Studierende des neuen Studiengangs diskutieren mit den Professoren Weitzel-Polzer (Mitte rechts) und Doron Kiesel (Mitte links). Foto: Rothe
Von Svenja Schlicht
Heidelberg. Fast jeder der 30 Studierenden hat bereits in einer jüdischen Einrichtung gearbeitet. Jetzt sitzen sie an einem Tisch in der Hochschule für Jüdische Studien und diskutieren über die Lehren von Alice Salomon. Was sie alle eint: Sie studieren seit vergangener Woche "Jüdische Soziale Arbeit".
Sonja Fercht ist Erzieherin und in einem jüdischen Kindergarten tätig. Sie sagt: "Es ist schön, wenn man die eigene praktische Erfahrung mit theoretischen Ansätzen verbinden kann." Durch das umfangreiche Vorwissen setzt der Bachelor-Studiengang an denjenigen Stellschrauben an, die in der Praxis benötigt werden. "Soziale Probleme sind ein zentrales Thema bei uns. Wir versuchen, durch den Praxisbezug Fragen zu Vielfalt, Integration und Migration zu beleuchten", erklärt Prof. Doron Kiesel, der für die Lehre mitverantwortlich ist.
Ob in Kindergärten oder im Umgang mit älteren Menschen: Auf die Unterstützung von ausgebildeten Fachkräften kann man nur schwer verzichten. Hierbei bilden auch jüdische Gemeinden und Einrichtungen keine Ausnahme. Deshalb haben der Zentralrat der Juden, die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden und die Fachhochschule Erfurt den neuen Studiengang ins Leben gerufen.
Die Hochschule für Jüdische Studien ist erstmalig Austragungsort dieser Kooperation. "Jüdische Soziale Arbeit" umfasst ein klassisches Studium der Sozialen Arbeit, verbindet es mit jüdisch geprägten Inhalten und einem großen Praxisblock, den man in jüdischen Einrichtungen absolviert. Wegen der hohen Nachfrage musste sogar eine Vielzahl von Bewerbern abgelehnt werden, denn die Kursgröße ist auf 30 Teilnehmer beschränkt. Der Zentralrat der Juden finanziert das Studium.
Anlass für die Einführung des Studiengangs sind die wachsenden jüdischen Gemeinden, deren Bedarf an Fachkräften durch neue Mitglieder stetig wächst. "In unserer Gemeinde gibt es nicht viele junge Mitglieder, die die anfallenden Aufgaben übernehmen können", berichtet Thorsten Schmarmund. Er ist Teilnehmer des Kurses und engagiert sich bereits seit Jahren in seiner Gemeinde.
Der Studiengang ist aber nicht nur für jüdische Studierende interessant, sondern bietet auch allen anderen einen umfassenden Einblick in die Soziale Arbeit. Er ist so ausgelegt, dass man die Kurse auch berufsbegleitend belegen kann. Zudem besteht die Möglichkeit, den Schabbat auszusetzen. "Für mich als gläubiger Jude ist das sehr wichtig. Das wäre an einer anderen Hochschule nicht ohne Weiteres möglich", betont Mikhail Vorobiev, der selbst seit letzter Woche an den Kursen teilnimmt.
Die "Jüdische Soziale Arbeit" verbindet die Fächer Soziologie, Psychologie und Pädagogik. Was diesen Studiengang einzigartig macht, ist die Aufnahme jüdischer Autoren in den Lehrplan, an Stellen, wo sonst oft nicht-jüdische Autoren gelesen werden. "In den Sozialwissenschaften gibt es wichtige jüdische Theoretiker, die an anderen Hochschulen oft unter den Tisch fallen", erläutert Prof. Esther Weitzel-Polzer, Vertreterin der Fachhochschule Erfurt und Mitorganisatorin. So sind unter anderem die Gründerin der Sozialen Arbeit als Wissenschaft, Alice Salomon, und der Begründer der Psychoanalyse, Sigmund Freud, Teil des Lehrplans. Die Studierenden erhalten am Ende des Studiums einen Bachelor of Arts-Abschluss und können sich in jüdischen und nicht-jüdischen Einrichtungen einbringen.