Bei der Vergabe des Bürgerrechtspreises im Außenministerium in Berlin (von links): Stifter Manfred Lautenschläger, Preisträger Tilman Zülch, Laudator Christian Schwarz-Schilling und Romani Rose. Foto: if
Von Ingrid Thoms-Hoffmann
Es gibt sie, diese "unbequemen Mahner unserer Zeitgeschichte". Tilman Zülch, der Generalsekretär der "Gesellschaft für bedrohte Völker" ist so einer. Aber auch Christian Schwarz-Schilling, jener Mann, der einmal Postminister unter Kohl war. Was die beiden verbindet, das ist ihr Kampf für die Menschenrechte. In Berlin trafen sich jetzt die beiden Freunde. Der eine, Zülch, wurde mit dem "Europäischen Bürgerrechtspreis der Sinti und Roma" geehrt, der andere sprach die Laudatio. Aus Heidelberg waren Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma und Manfred Lautenschläger, der Preisstifter, angereist.
Es war ein bewegender Moment, als Lautenschläger da vorne auf der Bühne stand und vor Hunderten von Gästen im Außenministerium sagte: "Herr Schwarz-Schilling, ich schäme mich!" Zuvor hatte der Ex-Minister, der Anfang der 90er Jahre sein Amt und später auch sein Bundestagsmandat niederlegte, die vergangene, aber auch die aktuelle Zuwandererpolitik der Bundesrepublik kritisiert. Und Lautenschläger geißelte die Gleichgültigkeit einer Gesellschaft gegenüber armen Menschen, die in dem Satz eines deutschen Ministerpräsidenten gipfelte: "Ich werde die Zuwanderung in die Sozialsysteme bis zur letzten Patrone bekämpfen."
Für diesen Satz schämte sich Lautenschläger. Seine Betroffenheit war wie eine Entschuldigung an die jungen Roma und Nicht-Roma von "Amaro Drom". Dem Verein verlieh er den mit 5000 Euro dotierten Sonderpreis. In dem interkulturellen Verband engagieren sich Jugendliche, die nicht "länger Objekte der Entscheidungen anderer sein wollen", die für ihre eigenen politischen Rechte kämpfen und die Zukunft mitgestalten wollen. Eine Zukunft, die es für 500.000 Sinti und Roma nie gegeben hat. Sie wurden von den Nationalsozialisten umgebracht.
Erst spät, und nach langem Kampf - darauf weist Romani Rose immer wieder hin - wurde der Völkermord an der Minderheit anerkannt. Dass "das Stigma vom Zigeuner wirkungsvoll aufgebrochen" wurde, das sei auch Zülch zu verdanken. "Ohne ihn hätte die Bürgerrechtsbewegung der Deutschen Sinti und Roma in ihrer entscheidenden Gründungsphase ab Ende der 1970er Jahre nicht diese öffentliche Breitenwirkung entfalten können", so der Zentralratsvorsitzende. "In Auschwitz vergast, bis heute verfolgt" hieß das Buch von Zülch, das 1979 erschien und die Situation der Roma in Europa beleuchtete.
Wie erschreckend aktuell es heute noch ist, das wurde in der mutigen Rede des ehemaligen CDU-Politikers Schwarz-Schilling deutlich. "Wenn wir heute über Sinti und Roma und ihre Leidensgeschichte in Europa sprechen, dann ist das keine Geschichtsbetrachtung der Vergangenheit", so der Ex-Minister. Und er fragte sich, was der Staat für diese Menschen getan hat, seit Bundeskanzler Schmidt und Bundespräsident Herzog den Völkermord offiziell anerkannt haben. Sein Fazit fällt ernüchternd aus.
Dass durch die Koalitionsvereinbarung die Staaten des Westbalkans zu "sicheren Herkunftsländern" deklariert wurden, könne als Grund nur haben, Flüchtlinge schneller abweisen oder abschieben zu können. Was sich in diesen Ländern gerade auch in Bezug auf Sinti und Roma abspiele, sei alles andere als ein "sicheres Herkunftsland". Der 83-Jährige gibt sich kämpferisch, wenn es um Menschenrechte geht.
Mit dem zehn Jahre jüngeren Preisträger ist der Ex-Politiker schon seit Jahrzehnten befreundet. Auch Tilman Zülch lässt sich nicht unterkriegen. Als junger Mann sah er in Biafra die Entsetzlichkeiten an Menschenrechtsverletzungen. Er wollte diesen Menschen helfen. Und es war kein "Ausbruch einer idealistischen Phase seines Lebens", sondern es sollte das ganze Leben Zülchs bestimmen. "Persönlichkeiten wie Tilmann Zülch stehen als Einzelpersonen da, stemmen das Untragbare mit aller Kraft. Nur, wenn wir über solche Bürger verfügen, wird auch der Staat in entsprechender Weise zur Menschlichkeit ausgerichtet", lobte Schwarz-Schilling den Begründer der "Gesellschaft für bedrohte Völker".
Der so Geehrte gab den Dank und den Respekt, so wie alle Redner vor ihm, an Manfred Lautenschläfer weiter. Den ohne sein Engagement könnte der mit 15.000 Euro dotierte Preis nicht alle zwei Jahre vergeben werden.