Zephyr Mannheim

Ohne Fernseher, Laptop und Handy - vielleicht ein Paradies

Rund 130 Bilder des litauischen Fotografen Rimaldas Vikšraitis ausgestellt - Litauisches Dorfleben fotografisch erzählt

06.02.2018 UPDATE: 07.02.2018 06:00 Uhr 1 Minute, 52 Sekunden

Rimaldas Vikšraitis: "Grimaces of the Summer" (1998). Foto: Vikšraitis Rimaldas

Von Susann Behnke-Pfuhl

Mannheim. Wie viel wissen wir vom Leben in den baltischen Staaten, die 2004 der EU und der Nato beitraten? Von Litauen beispielsweise, einem Land, in dem die Modernisierung rasch voranschreitet und etwa 2,8 Millionen Menschen auf einer Fläche so groß wie Bayern leben?

In der Galerie Zephyr in Mannheim werden jetzt Aufsehen erregende Schwarz-Weiß-Fotografien des litauischen Fotografen Rimaldas Vikšraitis vorgestellt. Sie zeigen nicht nur eine Gegend "am Rand der bekannten Welt" (so der Titel), sondern erzählen vom Leben auf dem Land. Mit rund 130 Arbeiten ist dies die größte Schau des international bekannten Künstlers, der 2009 den Preis des renommierten Fotofestivals "Rencontres d’Arles" gewann. Heute gehört Rimaldas Vikšraitis, der seit seiner Kindheit mit den Spätfolgen einer Meningitis zu kämpfen hat, zu den Ehrenmitgliedern der litauischen Fotografen-Gesellschaft.

Das Dorfleben in Litauen ist gekennzeichnet durch Armut, Krankheit, Promiskuität und Alkohol, aber auch durch viele Momente der Freude und Ausgelassenheit, die vom Fotografen festgehalten werden. Den Kindern scheint es auf dem Land gut zu gehen: Sie bewegen sich viel in freier Natur, sitzen mit baumelnden Beinen auf Holzbrücken und beschmieren sich ausgiebig mit Matsch.

Fernseher, Laptops oder Handys gibt es keine - vielleicht ein Paradies. Sie bekommen den Alltag der Erwachsenen mit - harte Arbeit, Langeweile, aber auch ausgelassene Feiern, wenn es mal wieder genug ist in der "Weary Village", der matten Stadt.

Sie bewachen Alkoholiker, die ihren Rausch ausschlafen. Sie ärgern schlafende Erwachsene. Erschreckend ist das nicht wirklich. Die Kamera kommt den Menschen sehr nahe wie in dem Bild "Dessert" (2010), das scheinbar eine Orgie abbildet. Wie zu erfahren ist, handelt es sich jedoch nur um eine Geburtsfeier einer Frau. Häufig sind Vikšraitis’ Bilder rätselhaft und surreal.

Immer wieder hinterfragt der Betrachter, was zu sehen ist und was genau passiert. Ein Großteil seiner inszenierten Bilder sind Rückenakte. Sie zeigen eine sehr große Freizügigkeit in den Dörfern Litauens - zumindest vor der Kamera Vikšraitis. Wo schauen schon zwei entkleidete Männer in einen Kinderwagen (der eine ist der Vater) oder schieben nackte Frauen ein Auto im Tiefschnee an?

Der 1954 geborene Vikšraitis eignete sich seine fotografischen Kenntnisse autodidaktisch an, bevor er die Technische Hochschule 47 in Vilnius besuchte. Während der Woche arbeitete er als freiberuflicher Fotograf, am Wochenende traf er sich mit seinen Freunden und Bekannten auf dem Land, fotografierte und versuchte dabei, ihre Beziehungen und Emotionen zu verstehen - besonders die der Frauen. Die ältesten Fotos stammen aus den 1970er Jahren, die jüngsten sind von 2014. In einem Land des Umbruchs dokumentieren sie eine unwiederbringliche Vergangenheit.

Die kompromisslose Verwobenheit von Leben und Werk erinnert an die Fotografin Nan Goldin. In ihrer starken Körperlichkeit haben sie Bezüge zu den Fotosequenzen des Performance-Künstlers Jürgen Klauke. Vikšraitis’ Fotografien ist jedoch eine Beiläufigkeit und ein respektvoller Blick eigen. Die Bilder lassen den Betrachter Emotionen miterleben, die auch bei uns allzu bekannt sind.

Info: "Rimaldas Vikšraitis: "Am Rand der bekannten Welt" im Zephyr Mannheim, Museum Bassermannhaus C4, 9, geöffnet dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr, bis 29. April.

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