Die Vertreter der Interessengemeinschaft Historischer Marktplatz hatten gestern zum Gespräch auf den Marktplatz gebeten. Gerald Haas (rechts) moderierte das Treffen, in dessen Verlauf alle versuchten, den vorgeschriebenen Abstand voneinander einzuhalten. Foto: Kreutzer
Von Philipp Weber
Weinheim. Der Marktplatz liegt noch weitestgehend im Schatten, als sich rund 20 Vertreter der Interessengemeinschaft Historischer Marktplatz auf dem Pflaster aufstellen – selbstverständlich jeweils etwa eineinhalb Meter voneinander entfernt. Auch die Presseschreiber und Fotografen machen einen ungewohnt großen Bogen umeinander. Die Situation ist an Skurrilität kaum zu überbieten. Aber zum Lachen ist keinem zumute in der Runde, die aus zwei Einzelhändlern und sonst ausschließlich aus Gastronomen besteht.
"Für viele hier bedeutet die aktuelle Situation den wirtschaftlichen Totalschaden", sagt Gerald Haas ("Diebsloch"), den die IG Marktplatz offenbar zum Wortführer auserkoren hat. Dennoch: "Wir sind nicht hierhergekommen, um auf Regierungen und Behörden herumzuhacken", stellt der Gastronom klar. Damit spricht er für viele Kleinunternehmer, die die RNZ in den letzten Tagen interviewt hat.
Stadt gibt Vermietern ein Beispiel
Denn als Menschen und Bürger sind die Geschäftsleute genauso besorgt wie viele andere. Vermutlich zählen die meisten von ihnen sogar zu der Fraktion der Vernünftigen, die den Anweisungen der Behörden Folge leisten. Einige haben ihre Eltern schon unter (freiwillige) Quarantäne gestellt.
"Wir möchten den Leuten aber auch in dieser Lage klar machen, was hier bei uns geschieht", so Gastronom Haas. "Wir wollen den Weinheimern sagen, dass wir wieder aufstehen. Aber wir brauchen Hilfe." Haas und sein Kollege Andrés Salazar ("Café Florian") erklären, warum die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Krise gerade die Wirte tief ins Mark trifft.
"Die Frühjahrsmonate bilden Jahr für Jahr die Blütezeit des Marktplatzes", sagt Salazar. Viele Gastronomen hier ziehen das fest angestellte Personal mit durch den Winter, um die Reserven in den warmen Monaten aufzufüllen. Daraus wird dieses Jahr wenig bis nichts. Zumal nun auch sicher ist, dass die für Christi Himmelfahrt und das Wochenende danach geplante Weinheim-Tagung der studentischen Corps-Verbindungen in diesem Jahr gestrichen wird, ersatzlos. Eine Verlegung in den Herbst hätte wohl alle Beteiligten überfordert.
Zwar hatten die meisten Restaurants und Cafés am Donnerstagvormittag noch geöffnet. Aber schon am Nachmittag desselben Tages verfügte die Stadt Weinheim, dass alle Restaurants geschlossen werden müssen – abgesehen vom Abholservice, für den zum Beispiel das Edelrestaurant "La Cantina" schon intensiv wirbt. Letztlich war damit zu rechnen: Aus epidemiologischer Sicht hätte es wohl kaum Sinn ergeben, Restaurants in Mannheim zu schließen und ein paar Kilometer weiter in Weinheim zu öffnen. Er habe seinen studentischen Aushilfen nun absagen müssen, bedauert "Diebsloch"-Wirt Haas. Wegen der Angestellten führe er Gespräche mit der Agentur für Arbeit. Stichwort: Kurzarbeit.
Auch bei anderen stehen Termine mit dem Steuerberater, dem Vermieter oder dem Gebäudefinanzierer rot im Kalender – sofern sie nicht schon geführt wurden. "Wir tauschen uns aus und unterstützen einander", betont Haas: "Und wir werden ein riesiges Fest ausrichten, wenn das hier alles vorbei ist", kündigt er an, um nur halb im Spaß hinzuzufügen: "Sofern wir dann noch können." Claudia Lüttin (Le Petit Cafe) ergänzt: "Unsere wichtigste Währung ist jetzt Solidarität."
An verbaler Zuwendung mangelt es nicht: "Ich bekomme zur Zeit so viele aufmunternde Worte zu hören, dass es mir schon peinlich ist", sagt Haas. Doch Gastronomie ist ein komplexes und bisweilen hartes Geschäft. So würden freundliche Worte und Stundungen allein kaum weiterhelfen, meint Salazar. "Die Corona-Krise und die kommenden Verdienstausfälle ziehen einen Rattenschwanz hinter sich her." Zumindest einen kleinen Lichtblick gewährt die Stadt Weinheim am Donnerstagabend: OB Manuel Just hat angekündigt, dass die Stadt im März und im April auf die Mieteinnahmen aus städtischen Immobilien verzichtet, sofern diese an Kulturschaffende, Veranstalter, Gastronomien oder den Einzelhandel vergeben sind. Davon könnte das Café Central profitieren, teilt die Stadt mit. OB Just und Erster Bürgermeister Torsten Fetzner appellieren an private Vermieter, ihrem Beispiel zu folgen. Die Stadt verzichte auch auf Pachtgelder von Vereinen für Sportstätten, ebenso wie auf Stornogebühren.
In der Innenstadt setzt sich am Ende die Sonne durch. Sie scheint auf Straßen und Plätze, die ungewohnt leer sind.