Inklusion: Happy End für Henri und seine Eltern

Der Junge mit Down-Syndrom aus Walldorf darf ab dem kommenden Schuljahr die Realschule besuchen

07.04.2015 UPDATE: 08.04.2015 06:00 Uhr 2 Minuten, 21 Sekunden

Für seine Eltern ist es ein Happy End: Der behinderte Henri, hier mit Mutter Kirsten Erhardt, darf die Realschule besuchen. Foto: dpa

Von Christine Cornelius und Peter Wiest

Walldorf/Stuttgart. Für Kirsten Ehrhardt muss es sich streckenweise angefühlt haben wie ein Kampf gegen Windmühlen. Monatelang verschickte sie Pressemitteilungen, telefonierte mit dem Schulamt, redete sich den Mund fusselig - ohne Erfolg, wie es zunächst schien. Sie und ihr Mann wollten das aus ihrer Sicht Beste für ihren Sohn Henri, der das Down-Syndrom hat. "Wir wollten den Weg gehen, den die anderen Kinder auch gehen dürfen", sagt die Mutter. Nachdem der heute Zwölfjährige aus Walldorf bereits seine Grundschulzeit an einer Regelschule verbracht hatte, sollte er auch mit seinen Freunden auf das örtliche Gymnasium oder die Realschule wechseln.

Doch beide Schulen sperrten sich - und das zuständige Ministerium wollte ihnen den Jungen nicht gegen ihren Willen aufzwingen. Kultusminister Andreas Stoch (SPD) empfahl Henris Eltern voriges Jahr die Werkrealschule sowie zwei Gemeinschaftsschulen in der Nähe, da diese Erfahrung mit der Einbindung behinderter Kinder hätten.

Hintergrund

> Gemeinsamer Schulunterricht von Kindern mit und ohne Behinderung soll in Baden-Württemberg zunehmend Alltag werden. Die grün-rote Landesregierung brachte im Februar einen Gesetzentwurf auf den Weg, mit dem zum kommenden Schuljahr die Sonderschulpflicht

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> Gemeinsamer Schulunterricht von Kindern mit und ohne Behinderung soll in Baden-Württemberg zunehmend Alltag werden. Die grün-rote Landesregierung brachte im Februar einen Gesetzentwurf auf den Weg, mit dem zum kommenden Schuljahr die Sonderschulpflicht abgeschafft wird. Eltern sollen künftig die Wahl haben, ob sie ihr behindertes Kind auf eine Sonder- oder Regelschule schicken wollen.

> Ein Recht auf eine Wunschschule soll es aber nicht geben.

> Mit der Schulgesetz-Änderung wird festgehalten, dass gemeinsamer Unterricht auch möglich ist, wenn behinderte Kinder das Bildungsziel absehbar nicht erreichen können. lsw

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Ehrhardt und ihr Mann lehnten das ab. Stattdessen ließen sie Henri die vierte Klasse wiederholen - und gewannen so Zeit. Ihr Plan ging auf, inzwischen ist einiges passiert: Nach den Sommerferien wird Henri nun doch auf die Theodor-Heuss-Realschule in Walldorf wechseln, die ihn vergangenes Jahr noch ablehnte.

"In den vergangenen Monaten ist es der Schulverwaltung gelungen, die Voraussetzungen zur Umsetzung des Elternwunsches an der konkreten Schule zusammen mit der dortigen Schule zu schaffen", bestätigte gestern der Sprecher des Kultusministeriums, Michael Hermann, auf RNZ-Anfrage. Möglich wurde diese Entscheidung nach der so genannten Bildungswegekonferenz, die am 19. März stattfand. Danach, so Hermann, hat das zuständige Staatliche Schulamt Mannheim dort auf der Grundlage der Beratungen in dieser Konferenz die Theodor-Heuss-Realschule Walldorf als Beschulungsort angeboten. Die Comenius-Schule für Geistigbehinderte Schwetzingen wird die allgemeine Schule bei der Umsetzung des inklusiven Bildungsangebots unterstützen. Wie es der Gesetzesentwurf der Landesregierung vorsehe, werde das inklusive Bildungsangebote an der Theodor-Heuss-Realschule Walldorf gruppenbezogen realisiert, was bedeutet, dass mehrere Kinder mit einem Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot gemeinsam unterrichtet werden. Henris Eltern, so Hermann, haben dieses Angebot akzeptiert.

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In der Heuss-Realschule soll Henri ab September in eine neu eingerichtete Klasse gehen, die sowohl behinderte als auch nicht-behinderte Schüler besuchen. "Er kennt dort natürlich viele Kinder, und sie kennen ihn", sagt Kirsten Ehrhardt. "Er ist hier total verwurzelt." Sie und ihr Mann seien glücklich - und ihr Sohn auch. "Wir finden, dass es ein Happy End für Henri ist." Das sieht mittlerweile auch Kultusminister Stoch so. "Ich freue mich, dass nun gemeinsam mit den Eltern eine Umsetzung des Wunsches nach inklusiver Beschulung an der Realschule erfolgen kann", lautete gestern sein Kommentar.

Henris Fall war letztlich ein Beispiel dafür, wie viele offene Fragen die so genannte Inklusion an Schulen in der Praxis aufwirft. Das Thema haben alle Bundesländer auf der Agenda. Bei den Feinheiten hakt es jedoch oft. Der gemeinsame Unterricht mit körperlich behinderten Kindern ist an vielen Schulen längst Normalität. Doch im Walldorfer Fall geht es um einen geistig Behinderten, der wohl nie Abitur oder einen Realschulabschluss machen kann. Im Südwesten brachte die grün-rote Landesregierung kürzlich einen Gesetzentwurf auf den Weg, mit dem zum kommenden Schuljahr die Sonderschulpflicht abgeschafft wird (siehe "Hintergrund"). Die neue Regelung habe im Fall Henri sicher eine Rolle gespielt, sagt der Landesbehindertenbeauftragte Gerd Weimer. "Ich bin sehr froh über diese Entwicklung und diese Entscheidung und wünsche Henri wirklich alles Gute." Er freue sich, dass es offenbar im Lehrerkollegium der Realschule ein Umdenken gegeben habe.

Der Landeschef des Philologenverbands, Bernd Saur, ist hingegen skeptisch. "Ich möchte nicht, dass so getan wird, als sei das jetzt der allein selig machende Königsweg", sagt er. "Denn dann hätten ja die Förderschulen im Land bislang keine gute Arbeit geleistet, und das kann ja keiner behaupten." Er sei nicht gegen Inklusion - solange ein Kind dem Unterricht folgen könne.

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