"Eine absolute Bereicherung"

Toni L. im RNZ-Interview: Für ihn gehört das Hip-Hop-Archiv nach Heidelberg

12.01.2012 UPDATE: 12.01.2012 09:15 Uhr 4 Minuten, 49 Sekunden
Von Steffen Blatt

Toni L. ist einer der "Urväter" des Hip-Hop und zusammen mit Torch und der Gruppe "Advanced Chemistry" Erfinder des deutschsprachigen Rap. Im RNZ-Interview spricht der 42-jährige Vater von drei Kindern über das geplante Hip-Hop-Archiv in Heidelberg, sein Verhältnis zu Torch und über die Kraft, die ihn antreibt.

Wie gefällt Dir die Idee eines Hip-Hop-Archivs?


Ich finde Torchs Projekt super. Er war schon immer ein Visionär. Ein Archiv ist ja nichts anderes als eine Sammlung von Kulturgut für die Nachwelt. Und gerade Hip-Hop ist heute mit so vielen Klischees beladen, jeder hat davon ein anderes Bild. Darum ist es schön, wenn man die Wurzeln beleuchtet und den Entstehungsprozess aufzeigt, weil diese Phase natürlich die spannendste ist.

Du siehst heute Graffiti-Schriftzüge auf Joghurtbechern, in der Fernsehwerbung werden Produkte mit Raptexten oder Breakdance beworben. Ob in der Modebranche oder bei Musikproduktionen, überall erkennt man die Einflüsse von Hip-Hop. Mit einem Hip-Hop-Archiv können wir die Dinge festhalten und einen Einblick bekommen, wo alles herkommt. Und natürlich ist es für Heidelberg als Stadt mit einer großen Geschichte eine wunderbare Sache, wenn sie anerkennt, dass auch Hip-Hop Teil dieser Geschichte ist, zumal viele unserer Werke auch in der Tradition der deutschen Literatur stehen. Das ist ja auch schon von Schulbüchern, Museen und Stadtführern erkannt worden.

Was könnte Toni L. zu einem Hip-Hop-Archiv beitragen?

Natürlich einiges, ich bin vor Ort, zudem hat jeder Old-Schooler von damals seine Schatzkiste zu Hause, ich auch. Es gibt also genügend Zeitdokumente und dabei kommen vielleicht auch nicht so bekannte Namen zum Vorschein, die zu dieser Entwicklung beigetragen haben - in welcher Form auch immer, denn Hip-Hop besteht ja nicht nur aus Musik; Tanz und Graffiti gehören ebenso dazu.

Was könnte ein solches Archiv über die reine Aufbewahrung hinaus leisten?

Es hängt natürlich vom Budget ab. Es wäre natürlich schön, wenn es ein "erfahrbares" Archiv werden könnte, in dem die Exponate nicht nur verwahrt werden, sondern auch fachgerecht präsentiert. Wir haben viele Ideen, der Kreativität sind da keine Grenzen gesetzt. Es öffnet Türen und Möglichkeiten für Projekte mit Kindern und Jugendlichen oder mit Schulen. Heidelberg hat eine reichhaltige Geschichte, und es kommen ohnehin viele Schulklassen hierher. Wenn die dann außer über die Kurfürsten oder die Universität auch etwas über den Hip-Hop erfahren können, ist das natürlich umso spannender.

Ebenso könnten so die älteren Generationen die Stadt auch aus der Sicht ihrer Kinder und Enkelkinder erfahren. Es ist auch eine Wertschätzung für eine Generation von Heidelbergern, die sich immer stark mit ihrer Stadt identifiziert hat, die aber nie von offizieller Seite erkannt und registriert wurde. Es passt perfekt hier hinein und ist ein authentischer Mosaikstein der Kulturgeschichte der Stadt.

Es scheint, dass Du der Letzte bist, der die Hip-Hop-Fahne von damals in Heidelberg noch hochhält. Torch ist nach Zürich gezogen, andere "Veteranen" sind musikalisch kaum noch aktiv.

Dass Torch die Stadt verlassen hat, hatte auch familiäre Gründe. Und Zürich ist ja nicht aus der Welt. Die Liebe und die Verbundenheit zur Stadt hat Torch ja durch seine Geburtstagsparty gezeigt. Einmal Heidelberger, immer Heidelberger. Die Zündung für den Motor, der mich antreibt, ist nach wie vor dieselbe: die pure Leidenschaft und die Liebe zur Kultur und zur Musik. Das ist mein Leben, und das kann ich nicht einfach ausschalten, nur weil der eine jetzt in Berlin und der andere in Australien lebt.

Wie ist Dein Verhältnis zu Torch?

Wir sind beste Freunde, und mein Kontakt zu ihm ist wie eh und je. Wir tauschen uns aus, machen unsere Konzerte und Projekte. Wir haben so viel zusammen durchlebt, da gibt es noch viele spannende Geschichten zu erzählen, da kann man Bücher drüber schreiben.

Viele Fans treibt eine Frage um: Warum haben Advanced Chemistry nicht mehr Platten rausgebracht?

Wir haben Advanced Chemistry immer als Gruppe gesehen, die nicht wie eine kommerzielle Band funktioniert. Es war nicht unser Ansporn, viele Platten rauszubringen und Hits zu machen. Wir ticken da anders und waren nie so mediengeil wie andere. Das kann man als Stärke sehen - oder als Schwäche. Wir wollten unabhängig sein, unser Hip-Hop-Ding machen und Musik aus dem Bauch heraus veröffentlichen, auch wenn es kleinere Päckchen sind.

Ihr wart eher Musiker, die in unterschiedlichen Projekten arbeiten als in einer festen Besetzung.

Richtig. Als zum Beispiel "Toni L. - der Pate" rauskam, hat Torch im Hintergrund genauso mitgewirkt, als ob es sein eigenes Album wäre. Und als Torchs "Blauer Samt" veröffentlicht wurde, war ich ebenfalls daran beteiligt. Das war immer ein Gefühl von Familie, das war uns sehr wichtig. Aus kommerzieller Sicht waren ja auch "Blauer Samt" und "Funkjoker" unsere erfolgreichsten Alben. Zudem gab es noch viele weitere Aktivitäten, die über die Veröffentlichung eines Tonträgers hinaus gingen. Wir haben europaweit Hip-Hop-Workshops geleitet, haben uns mit Projekten wie "Brothers Keepers" stark gegen Diskriminierung und Rassismus engagiert und haben Veranstaltungen auf die Beine gestellt.

Gab es nie die Idee, sich an eine große Plattenfirma zu binden?

360° Records war immer unsere Basis, unsere Unabhängigkeit. Natürlich gab es einige Kooperationen mit großen Plattenfirmen, aber das war nie die Grundlage unserer Existenz, da wir eigene funktionierende Strukturen haben. Es war für uns immer wichtig, selbst zu wissen, wie der Apparat funktioniert, vom Platten herstellen bis zum Vertrieb...

Von der Musik zu leben: War das Dein Traum?


Das ist für jeden Künstler ein Traum. Aber mir hätte in den Achtzigern niemand erzählen können, dass ich 2012 aktiver Künstler bin, und dass deutschsprachiger Rap heute überhaupt in dieser Form und Größe existiert. Vieles im Hip-Hop heute hat nichts mehr mit den Idealen der Kultur zu tun - genau die wollen wir aber weiter am Leben halten. Wir machen unser Ding und finden hin und wieder in der Mainstreamkultur statt. Wir sind ein U-Boot im Underground und können jederzeit auftauchen.

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Ist Heidelberg ein guter Platz dafür?

Es ist nun mal der Ort, an dem die Geschichte passiert ist. Wenn die Stadt jetzt die Chance wahrnimmt, zusammen mit Torch ein Hip-Hop-Archiv einzurichten, dann ist es eine absolute Bereicherung für die Stadt und belebt auch die Subkultur. Heidelberg war immer ein Ort der Inspiration, hier wurden Dinge kreiert, die dann in die Welt getragen wurden.

Wir haben damals in "Fremd im eigenen Land" gerappt, dass wir den grünen Pass mit dem goldenen Adler darauf haben. In jedem unserer Pässe steht Heidelberg als Geburtsort. Und wenn der deutschsprachige Rap einen Pass hätte, würde da ebenfalls Heidelberg als Geburtsort drinstehen. Und darum gehört das Hip-Hop-Archiv nach Heidelberg.

Zur Person:

Toni Landomini wird 1969 als Sohn eines Italieners und einer deutschen Mutter in Heidelberg geboren. Als Schüler beginnt er Anfang der 1980er Jahre mit Freunden zu rappen. 1987 gründet er mit Torch, Gee One, Linguist und DJ Mike MD "Advanced Chemistry". Schon früh texten die Fünf in ihrer Muttersprache und werden so zu Pionieren des deutschsprachigen Rap. 1992 gründet Toni L. mit einigen Mitstreitern das Label "MZEE", auf dem auch die erste "Advanced Chemistry"-Single "Fremd im eigenen Land" erscheint. In dem wegweisenden Lied setzt sich die Gruppe mit den Problemen junger Deutscher mit Migrationshintergrund auseinander. 1995 ist Toni L. Mitgründer des Labels "360°-Records", auf dem sein erstes Soloalbum "Der Pate" erscheint (1997). Nach zahllosen Kooperationen mit verschiedenen Projekten (unter anderem für Torchs Album "Blauer Samt") erscheint 2002 Toni L.s zweiter Longplayer "Der Funkjoker". Es folgen Projekte unter anderem mit "Brothers Keepers" (Xavier Naidoo, Torch, Samy Deluxe, Afrob und andere) oder "Blumentopf" und 2007 schließlich das Album "Funkanimal", das zusammen mit der Heidelberger Funk-Band "Safarisounds" produziert wurde.

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