Digitalisierung der Bibliothek Mannheim

"Mein Traum wäre, dass man mit dem Computer sprechen kann"

Der scheidende Bibliotheksleiter der Uni Mannheim, Christian Benz, spricht im RNZ-Interview über Digitalisierung und die Zukunft

30.06.2017 UPDATE: 01.07.2017 06:00 Uhr 2 Minuten, 51 Sekunden

Christian Benz leitete 22 Jahre lang die Unibibliothek. In seine Ära fielen viele bauliche Veränderungen. Foto: vaf

Von Olivia Kaiser

22 Jahre war Christian Benz Leiter der Universitätsbibliothek Mannheim. Am Mittwoch übergab der 67-Jährige das Zepter an Sabine Gehrlein und verabschiedete sich zum 1. Juli in den Ruhestand. Mit der RNZ sprach er über die Digitalisierung der Universitätsbibliothek und die baulichen Veränderungen, die in seiner Ära vorgenommen wurden.

Herr Benz, Sie haben Physik studiert. Was bewegte Sie als Naturwissenschaftler, sich in die Welt der Bücher zu begeben?

Es war damals schon nicht mehr nur eine Welt der Bücher. Es war absehbar, dass eine Bibliothek ohne Rechner und ohne IT nicht zurechtkommen wird. Während meines Studiums habe ich mich sehr viel mit Großrechnern beschäftigt. Es interessierte mich, wie man diese gedruckten Informationen später digital und in Datenbanken den Forschern und Studierenden anbieten kann.

Die Digitalisierung der Mannheimer Unibibliothek stand also ganz oben auf Ihrer Agenda?

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Ja, das war eins meiner primären Ziele.

Hintergrund

Christian Benz

Christian Benz stammt aus Heidenheim bei Ulm, studierte von 1969 bis 1972 Physik an der Universität Tübingen und schloss an der Universität Hamburg mit dem Diplom ab. Die Ausbildung zum Bibliotheksreferendar absolvierte er 1979 und 1980

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Christian Benz

Christian Benz stammt aus Heidenheim bei Ulm, studierte von 1969 bis 1972 Physik an der Universität Tübingen und schloss an der Universität Hamburg mit dem Diplom ab. Die Ausbildung zum Bibliotheksreferendar absolvierte er 1979 und 1980 am Bibliothekarlehrinstitut in Köln, zuvor arbeitete der heute 67-Jährige für die praktische Ausbildung ein Jahr in der Universitätsbibliothek der Uni Karlsruhe. Als Fachreferent im Bereich für Physik war Benz die folgenden drei Jahre in der Bibliothek der Universität Dortmund tätig, wo er auch mitverantwortlich für die Recherchen in wissenschaftlichen Datenbanken war. 1983 übernahm er die Leitung der Bibliothek der Fachhochschule Köln. Seit 1995 leitete er die Universitätsbibliothek Mannheim. Er lebt in Maxdorf, ist verheiratet und hat einen Sohn. oka

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Was genau bedeutet die Digitalisierung einer Bibliothek?

Das findet auf mehreren Ebenen statt. Digitalisierung bedeutet, alle Prozesse über den Rechner zu steuern - also alles zu automatisieren, was sinnvoll ist und das möglichst benutzerfreundlich. Bereits seit einigen Jahren digitalisieren wir ausgewählte Bücher. Wir haben aber auch in jeder Bibliothek Aufsichtscanner, mit denen der Nutzer selbst Buchseiten einscannen, auf einen USB-Stick übertragen und dann - wohlgemerkt immer im Sinn des Urheberrechts - mit dem Inhalt arbeiten kann. Wir haben einen Onlinekatalog, in dem der gesamte Bestand erfasst ist. Ich kann nach bestimmten Werken suchen, oder einsehen, welche Werke zu einem bestimmten Themenkomplex vorhanden sind. Ich kann die Suche eingrenzen und beispielsweise nur die neuesten oder nur digitale Erscheinungen angezeigt bekommen.

Sie selbst haben während ihrer Studienzeit noch ganz anders gearbeitet. Fiel Ihnen diese Umstellung schwer?

Nein, überhaupt nicht. Ich bin schon früh mit der IT in Berührung gekommen und habe es immer als Erleichterung empfunden. Manchen älteren Menschen fällt es schwer, online Bücher zu finden oder auszuleihen. Unser Anliegen ist es deshalb, die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine so einfach wie möglich zu gestalten. Mein Traum wäre, dass man mit dem Computer sprechen kann. Dann würde ich einfach fragen: "Was sind die drei besten Lehrbücher für BWL?" Und dann spuckt der Rechner die Antwort aus. Und am besten kann man die Bücher dann noch gleich ausleihen - ganz ohne Tippen.

Quasi eine Alexa oder Siri für die Universitätsbibliothek?

Genau (lacht). Das wäre toll.

In Ihre Ära fielen auch große räumliche und bauliche Veränderungen.

Als ich kam, waren die Bibliotheken in Mannheim baulich in schlechtem Zustand. Es gab 13 Einzel- und Institutsbibliotheken. Meine große Vision war, möglichst viel zusammenzulegen, um eine größtmögliche Effizienz zu schaffen. Außerdem sollte ein funktionales und schönes Ambiente entstehen, sodass die Studierenden gern kommen und sich wohl fühlen. Dazu gab es sehr früh ein Gesamtkonzept, das wir mit dem Rektorat und dem Amt für Vermögen und Bau Baden-Württemberg Schritt für Schritt umgesetzt haben. Es ging los mit dem Bau der Bibliothek in A 3 und wurde fortgesetzt mit dem Umbau im Schloss mit der Bibliothek im Ehrenhof und im Schneckenhof, die 2007 und 2011 abgeschlossen waren. Dazu kam der Umbau des Universitätsgebäudes mit der Bibliothek der Sozialwissenschaften in A 5 und zuletzt 2016 das neue Ausleihzentrum im Westflügel des Schlosses.

Wenn jetzt vermehrt digitale Medien angeschafft werden, stehen dann bald ganze Räume der Mannheimer Universitätsbibliothek leer?

Der Zuwachs an Gedrucktem wird natürlich sinken, doch die frei gewordene Fläche können wir in neue Nutzerräume umgestalten. Ein Beispiel ist unser 2014 eröffnetes Learning Center in der Schneckenhof-Bibliothek. Das ist ein Bereich für Einzel- und Gruppenarbeit. Jeder Arbeitsplatz ist mit modernster Technik ausgestattet und die Bibliotheksbereiche A 3, Ehrenhof und Schneckenhof sind zudem klimatisiert. Das ist vor allem im Sommer von Vorteil. Ganz davon abgesehen kann ich mir nicht vorstellen, dass es irgendwann einmal eine Unibibliothek ohne Bücher gibt. Sie wird hybrid bleiben, denn gerade in einzelnen Fachbereichen, etwa bei den Juristen, kann ich mir nicht vorstellen, dass nur noch digital veröffentlicht wird - immerhin geht es da um Gesetzestexte.

Die Uni besitzt auch historische Dokumente. Was sind Ihre größten Schätze?

Unser Kernstück ist die Bibliothek des Jesuitenpaters Desbillons. Dabei handelt es sich um alte Drucke. Die wichtigsten haben wir als Preziosen digitalisiert und im Internet ausgestellt. Unser wertvollstes Stück ist der Kolumbus-Brief, der gerade in der Päpste-Ausstellung in den Reiss-Engelhorn-Museen zu sehen ist. Darin schreibt Kolumbus an das spanische Königshaus, wie es ihm auf seiner Reise ergangen ist. Von dem Brief gibt es nur zwei Exemplare, und eins haben wir.

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