Kriegsüberlebende am APG Neckarelz

"Ich muss für die getöteten Kinder sprechen"

Inge Auerbacher überlebte als Kind Theresienstadt und besuchte das APG - "Das ist mit keiner Geschichtsstunde vergleichbar"

27.06.2017 UPDATE: 28.06.2017 06:00 Uhr 2 Minuten, 25 Sekunden

"Man kann das heute nicht mehr glauben. Da hat man ja alles in Hülle und Fülle." Schülern des Auguste-Pattberg-Gymnasiums berichtete Inge Auerbacher von ihrer Kindheit in Deutschland. Die heute 83-Jährige überlebte als Kind das KZ Theresienstadt. Foto: Peter Lahr

Von Peter Lahr

Neckarelz. "Diese Dame spricht auf Deutsch, was keine Selbstverständlichkeit ist. Denn Deutsch gilt als Sprache der Täter." So stellte Geschichtslehrer Bernhard Ilg dieser Tage die 83-jährige Zeitzeugin Inge Auerbacher vor. Sie besuchte das Auguste-Pattberg-Gymnasium zusammen mit einem Chor aus New York und berichtete von ihrer Kindheit im "Dritten Reich" - und von ihrem weiteren Lebensweg.

Die rüstige Seniorin sprach nicht nur Deutsch, sie pendelte schwerelos zwischen Badisch und Schwäbisch hin und her. Was leicht zu erklären ist. Denn ihr Vater stammte aus dem südbadischen Kippenheim, ihre Mutter aus Jebenhausen bei Göppingen. "Wir haben immer zu Hause Deutsch gesprochen", erklärte Inge Auerbacher und schob hinterher: "Ja ich bin jüdisch. Was ist das?" "Eine Religion", kam prompt die Antwort. "Wer war der berühmteste Jude? Auch darauf wussten die Schüler schnell die Lösung: "Jesus".

Schnell klärte Inge Auerbacher Grundsätzliches: "Es ist eine schwere Geschichte für Euch. Ihr habt ja nichts damit zu tun. Ich beschuldige Euch nicht für das, was geschehen ist. Aber den Tätern, die 20 Leute aus meiner Familie getötet haben, werde ich nicht vergeben. Ich kann nicht verstehen, dass so etwas in einem so wunderschönen Land passieren konnte."

Tatsächlich liebt Inge Auerbacher ihre Heimat bis heute: "Mein Lieblingsessen ist Sauerbraten", erklärte sie. Und auch, dass sie den besten außer bei Muttern in Texas gegessen habe. Doch bis sie dahin kam, war es ein langer Weg.

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"Ich bin 1934 geboren und lebte mit meiner Familie in Kippenheim", berichtete die Zeitzeugin von ihrer Kindheit. Dort lebten 2000 Menschen, darunter 60 jüdische Familien. "Wir haben ein gutes Leben gehabt. Der Unterschied: Die Christen gingen sonntags in die Kirche, wir freitags in die Synagoge." Inge war vier Jahre, als die Reichspogromnacht einen ersten Schatten auf ihr Leben warf: "Opa ging morgens in die Synagoge und wurde gleich ins KZ Dachau geschickt." Wie alle jüdischen Männer über 16 Jahre - inklusive Inges Vater, der für seine Verdienste im Ersten Weltkrieg mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet worden war. Auch das Geburtshaus wurde vom braunen Mob angegriffen: "Der Kronleuchter ist knapp an meinem Kopf vorbeigeflogen."

Bald darauf verkaufte der Vater das Haus, wollte mit der Familie nach Frankreich oder in die Schweiz. "Aber die Länder der freien Welt haben ihre Türen geschlossen." Durch den Umzug ins Schwäbische entging die Familie der Deportation der badischen Juden nach Gurs.

Die letzte jüdische Schule in Stuttgart konnte Inge nur ein halbes Jahr besuchen. Bis heute erinnert sie sich an den langen Schulweg und den Ratschlag des Vaters: "Setz’ dich im Zug so hin, dass du den Stern verstecken kannst." Nicht vergessen hat Inge Auerbacher eine unbekannte Dame, die ihr ohne ein Wort eine Tüte mit Brötchen gab. "Sie wollte dem Kind etwas Gutes tun."

Ende 1941 wurde Inges Großmutter bei den ersten Deportationen nach Riga verschleppt - und dort erschossen. Im Sommer des Folgejahres erhielt ihre Familie den sechsseitigen Transportbefehl. Inge kam mit ihren Eltern ins KZ Theresienstadt. "Ich war sieben Jahre alt und die Jüngste im Transport."

"Meine Eltern waren meine Schutzengel", erklärte Inge Auerbacher in der Fragerunde. "Wir wussten nichts von Auschwitz. Es gab immer Selektionen. Es war Glückssache, zu überleben", lautete ihre Einschätzung. Schwer krank überlebte Inge Auerbacher das KZ. Zusammen mit ihren Eltern emigrierte sie 1947 nach New York. Eigentlich wollte sie in Heidelberg Medizin studieren. Doch als dort am 1. Mai 1968 Nazilieder erklangen, kehrte sie in die USA zurück. In New York arbeitete sie 38 Jahre lang als Chemikerin und schrieb ihre Erlebnisse u. a. in dem vielfach übersetzten Buch "Ich bin ein Stern" nieder.

Auf die Frage, weshalb sie sich den emotionalen Stress eines Zeitzeugengesprächs überhaupt noch antue, erwiderte Inge Auerbacher: "Weil ich am Leben geblieben bin, muss ich für die getöteten Kinder sprechen." Eins davon ist Ruth Nelly Abraham aus Berlin. Ihre beste Freundin im KZ wurde zwei Wochen vor ihrem zehnten Geburtstag in Auschwitz vergast.

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