der Besitzer.

Solche Fragen werden dringender, je intelligenter die Maschinen werden. Das Recht der analogen Zeit muss in die digitale Zeit überführt werden, je näher sich Mensch und Maschine kommen. Unfälle gab und gibt es bereits mit Industrierobotern, doch letztere sind vergleichsweise dumm und lernen nicht eigenständig wie die Maschinenwesen, mit denen sich die Wesen aus Fleisch und Blut in absehbarer Zeit den Lebensraum teilen sollen. Wer trägt das Risiko? Diese Frage muss laut Professor Asfour politisch geklärt werden. Er widmet sich derweilen der Grundlagenforschung.

Ganz am Rand des Campus liegt das Institut für Anthropomatik und Robotik in der Fächerstadt Karlsruhe. Anthropomatik wird hier als die Wissenschaft der Symbiose zwischen Mensch und Maschine definiert. Und tatsächlich wird die Verschmelzung beständig größer. Während die ersten Mitglieder der Armar-Familie schon längst im Münchner Deutschen Museum ihren Ruhestand genießen und die Küchenroboter Armar-II noch auf Rollen unterwegs sind, kann Armar-IV bereits gehen. Für alle gilt: Je mehr Erfahrungswissen sie sich aneignen, umso autonomer und besser werden sie.

Lange ist es her, dass Tamim als einer der zehn besten Abiturienten Syriens für ein Stipendium nach Deutschland kam. Arzt wollte er eigentlich werden, denn einen Mediziner gab es nicht in seinem Heimatdorf. Doch nach dem Deutschkurs in Heidelberg und der Zulassung zum Studium zog ihn die Elektrotechnik in ihren Bann. Regelungs- und Steuerungssysteme fesselten seine Aufmerksamkeit. Die Doktorarbeit in Informatik galt dann schon den Robotern - und zwar den menschenähnlichen, den sogenannten Androiden. Nicht von ungefähr gleichen jene in Bewegungsmustern und Anmutung dem menschlichen Vorbild. Bewegen sie sich doch in einer Umgebung, die für Menschen geschaffen ist. Langfristig werden beide unter einem Dach leben. Da ist es besser, sich quasi auf "Augenhöhe" zu begegnen. Und wer eine Schere richtig benützen will, benötigt eben fünf Finger. So wie der Roboter im Umgang mit dem Menschen lernen soll, gilt das auch umgekehrt. Es ist leichter, vorherzusehen, was der Maschinenfreund machen wird, wenn der dem Menschen möglichst ähnlich ist.

Programmieren heißt in der Karlsruher Laborküche: vormachen. Die Geräte beobachten die Bewegungen, die Menschen bei bestimmten Aktionen tun, speichern die Elemente, transferieren sie und führen sie selbst aus - künstliche Intelligenz in Reinkultur, die aus Erfahrungswissen lernt, Schlüsse zieht und sich selbst weiter entwickelt.

Ihr Herr und Meister glaubt auch nicht, dass die Maschinenmenschen eines Tages Gefühle wie Liebe, Hass, Glück oder Traurigkeit empfinden werden. Dennoch arbeitet er daran, sie im Hinblick auf Emotionen ebenfalls lernfähig zu machen. "Wenn wir in Zukunft solche Helfer bei uns zu Hause haben, wäre es schon sehr wichtig, dass sie uns nicht nerven, weil sie ständig spülen, putzen und aufräumen", meint er schmunzelnd. "Dazu müssen sie aber unseren gefühlsmäßigen Zustand und unsere Absichten erkennen". Je mehr der metallene Diener also über den menschlichen Chef weiß, desto besser wird er sich verhalten. Und dann könnte der Helfer einfach eine freundliche Miene aufsetzen, wenn das nötig scheint. Außerdem, so das Ziel, soll der Butler auch selbst erkennen, dass die Spülmaschine ausgeräumt werden oder der Boden gewischt werden müsste. Das qualifiziert sie langfristig auch zur Hilfe für Pflegebedürftige.

Bei aller Technikbegeisterung: Asfours Respekt für die Biologie wächst mit den Jahren immer mehr. Manches, was kinderleicht erscheint, ist extrem schwer nachzuahmen. Beispielsweise können Roboter dank hervorragendem Texterkennungsprogramm zwar gut lesen, aber mit Hand, Stift und Papier zu schreiben, das stellt eines der kompliziertesten Bewegungsmuster dar, die die Apparatebauer kennen.

Trotz aller Faszination für seine Armar-Familie hat sich der Blickwinkel der Karlsruher Forschungsgruppe in letzter Zeit verändert. Er entwickelt mit seinem Team Roboteranzüge, die als Kleidung getragen werden können und den Körper entweder bei schwerer Arbeit, beispielsweise über Kopf, oder bei Behinderungen unterstützen können. Auch hier kommt seine Grundüberzeugung zum Vorschein: "Roboter werden nie die Menschen ersetzen, aber sie werden sie unterstützen". Und wieder ist sein tiefer Respekt, fast Ehrfurcht, vor dem menschlichen Dasein spürbar: Wie kompliziert es ist, eine Unterstützung für eine Hüft- oder Schulterbewegung zu bauen, weil die Gelenke einfach genial "konstruiert" sind. Wie schwer es ist, einen Anzug zu schaffen, der die Absicht erkennt und als "Roboterhose" den Träger nicht in den Stuhl drückt, wenn der doch eigentlich aufstehen möchte.

"Ich habe die Vision einer inneren Haut, welche die Information über die Dynamik zwischen menschlichem Körper und Roboteranzug verwendet, um die Bewegung der Person vorherzusagen und sie dabei zu unterstützen", erklärt Tamim Asfour sein neuestes Projekt. Gut, dass er sich sicher ist, dass seine Geschöpfe kein autonomes Bewusstsein erlangen werden. Nicht auszudenken, was passieren könnte, wenn sie ihre ureigenen Ideen ausführen würden. Wie das aussehen könnte, vermag das menschliche Gehirn nicht vorherzusagen. "Ein Roboter wird erst dann wirklich autonom sein, wenn er sich - statt zur befohlenen Arbeit zu gehen - am Strand in die Sonne legt", unkt Brad Templeton, einer der Mitentwickler des selbstfahrenden Autos.

Das Dasein wird sich mit den Maschinenmenschen verändern. Nicht nur in der Arbeitswelt, sondern bald auch im Alltag. Schöne neue Welt? Das kommt wohl auf die Perspektive an. Sicher ist, dass nicht die Wissenschaft die Verantwortung für die Technologie übernehmen wird, sondern die Gesellschaft dies tun und sich deshalb damit auseinandersetzen muss. Da ist einiges zu tun. Packen wir’s an.