Von Wolf H. Goldschmitt
Schwetzingen. Es ist ein heißer Samstagmittag vor 50 Jahren. Punkt 12.29 Uhr rollt der Sonderzug F 4650 aus München in Schwetzingen am Bahnhof ein. An Bord ein paar Jungmillionäre mit einem ganz speziellen "Ticket to Ride": Die Beatles. Anderswo würde diese Nachricht Tausende auf die Beine und den Verkehr zum Erliegen bringen. In der Spargelstadt bleibt es am Gleis 6, dem "Heidelberger Gleis", friedlich. Keine schreienden Mädchen und keine ausflippenden Mofarocker. Das hat seinen Grund: Nur eingeweihtes Bahnpersonal weiß von dem außerplanmäßigen Halt.
Und so warten John, Paul, George und Ringo gelangweilt in ihren Luxusabteilen, während draußen die Streckenposten ihren Job machen. "Technische Kontrolle" wird als Grund für den Stopp genannt. Ringo soll sogar einmal kurz aus dem Fenster geblickt haben. Das war’s dann aber auch. Nach zehn Minuten hat der Mantel der Popgeschichte Schwetzingen tatsächlich kurz gestreift. "Hello Goodbye": Die singende Weltsensation fährt weiter.
Auch die örtliche Presse hat den Besuch erst später mitbekommen und schreibt: "Der Bahnhofsvorsteher hatte keines der Stimmwunder erblickt. Er sah nur in den vier Waggons -- zwei Salonwagen, ein First-Class-Wagen und ein Speisewagen - weibliche "Leibwächter" - wohl eher Groupies - hin- und herhuschen." Von "Rock’n’Roll Music" also keine Spur. Die Stimmung ähnelt eher dem Song "I’m down", denn die Musiker sind nach langen Plattenaufnahmen in London schon wieder auf Tour und todmüde.
Abends zuvor haben sie zweimal den Circus Krone Bau in München gerockt; jetzt rufen zwei Konzerte in Essen und Hamburg. Im Zug, der beim Besuch der englischen Königin Elisabeth II. schon die Monarchin durch die deutschen Lande gefahren hatte, herrscht Funkstille. - Aber wie kommt es zur unerwarteten Stippvisite der erfolgreichsten Band aller Zeiten ausgerechnet in Schwetzingen? Die Fab Four nehmen auf ihrer einzigen Deutschlandtour den Schienenweg von der bayerischen Hauptstadt zum nächsten Auftritt ihrer "Bravo-Beatles-Blitztournee". Nur zwei Monate später geben sie auf der US-Tour 1966 ihr letztes Livekonzert in San Francisco.
Der Zug sollte eigentlich routinemäßig in Mannheim gewartet werden. Doch die Bahnvorsteher dort rufen "Help", denn sie bekommen es mit der Angst zu tun, nachdem die Ankunft der Beatles in Mannheim öffentlich ankündigt wurde. Szenen wie im Beatlesfilm "A Hard Days Night", wo Hunderte Teenager ihren Idolen hinterherhetzen, will man tunlichst vermeiden. Und so stoppt der Tross aus Bruchsal kommend für genau sechs Minuten im ahnungslosen Schwetzingen.
Am Hauptbahnhof Mannheim allerdings haben bis dahin bereits die Ausgabeautomaten für Bahnsteigkarten - die musste man damals beim Betreten des Geländes kaufen - ihren Geist aufgegeben. Etwa 2000 Fans der Liverpooler warten völlig aus dem Häuschen auf das Eintreffen ihrer Lieblinge.
Da ertönt plötzlich die verzweifelte Lautsprecherdurchsage eines völlig überforderten Bahnsprechers: "Achtung, Achtung, die Beatles fahren nicht durch Mannheim. Ihr Zug wurde umgeleitet". Diese Aussage hat dann ihre Folgen: Während die meisten enttäuschten Fans den Heimweg antreten, zieht es einen harten Kern von rund 100 in die Mannheimer Innenstadt zum Marktplatz. Dort heißt es dann nicht "All you need is Love", sondern "Roll over Beethoven", als sich der Unmut lautstark entlädt - und ein Pförtnerhäuschen der Wucht der Beatlemania zum Opfer fällt.