Prozess in Heidelberg

Mann kam nach Wutreden am Uniplatz in die Psychiatrie - Und ist nun wieder frei

"Das Strafrecht ist nicht dazu da, Behandlungen zu erzwingen" - Widerstand bei Festnahme - Richter: Kein Grund für Unterbringung

04.08.2020 UPDATE: 05.08.2020 06:00 Uhr 2 Minuten, 27 Sekunden
Das Heidelberger Landgericht. Archiv-Foto: Dorn

Von Jonas Labrenz

Heidelberg. Ein 54-Jähriger hatte im Oktober 2019 lautstark und aggressiv am Uniplatz deklamiert, die hinzugerufenen Polizisten wollten ihn kontrollieren, er wehrte sich und sie brachten ihn zu Boden. Dann fanden sie ein Messer unter ihm. In Anbetracht der Vorgeschichte des psychisch kranken Mannes beantragte die Staatsanwaltschaft, ihn in einer Psychiatrie unterzubringen. Doch der Vorsitzende Richter Markus Krumme entschied am Montag anders. Die Große Strafkammer des Heidelberger Landgerichts lehnte den Antrag ab. Der 54-Jährige, der seit Februar in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung lebte, ist wieder frei.

"Ich hatte Angst", erklärte die Zeugin, die damals die Polizei gerufen hatte. Sie habe als Verkäuferin allein in einem Laden am Uniplatz gearbeitet, vor dem der Mann seine Reden gehalten habe. "Ich dachte erst, er spielt Straßentheater", erklärte die 60-Jährige. Doch: "Der Mann hat innerlich geschäumt." Obwohl er sich nie an einzelne Passanten gewandt hatte, rief sie die Polizei. "Ich wollte nicht, dass er etwas macht und wir Probleme bekommen."

Die Polizisten wollten den 54-Jährigen kontrollieren und baten ihn um seinen Ausweis. Doch der Mann lehnte ab, hielt das für nicht rechtmäßig. Als die Beamten ihn durchsuchen wollten, schubste er einen von ihnen leicht, ging einen Schritt zurück und schlug mehrmals drohend in die Luft. "Das war für uns keine Gefahr", sagte der Polizist im Zeugenstand. Der Mann sei weit genug weg gewesen. Die Polizisten haben den 54-Jährigen daraufhin zu Boden gebracht und wollten ihm Handschellen anlegen.

Der Mann sperrte sich, griff auch an die Westen der Beamten. Als sie ihn schließlich fesseln konnten, drehten sie ihn zur Seite, um ihn zu durchsuchen, und fanden unter ihm ein Messer. Die Klinge war in Küchenpapier gewickelt. "Es ist ihm beim Gerangel und Gezappel wohl aus der Tasche gefallen", sagte der Polizist aus. Ob er es auch bereits vorher hätte ziehen können, wollte Richter Krumme wissen. "Mit Leichtigkeit", so der Beamte.

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Bereits früher ist der Beschuldigte auffällig geworden. Mal fuhr er Zug, ohne zu bezahlen. Auch beim Klauen im Supermarkt wurde er erwischt und wehrte sich anschließend gegen Polizisten. In einer Obdachlosenunterkunft, einem großen Wohnheim mit Einzelzimmern und Gemeinschaftsküchen, soll der 54-Jährige mal ein Messer auf zwei Mitbewohner gerichtet haben, als sie nachts zu ihm in die Küche gekommen seien. Genau erinnerte sich der Sozialpädagoge der Einrichtung nicht, als er am Montag aussagte.

Seine Wohnung hatte der 54-Jährige im Jahr 2017 verloren. Es soll schwerwiegende Probleme gegeben haben, irgendwann wurde sie in seiner Abwesenheit geräumt. Es habe eine Gefahr für die Gesundheit der anderen Mieter bestanden, hieß es. Der Mann lebte daraufhin in verschiedenen Unterkünften. Die Räumung habe seinen Zustand verschlimmert, mutmaßte der Sozialpädagoge aus der Obdachlosenunterkunft. Er habe sich immer weiter zurückgezogen.

Die Psychiaterin stütze sich in ihrem Gutachten über den 54-Jährigen auf die Aktenlage, ein Gespräch sei trotz mehrmaliger Versuche nie möglich gewesen, erklärte sie am Montag. Der Mann leide seit 2010 an einer Schizophrenie. Er fühle sich verfolgt, als Opfer. Das machte der Beschuldigte auch in der Verhandlung lautstark deutlich. "Ich bin kein Krimineller", rief er den Richtern zu. Weil er während der Verhandlung immer wieder dazwischen redete und nicht zur Vernunft zu bringen war, wurde er aus dem Saal gebracht und erst zur Urteilsverkündung wieder aus dem Arrest geholt.

Als Krumme verkündete, dass die Kammer den Antrag auf Unterbringung ablehnt, verstand das der Angeklagte lange nicht, und schimpfte weiter. Es sei offensichtlich, dass der Mann Hilfe brauche, erklärte Krumme in der Urteilsbegründung. Die Unterbringung sei allerdings einer der schwersten Eingriffe, die das Gesetz vorsehe. "Man darf es sich nicht zu einfach machen", mahnte er: "Das Strafrecht ist nicht dazu da, Behandlungen zu erzwingen." Man könne nie ausschließen, dass jemand im Wahn angreife. Anhaltspunkte gebe es hier aber nicht. "Im Gegenteil", so Krumme: "Er neigt eher dazu, sich zurückzuziehen. Er hat nicht angegriffen und auch das Messer nicht gezogen."

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