Dossenheim: Die Neubergschule diente als Reservelazarett

US-Truppen transportierten Verwundete nach Heidelberg

01.04.2015 UPDATE: 02.04.2015 06:00 Uhr 2 Minuten, 36 Sekunden

Das 1909/10 an der Schulstraße erbaute neuere Gebäude der Neubergschule. Ein weißes Kreuz auf dem Dach wies es gegen Kriegsende als Lazarett aus. Foto: Archiv

Von Christian Burkhart

Dossenheim. "Am Karfreitag, den 30. März, besetzten die Amerikaner Dossenheim. Um 6 Uhr früh waren sie am Pfarrhaus." So hat es der evangelische Pfarrer Johann Steger am 4. April 1945 im evangelischen "Beerdigungsbuch" handschriftlich festgehalten. Laut Aussage des US-Veteranen Gerald Julian (1922-2007), der an den Kämpfen im Nordwesten von Dossenheim beteiligt gewesen war, sollen dabei 105 Angehörige der deutschen Wehrmacht in Kriegsgefangenschaft geraten sein. Weitere Gefangene machten die Amerikaner dann im Ort, und zwar in der Neubergschule.

Dieses Schulareal besteht aus dem vorderen Schulhaus an der Wilhelmstraße, das 1891/92 errichtet wurde, und dem hinteren Schulhaus entlang der Schulstraße (von 1909/10). In diesem neueren Gebäude war ab 1944 ein Reservelazarett der deutschen Wehrmacht untergebracht.

Kurt Döringer (Jg. 1937) weiß es noch gut: "Auf das Dach des Gebäudes war mit weißer Farbe ein großes Kreuz aufgemalt gewesen, damit es schon von weitem als Lazarett kenntlich war und vom Feind nicht angegriffen werden würde."

Waltraud Bohneberg, geborene Schmitt (Jg. 1927), erinnert sich: "In der Endphase des Krieges war ich mit meiner Mutter und anderen Zivilisten aus der Nachbarschaft fast acht Tage am Stück mit nur kurzen Unterbrechungen im Keller unter der Neubergschule. Unterrichtet wurde in der Schule schon eine ganze Weile nicht mehr; das Gebäude diente damals als deutsches Militärlazarett. Das war kein richtiger Luftschutzkeller dort unten, aber wir fühlten uns da trotzdem einigermaßen sicher. In der Nacht vom 29. auf den 30. ist im Schulkeller dann auch noch ein Baby zur Welt gekommen. Außerdem habe ich hier meinen späteren Mann, den aus Magdeburg stammenden Horst Bohneberg (1926-1994), kennengelernt. Er hat sich damals als verwundeter deutscher Soldat im Lazarett aufgehalten."

Mit dem Einmarsch der US-Truppen wurde das Schulareal von diesen übernommen. Gleich in der ersten Nacht kam es dort zu einem tödlichen Missverständnis.

Waltraud Bohneberg sind auch noch Details geläufig: "Als die Amerikaner ankamen, haben sie eine Sperrstunde verhängt: Ab 18 Uhr durfte niemand mehr das Haus verlassen und alle Fensterläden mussten verschlossen sein (...). Nach Besetzung des Schulareals durch die Amerikaner kam es dann zu einem tödlichen Zwischenfall. (...) In der Nacht ist (...) ein gewisser Dr. Müller vom vorderen Schulgebäude ins hintere gelaufen. Der amerikanische Wachposten hat ihn angerufen, der Arzt hat wohl auch noch etwas zurückgerufen, der GI ihn aber offenbar nicht verstanden - und den Mediziner dann mit einem Schuss aus seiner Waffe niedergestreckt. Der Treffer war tödlich und der Arzt wurde zunächst auf dem Dossenheimer Friedhof bestattet, später dann aber auf Wunsch seiner Familie in seine Heimat überführt. Wo das war, weiß ich nicht."

Fridolin "Fred" Schlechter (1930-2014) wohnte in der nahen Schulstraße: "Am Karsamstagmorgen sind etliche Dossenheimer Schulkinder in die Neubergschule hinaufgelaufen. (...) Dort standen amerikanische Sanitäts-Lastwagen, mit denen gerade die Lazarettinsassen nach Heidelberg in die damalige Großdeutschland-Kaserne (das spätere US-Hauptquartier) abtransportiert wurden. Zu diesem Zeitpunkt lag im Schulhof noch immer die Leiche des in der Nacht erschossenen deutschen Militärarztes."

Pfarrer Johann Steger hat ebenfalls Einzelheiten in seinem "Beerdigungsbuch" festgehalten: "Als er in der Nacht vom Karfreitag auf Karsamstag um 3 Uhr früh von einem Lazarettgebäude zum anderen ging, wurde er im Schulhof von der amerikanischen Wache erschossen, weil er auf Anruf ‚Arzt‘ sagte und weiterging. Am Ostermontag, dem 2. April 1945, um 2 Uhr nachmittags, wurde (er) auf dem Gottesacker zu Dossenheim begraben."

Dr. med. Waldemar Müller, so hieß der erschossene deutsche Arzt. Geboren wurde er am 23. April 1913 in Kirnbach. Er war verheiratet, Vater von vier Mädchen im Alter zwischen anderthalb und acht Jahren und wohnte in der Neckargemünder Adolf-Hitler-Straße 77 (heute: Bahnhofstraße). Er war zuvor Heeresarzt auf den Kriegsschauplätzen in Afrika, auf der Krim, dem Balkan und in Frankreich und seit dem 12. Februar 1945 leitender Lazarettarzt in Dossenheim.

Trotz der Kriegswirren hat seine Frau in Neckargemünd vom tragischen Tod ihres Ehemanns in Dossenheim erfahren. Mit einem Fahrrad, so Neckargemünder Zeitzeugen, sei sie damals nach Dossenheim gefahren und dort gerade noch rechtzeitig zur Beerdigung eingetroffen. Die Witwe, die aus einer ersten Ehe zwei Töchter in die Ehe mit Dr. Müller mitbrachte, hat noch ein drittes Mal geheiratet. Sie lernte einen der in Neckargemünd tätigen Amerikaner kennen, gab ihm das Ja-Wort und folgte ihm 1948 mit ihren vier Töchtern in die USA.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.