Frankenthaler Babymord

Verfahren könnte neu aufgerollt werden

Verteidiger des Angeklagten hält Gutachter für befangen

25.04.2017 UPDATE: 26.04.2017 06:00 Uhr 2 Minuten

Symbolbild: Uwe Anspach/dpa

Von Alexander Albrecht

Frankenthal. Furchtbar, grausam, entsetzlich - auch ein knappes Jahr danach fällt es schwer, in Worte zu fassen, was sich in der Nacht zum 14. Mai 2016 in einer Frankenthaler Wohnung zugetragen hat. Ein Mann warf seine erst drei Monate alte Tochter "mit einer ausholenden Bewegung" (Staatsanwältin Doris Brehmeier-Metz) vom Balkon im zweiten Stock in den Hof. Die kleine Senna starb an den schweren Verletzungen.

Seit 10. November muss sich ihr Vater (32) vor dem Frankenthaler Landgericht verantworten, die Anklage wirft ihm neben Mord zudem versuchten Mord, gefährliche Körperverletzung und Geiselnahme vor. Er soll auch seine damalige Lebensgefährtin und Mutter von Senna, eine sechs Jahre alte Tochter aus einer früheren Beziehung sowie einen Bekannten mit dem Messer verletzt haben.

Zu Prozessbeginn legte der Industriereiniger ein Teilgeständnis ab. "Ich habe unsere süße kleine Tochter mit eigenen Händen umgebracht! Ich trage schwer an dieser Schuld und bedaure die Tat zutiefst. Ich bitte das Gericht um eine gerechte Strafe", verlas sein Anwalt Alexander Klein in einer Erklärung.

Beobachter, die nun davon ausgingen, dass acht Verhandlungstage ausreichten, wurden eines Besseren belehrt. Klein versuchte bei stundenlangen Befragungen, die Glaubwürdigkeit von Sennas Mutter zu erschüttern. Die 21-Jährige tritt als Nebenklägerin auf. Die Beziehung zu ihrem Ex-Freund - die beiden hatten sich 2014 in einer Psychiatrischen Klinik kennengelernt - war von gegenseitiger Eifersucht geprägt, wie der bisherige Prozessverlauf zeigte.

Und immer wieder holte die junge Frau ihre Vergangenheit ein. So musste sie auf Nachfrage Kleins einräumen, dass sie 2011 wegen falscher Beschuldigungen zu 20 Sozialstunden verurteilt wurde. Sie hatte gegenüber der Polizei behauptet, von ihren Eltern geschlagen worden zu sein. Unter Druck setzte der Verteidiger auch den psychiatrischen Sachverständigen - weshalb der Prozess sogar platzen könnte.

Klein hält den Experten für befangen. Er beurteilte Sennas Mutter bereits im Sommer 2015 in einem anderen Verfahren vor dem Amtsgericht Weinheim. Damals hatte die Frau ihren früheren Lebensgefährten angezeigt, weil dieser sie angeblich zur Prostitution gezwungen haben soll. Klein kreidet dem Gutachter an, seine frühere Tätigkeit lange bewusst verschwiegen zu haben.

Dessen Einwand, er könne sich an Gesichter und Probanden nur schwerlich erinnern und erstelle bis zu 70 Expertisen im Jahr, nannte der Rechtsanwalt "blanken Unsinn". Zumal die Nebenklägerin einen ungewöhnlichen Namen und sich äußerlich kaum verändert habe.

Der Viernheimer Psychiater beteuerte, dass er nichts verschweigen wollte. Ihm sei erst kürzlich bei der Durchsicht von Rechnungen aufgefallen, dass er Sennas Mutter schon einmal begutachtet hat. Das nimmt ihm Klein allerdings nicht ab und zieht seine Neutralität wie Objektivität in Zweifel. Er habe geschwiegen, weil er einen "lukrativen Auftrag" nicht verlieren wollte, mutmaßt der Anwalt.

Staatsanwältin Brehmeier-Metz kritisierte Klein; sein Befangenheitsantrag enthalte böswillige Unterstellungen und diene nur dazu, den Prozess zu verschleppen. Der Gutachter ergänzte, dass er dem Angeklagten wegen dessen Kokainkonsums wenige Stunden vor der Tat in einer Vor-Stellungnahme eine eingeschränkte Schuldfähigkeit attestiert habe. Dies untermauere seine Unvoreingenommenheit. Woraufhin Klein meinte, selbst der befangenste Experte komme nicht an einer Blutprobe mit Rauschgift vorbei.

Der Sachverständige will sich beim nächsten Verhandlungstag am 8. Mai ausführlich zu den Vorwürfen äußern. Sollte das Gericht dem Befangenheitsantrag folgen, muss das gesamte Verfahren neu aufgerollt werden, dann allerdings mit einem anderen Psychiater.

Hintergrund

Von Jasper Rothfels

Frankenthal. Als die Oberstaatsanwältin auf den gewaltsamen Tod des Babys zu sprechen kommt, weinen der Angeklagte und seine Ex-Freundin hemmungslos. Es geht um ihr gemeinsames Kind.

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Von Jasper Rothfels

Frankenthal. Als die Oberstaatsanwältin auf den gewaltsamen Tod des Babys zu sprechen kommt, weinen der Angeklagte und seine Ex-Freundin hemmungslos. Es geht um ihr gemeinsames Kind. Der Mann hat es in der Nacht zum 14. Mai in Frankenthal aus dem zweiten Stock einer Wohnung geworfen. Bei dem Sturz aus einer Höhe von siebeneinhalb Metern wurde die kleine Senna so schwer verletzt, dass sie an einem Schädel-Hirn-Trauma starb. Wie es dazu kommen konnte, ist seit gestern Thema vor dem Landgericht Frankenthal.

Die Antwort bleibt der jungenhaft wirkende 32-Jährige zunächst schuldig. Aber er gesteht, das Kind umgebracht zu haben. "Ich trage schwer an meiner Schuld und bereue meine Tat zutiefst", heißt es in einer Erklärung, die der Anwalt des wild schluchzenden Mannes verliest. Die 20 Jahre alte Mutter des Babys fixiert ihn unter Tränen. Sie tritt im Prozess als Nebenklägerin auf.

Über das Leben des 32-Jährigen ist an diesem Tag wenig zu erfahren. Auf Empfehlung seines Verteidigers mache er keine näheren Angaben zur Sache und zu seinen persönlichen Verhältnissen, lässt der Mann mit dem kurz geschnittenen dunklen Haar erklären. In schwarzer Trainingsjacke, grau-schwarz-gestreiftem Pulli und weißem Hemd sitzt er neben seinem Anwalt. Nur einmal erklingt seine piepsig wirkende Stimme - als er auf die Frage der Vorsitzenden Richterin Alexandra Ulrich erklärt, er sei geschieden.

Vor der Tat soll er Kokain genommen haben. Ulrich weist darauf hin, dass seine Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit möglicherweise erheblich vermindert war.

Nach den Schilderungen von Oberstaatsanwältin Doris Brehmeier-Metz hatte es die 20-Jährige nicht leicht. "Der Angeklagte war wie in der vorangegangenen Beziehung extrem eifersüchtig." Er habe der Frau vorgeworfen, sie verbringe zu viel Zeit mit dem Kind beziehungsweise dies nehme ihm die Frau weg.

In der Tatnacht habe er sich mit einem Bekannten unterhalten, während die Frau mit dem Baby und zwei Töchtern des Mannes aus einer anderen Beziehung im Schlafzimmer lag. Weil er angenommen habe, die Frau betrüge ihn, sei er ins Zimmer, habe ein Messer aus einer Kommode genommen, den Hals der Schlafenden umklammert und ihr in Rücken und Schulter gestochen. Als der vom Lärm alarmierte Bekannte der Frau helfen wollte, verletzte der 32-Jährige laut Anklage auch diesen mit dem Messer. "Während der Auseinandersetzung hatte das Baby zu schreien begonnen", sagt die Oberstaatsanwältin. Der Angeklagte habe sich mit den Worten "Jetzt mache ich den Rest" das Baby gegriffen. Um sich an der Mutter zu rächen und aus Eifersucht auf das Kind habe er es "mit einer ausholenden Bewegung vom Balkon auf die Straße" geworfen. "Er sah das kurze Leben des Kindes als Hindernis. Dieses Hindernis wollte er beseitigen."

Damit war die Tragödie noch nicht vorbei: Laut Anklage wollte der Mann die beiden anderen Töchter als Druckmittel gegen die anrückende Polizei einsetzen und drohte mit deren Tod. Einer Sechsjährigen habe er zwei Mal in den Bauch gestochen, bevor Polizisten die Wohnung stürmten. Das Kind musste in einer Not-Operation gerettet werden. - Unter den etwa zwei Dutzend Zuschauern im Gerichtssaal sitzt auch der Vater der 20-Jährigen. "Ich wünsche ihm, dass er leiden muss", sagt er mit Blick auf den Angeklagten. Dieser habe nicht nur seiner Tochter und ihm, sondern allen Einwohnern der Stadt viel angetan.

Nebenklagevertreter Frank Peter berichtet, der Angeklagte habe seiner Mandantin aus der Haft per Brief Heiratsanträge gemacht. Doch von Heirat könne keine Rede sein. "Sie wollte sich von ihm trennen", sagt er. "Sie wollte aus der gemeinsamen Wohnung raus." Da der Mann aber wegen einer Krankschreibung zu Hause gewesen sei, habe sie sich nicht getraut.

Dass sie ihm nun gegenübersitzt, erklärt der Anwalt so: "Sie wollte dem Angeklagten die Stirn bieten. Sie wollte für Senna da sein, ihre getötete Tochter."

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