Grabschänderin von Ketsch und Brühl erhält Bewährungsstrafe

Amtsgericht verurteilte die 34-Jährige wegen durchstochener Reifen und Friedhofsschändungen - Verminderte Schuldfähigkeit durch psychische Erkrankung

19.06.2016 UPDATE: 20.06.2016 06:00 Uhr 2 Minuten, 15 Sekunden

Schon vor Jahren gab es auf dem Brühler Friedhof einen spektakulären Fall von Verwüstung. Archivfoto: Priebe

Von Carlo Weippert

Schwetzingen. Im vergangenen Jahr hatte dieser Fall sowohl für reichlich Entsetzen als auch Wut bei den Einwohnern von Ketsch und Brühl gesorgt: Erst wurden zweimal nachts Autoreifen durchstochen, dann auch noch Gräber und Schmuck auf den Friedhöfen der beiden Gemeinden verwüstet, geschändet und damit die Totenruhe verletzt. Ein späteres "Entschuldigungsschreiben" an eine Tageszeitung mit "Es tut mir leid" wurde von Bürgermeister Ralf Göck sogar vor dem Gemeinderat verlesen. Jetzt landete die entsprechende Anzeige zur Verhandlung unter Vorsitz von Richter Hans-Jörg Schneid vor dem Amtsgericht.

Schon in der Anklage von der Staatsanwaltschaft deuteten sich etwas andere Verhältnisse zum Termin an: "Die jetzt 34-jährige Beschuldigte hat laut Polizeiprotokoll in der Nacht des 7. Juni 2015 auf dem Friedhof in Ketsch und in der Nacht des 16. Juni 2015 auf dem in Brühl über 85 Gräber durch Verwüstungen, Herausreißen von Kreuzen und damit Grabschändungen die Totenruhe schwerstens verletzt und hiermit zumindest Sachbeschädigung nach den Paragrafen 303, 21 und 53 Strafgesetzbuch (STGB) begangen. Da sie schon zwei Wochen vorher nachts über 36 Reifen von geparkten Autos zerstochen hatte, wurde von der Polizei in Hockenheim und dann Mannheim die Verbindung hergestellt: Sachbeschädigung nach Paragraf 303 STGB und damit Anklage vor dem Schwetzinger Strafgericht.

Von der Verteidigung wurde versucht, aus dem Leben ihrer Mandantin Möglichkeiten der Erklärung zu finden: Mit fünf Jahren hatte sie den Vater verloren, seitdem war sie für ihre Mutter im Haushalt verantwortlich gewesen. Nach Hauptschulabschluss hatte sie eine Lehre als Postzustellerin abgebrochen, war dann wegen Alkohol und Schlafstörungen in verschiedenen Therapien gegen Verhaltensstörungen und Persönlichkeitsveränderungen behandelt worden. Teils ambulant, teils stationär in Mannheim, Schwetzingen und Wiesloch, wurde versucht, sie mit Medikamenten und Gemeinschaftssitzungen ("Radikale Offenheit") in ruhigere Bahnen zu lenken.

Doch immer, wenn sie nachts in der gemeinsamen Wohnung mit ihrer Mutter nicht schlafen konnte und total depressiv wurde (oft mit Suizidversuchen durch Schnittverletzungen an Hals und Unterarm, wie ärztliche Atteste belegen), suchte sie in ihrer Verzweiflung die Friedhöfe in Ketsch und Brühl auf. Dort wollte die einfach alleine sein, riss Blumen und Kreuze aus den Grabstätten und schlief dann in den Friedhofskapellen.

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Vom Richter nach den Gründen für solch merkwürdige Verhaltensweisen befragt, kam von der geständigen Beschuldigten (noch unter Bewährung wegen gleicher Taten): "Ich wollte meine Mutter nicht stören, mir will und kann ja doch niemand helfen!"

Ausführliche Gutachten und Expertisen vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim und vom Psychiatrischen Zentrum Nordbaden in Wiesloch und verschiedenen anderen ambulanten Therapie-Einrichtungen in Schwetzingen bestätigten letztlich ihre Krankheit.

Lediglich ihr Bewährungshelfer konnte als Zeuge einige Punkte anbieten, die eine vielleicht positive Zukunftsperspektive zeigten: Pünktlichkeit, Erkennen von Fehlverhalten und Erfüllen von Arbeitsauflagen.

Das ergab nach vier Stunden Versuchen, diesem Menschen eine sinnvolle Lösung im Strafverfahren anzubieten, folgenden Antrag der Oberstaatsanwaltschaft: "Hier muss eine total andere Sichtweise der Bestrafung greifen, denn die psychische Erkrankung hat durch verminderte Schuldfähigkeit zu diesen unverständlichen Taten geführt. Eine Fortsetzung ihrer Therapie mit sozialer Arbeit und damit Einbindung in den Tagesablauf soll in drei Jahren auf Bewährung mit Bewährungshelfer doch noch eine Wende herbeiführen". Von der Verteidigung wurde diesem sozialen Antrag zugestimmt, denn "meine Mandantin hätte sich nach ein paar Tagen doch gestellt".

Vom Amtsgericht konnte in diesem Sonderfall ("Verletzung höchst sensibler Pietätsgefühle der Öffentlichkeit", Richter Hans-Jörg Schneid) eine nochmalige Bewährung mit Auflagen (Fortsetzung der Therapie und Arbeiten für eine gemeinnützige Einrichtung zur Wiedereingliederung) und einer Strafe von einem Jahr und drei Monaten mit letzter Bewährung (auf vier Jahre ausgesetzt) der Versuch von Einbindung in ein tragendes Heilungssystem offengehalten bleiben.

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