Mit Blumen geschmückt ist das Grab der 15-jährigen Mia, die am 27.12.2017 in einem Drogeriemarkt in Kandel erstochen wurde. Foto: dpa
Von Wolfgang Jung und
Alexander Albrecht
Schifferstadt/Kandel. Als die Zellentüren der Jugendstrafanstalt im pfälzischen Schifferstadt am Donnerstagmorgen gegen 6 Uhr geöffnet werden, lebt Abdul D. nicht mehr. Aufseher finden ihn erhängt in einer Schlinge aus Schnürsenkeln und Kopfkissenbezug in seiner knapp zehn Quadratmeter großen Einzelzelle. Es ist das schreckliche Ende eines Kriminalfalls. Ende 2017 erstach der aus Afghanistan stammende Mann in einem Drogeriemarkt in Kandel seine Ex-Freundin Mia mit einem Brotmesser. Der Mord an der 15-Jährigen löste bundesweit großes Entsetzen aus. Im Streit über deutsche Flüchtlingspolitik wurde Kandel zum Reizwort.
Noch am Donnerstag brachten Ermittler die Leiche von Abdul D. nach Mainz. Dort soll sie am heutigen Freitag obduziert werden, noch am gleichen Tag wollen die Behörden das Ergebnis bekannt geben. Erkenntnisse auf Fremdeinwirkung gibt es der Staatsanwaltschaft zufolge nicht, sie leitete routinemäßig ein Todesermittlungsverfahren ein. Die Zelle sei von außen verschlossen und nicht videoüberwacht gewesen, weil es keine Anzeichen für eine Selbsttötungsabsicht gegeben habe, teilte das Justizministerium mit.
"Ich bin erschüttert", sagte der damalige Verteidiger von Abdul D., Maximilian Endler, der RNZ. Zwar hätten Suizidabsichten im Prozess gegen seinen Mandanten vor dem Landgericht Landau am Rande eine Rolle gespielt. "Doch aktuell gab es dafür nach meinen Informationen keine Anhaltspunkte. Sonst hätte ich mich natürlich auf die Hinterfüße gestellt", betonte der Mannheimer Anwalt. Abdul D. sei der dritte Klient, der sich in seiner 20-jährigen Tätigkeit als Strafverteidiger in der Zelle das Leben genommen habe. "Mir tut das furchtbar leid, er war ein junger Mensch. Natürlich auch Mia, aber man sollte die Schicksale nicht gegeneinander aufrechnen", sagt Endler.
Vor gar nicht langer Zeit habe er Abdul D. im Gefängnis besucht. Er sei ein "schwieriger Typ" gewesen und hätte wegen seiner Disziplinlosigkeiten mit der Anstaltsleitung Probleme gehabt. Auch die Staatsanwaltschaft bestätigte wiederholte Auseinandersetzungen des Afghanen mit Mithäftlingen. In einer Jugendstrafanstalt kommen alle Arten von Häftlingen zusammen: vom Betrüger bis zum Kapitalverbrecher. Wegen des Mordes an Mia war Abdul D. im August 2018 zu acht Jahren und sechs Monaten Haft nach Jugendstrafrecht verurteilt worden. Der Fall fachte damals die Diskussion um die Altersfeststellung junger Flüchtlinge weiter an.
Abdul D. war nach seiner Ankunft in Deutschland als unbegleiteter Flüchtling aufgenommen worden. Er gab sein Alter mit 15 Jahren an. Nach der Tat kamen Zweifel auf, ob er tatsächlich so jung ist. Ein Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass er zum Zeitpunkt der Tat mindestens 17 Jahre und sechs Monate, wahrscheinlich aber schon 20 Jahre alt war.
Kandel geriet nach der Tat in den Sog des Streits über deutsche Flüchtlingspolitik. Rechtspopulisten nahmen die Tragödie zum Anlass, um in Kandel und umliegenden Orten gegen die Asyl- und Flüchtlingspolitik der Bundesregierung zu protestieren. Für den Ort mit knapp 9000 Einwohnern in der Südpfalz, auf halber Strecke zwischen Landau und Karlsruhe, ist die Bluttat bis heute traumatisch.
Am Mittwoch um 21.30 Uhr sei D. noch lebend gesehen worden, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Ob es Verzweiflung, Angst oder Scham waren, die ihn lieber sterben als seine Strafe absitzen ließen, ist ungewiss. Ein Abschiedsbrief wurde zunächst nicht entdeckt. Bereits während des Strafverfahrens, das nicht öffentlich war, rastete der Angeklagte aus. Die Staatsanwaltschaft ermittelte deswegen offiziell, stellte die Untersuchung aber ein. Einen Freundeskreis habe D. im Gefängnis nicht gehabt, sagte ein Bekannter der dpa. "Wenn ein Prozess läuft, ist man voller Adrenalin. Aber später wird einem die Trostlosigkeit der Lage klar."
Update: Donnerstag, 10. Oktober 2019, 20 Uhr
Schifferstadt/Kandel. (dpa) Der wegen Mordes an seiner Ex-Freundin Mia in Kandel verurteilte Abdul D. ist tot in seiner Zelle in der Jugendstrafanstalt Schifferstadt aufgefunden worden.
Ersten Erkenntnissen zufolge hat sich der aus Afghanistan stammende Mann erhängt, wie Polizei und Staatsanwaltschaft am Donnerstag mitteilten.
D. war Anfang September 2018 nach dem tödlichen Messerangriff auf die 15-jährige Mia wegen Mordes verurteilt worden. Die Richter verhängten acht Jahre und sechs Monate Haft nach Jugendstrafrecht.
Die Tat kurz nach Weihnachten 2017 in einem Drogeriemarkt der kleinen Stadt in der Pfalz hatte bundesweit für großes Entsetzen gesorgt. Der Fall fachte außerdem die Diskussion um die Altersfeststellung von jungen Flüchtlingen an. Rechtspopulistische Gruppen nahmen den Fall zum Anlass, um in Kandel gegen die Asylpolitik der Bundesregierung zu protestieren.
Abdul D. war nach seiner Ankunft in Deutschland als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling aufgenommen und betreut worden. Er gab sein Alter zunächst mit 15 Jahren an. Nach der Tat kamen Zweifel auf, ob er tatsächlich so jung ist. Ein Gutachten im Auftrag der Staatsanwaltschaft kam zu dem Ergebnis, dass er zum Zeitpunkt der Tat mindestens 17 Jahre und sechs Monate, wahrscheinlich aber schon 20 Jahre alt war. Verurteilt wurde er nach Jugendstrafrecht, wie ein Gerichtssprecher sagte.
Als Motiv für die Tat hatte die Staatsanwaltschaft Eifersucht und Rache angenommen. Sie ging davon aus, dass Abdul D. Mia bestrafen wollte, weil sie sich wenige Wochen vor der Tat von ihm getrennt hatte.
Der damalige Anwalt von Abdul D., Maximilian Endler, sagte am Donnerstag zu der Todesmitteilung: «Ich weiß von nichts und kann daher auch nichts dazu sagen.» Er hatte nach dem Urteil gesagt, er rechne damit, dass sein Mandant nach der Verbüßung eines Teils der Strafe abgeschoben werde.
Stand: Donnerstag, 10. Oktober 2019, 11 Uhr