Bundestagswahlen 2017

Lothar Binding über fehlende Krippenplätze und die flexible Rente

Bundestagskandidat im RNZ-Interview: Lothar Binding (SPD) äußert sich außerdem zu Bahnlärm und Bauplätzen

31.08.2017 UPDATE: 01.09.2017 06:00 Uhr 6 Minuten, 4 Sekunden

"Wir können im Bund leider nicht sicherstellen, dass die Länder die Mittel korrekt weitergeben. Manche nutzen sie, um ihr Haushaltsloch zu stopfen", sagt Lothar Binding über das Geld, das für den sozialen Wohnungsbau bereitgestellt wurde. Foto: Kreutzer

Von Frederick Mersi und Maren Wagner

Bergstraße-Neckar. Lothar Binding sitzt seit 1996 für die SPD im Bundestag. Wer seinen Lebenslauf liest, nimmt ihm ab, die Probleme des kleinen Mannes zu kennen: Er hat sich vom Starkstromelektriker-Lehrling bis zum Mathematiker hochgearbeitet. Um sich das Studium zu finanzieren, betrieb er nebenbei ein Schallplattenantiquariat. Jetzt ist er 67: "Wir haben die Idee eines flexiblen Übergangs in die Rente, und das nehme ich jetzt wahr", sagt er im RNZ-Interview.

Hintergrund

Alter: 67 Jahre

Wohnort: Heidelberg

Geburtsort: Sandershausen

Beruf: Starkstromelektriker, Mathematiker

Familienstand: verheiratet

Parteimitgliedschaft: seit 1966

Fachgebiet: Finanzpolitik

Lieblingsort im Wahlkreis: Dort, wo es

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Alter: 67 Jahre

Wohnort: Heidelberg

Geburtsort: Sandershausen

Beruf: Starkstromelektriker, Mathematiker

Familienstand: verheiratet

Parteimitgliedschaft: seit 1966

Fachgebiet: Finanzpolitik

Lieblingsort im Wahlkreis: Dort, wo es Kaffee gibt und bestenfalls auch noch ein gutes Eis, also in Ladenburg und in Weinheim auf dem Marktplatz, in Schriesheim im Kaffeehaus oder in Edingen-Neckarhausen in der Eisdiele.

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Herr Binding, Sie sind jetzt seit fast 20 Jahren im Bundestag und mittlerweile im Renteneintrittsalter. Wäre das nicht ein guter Zeitpunkt, kürzer zu treten?

Es wäre vielleicht ein guter Zeitpunkt, wenn es einem nicht gut geht. Wir haben die Idee des flexiblen Übergangs in die Rente: Bei guter Gesundheit darf länger gearbeitet werden, andernfalls soll es möglich sein, früher in den Ruhestand zu gehen. Auf dem Listenparteitag waren viele meiner Meinung, denn ich hatte das beste Ergebnis bei der Listenwahl. Hätte ich 45 Jahre als Starkstromelektriker weiter gearbeitet, würde ich sicher gern kürzer treten.

Ihr Kollege von der CDU ist in der Region auf fast jedem Fest zu sehen, bei Jahreshauptversammlungen und Fass-bieranstichen. Sie sieht man selten. Warum?

Man sieht mich oft, aber nicht so oft wie den Kollegen auf Festen oder am Bierfass. Manchmal denke ich, dass ich noch zu oft auf Festen zu sehen bin, denn dort sieht jeder, dass ich nichts arbeite. Ansprechbar bin ich ja sowieso überall und zu jeder Zeit. Ebenso wichtig ist es für mich, in Berlin bei der Gesetzgebung fachlich zu arbeiten, und dabei braucht man nicht nur Leute, die sich im Wahlkreis präsentieren. Die Reden im Bundestag sind nur die Spitze des Eisbergs. Bei mir waren es 54, davon neun zu Protokoll. Außerdem greifen viele Kollegen im Parlament gern für Fachvorträge auf mich zurück.

Was aber haben die Wähler an Neckar und Bergstraße davon?

Ich glaube, es ist sehr klug, den eigenen Wahlkreis so zu vertreten, dass auch andere der Meinung sind: Dieser Wahlkreis muss gut vertreten werden. Wenn Leute aus Berlin, Bad Tölz, Bochum, Buxtehude und Bautzen helfen, die gleichen Probleme zu lösen, wie wir sie in der Kurpfalz haben, dann können wir auf Bundesebene tatsächlich unsere Probleme im Wahlkreis lösen. Allein geht fast nichts in der Demokratie. Ich denke an soziale Sicherung und Armutsbekämpfung, Verkehrsinfrastruktur oder bezahlbare Wohnungen.

Ist in Konkurrenz um das Direktmandat weniger Präsenz im Wahlkreis dennoch nicht eher hinderlich?

Manche Leute wählen danach, wen sie kennen, und manche, wen sie für qualifiziert und engagiert halten. Sich auf jedes Bild zu drängen, bringt keine Lösungen, hilft aber manchmal trotzdem bei der Wahl. Viele Leute wissen zu schätzen, wie ich arbeite.

Kommen wir zum Wahlprogramm: Darin steht, die Mittel für den sozialen Wohnungsbau seien dank der SPD deutlich erhöht worden. In Schriesheim gibt es aber keine Sozialwohnungen. Wo ist denn das Geld hingeflossen?

Wir können im Bund leider nicht sicherstellen, dass die Länder die Mittel korrekt weitergeben. Manche stopfen ihre Haushaltslöcher. Deshalb wollen wir das Kooperationsverbot abschaffen. Die Ursachen für den Mangel an Sozialwohnungen liegen aber auch in der Abschaffung der Gemeinnützigkeit im Wohnungsbau 1990. Das müssen wir wieder aufbauen, denn die Kommerzialisierung hat die Mieten dermaßen in die Höhe getrieben, dass wir sogar schon eine Mietpreisbremse brauchen.

Auch bei der Mietpreisbremse klemmt es. Warum funktioniert sie nicht wirklich?

Wir sind erschrocken, wie manche Vermieter damit umgehen. Die Konsequenz: Vermieter müssen verpflichtet werden, die Vormiete zu nennen.

Wie könnte der Bund eine Stadt wie Schriesheim beim sozialen Wohnungsbau unterstützen?

Der Wohnungsmarkt ist nicht fair. Der Bund kann da mit Geld und günstigen Grundstücken der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben unterstützen sowie einige Bauvorschriften vereinfachen - aber nicht auf Kosten der Umwelt.

Das war ein Grund, warum in Edingen-Neckarhausen das Neubaugebiet "Mit-telgewann" abgeschmettert wurde. Der SPD-Ortsverein wollte hier sozialen Wohnungsbau realisieren. Ist für Sie Natur oder Wohnraum wichtiger?

Im Ergebnis bauen wir zu wenige Wohnungen, verbrauchen zu viel Fläche, zerstören zu viel Natur und geben zu viel Geld aus. Konkurrierende Ziele, die man vor Ort demokratisch verhandeln muss. Wenn die Wohnungsnot extrem groß ist, kann es sinnvoll sein, ein neues Gebiet zu erschließen. Aber wir müssen auch über den individuellen Wohnraum reden: Der ist in den letzten Jahrzehnten von 15 auf 40 Quadratmeter pro Person gestiegen. Das passiert gerade bei älteren Leuten gar nicht bewusst: Zum Beispiel stirbt der Partner, oder die Kinder sind aus dem Haus.

Auch das wird in Edingen-Neckarhausen diskutiert: Viele ältere Menschen wohnen in einem viel zu großen Haus. Aber man kann die Leute ja nicht zum Auszug zwingen.

Zwang darf nicht sein. Vielleicht würde man gemeinsam Lösungen finden, wenn wir auch öffentlich mehr über Wohnungstausch, Untervermietung und gute Wohnheime reden würden.

In der Region mangelt es auch an Bauplätzen. In Ladenburg wird gerade das Nordstadtprojekt entwickelt. Haben Sie einen Tipp, wie man junge Familien dort zum Zuge kommen lassen kann?

Wir haben das Familienbaugeld in unserem Programm. Das soll als Starthilfe beim Eigenheim unterstützen. Ansonsten müssen die Grundstückspreise erträglich bleiben, zum Beispiel durch Begrenzung der Spekulation. Ich würde außerdem bei der Definition von Wohnungen in Neubaugebieten ansetzen: 40 Prozent preiswerter Wohnungsbau, wie früher sozialer Wohnungsbau, 30 Prozent geförderte Eigentumsbildung und 30 Prozent frei privat finanziert. Was auch helfen würde, wäre eine Gemeindewirtschaftssteuer, damit Ladenburg etwas mehr Luft zum Atmen hat.

Hätte diese Gemeindewirtschaftssteuer auch beim Wegzug von Reckitt Benckiser aus Ladenburg geholfen?

Nein, gegen den Wegzug nicht, aber sie hätte Verluste und Schwankungen in der Gewerbesteuer etwas gepuffert.

Ein anderes Thema: 2014 beschloss der Bundestag eine Novellierung des Emissionsschutzgesetzes. Für Anwohner an der Bahnlinie in Weinheim eine Enttäuschung: Lärm wird weiter in Mittelwerten bemessen, nicht anhand der deutlich lauteren Spitzenwerte. Sie haben zugestimmt. Warum?

Leider war in der Koalition mit der CDU nicht mehr drin bei diesem Gesetz. Daher haben Sie recht, das Gesetz bringt in der Realität für Weinheim nichts. Unsere erste Aufgabe ist es, die Bahn zu verpflichten, die Bremssysteme der Güterzüge umzustellen. Dann wird es leiser, egal wie die Rechtslage ist. In Weinheim geht es aber vielmehr um ein Auffassungsproblem.

Was meinen Sie damit?

Die Bahn schreibt mir, das Projekt sei abgeschlossen. Das ist aber falsch, egal wie gemessen wird, denn der Lärm ist da. Abgeschlossen ist das Projekt also in formaler Hinsicht, aber es wurde nichts erreicht. Da ist sicherlich der Streit mit der Bahn noch nicht zu Ende. Das Problem löse ich aber nur, indem ich auch mit den hessischen Kollegen rede, oder mit denen im Süden. Wenn man die Lärmbelastung durch Bahnverkehr nicht deutschlandweit löst, ist für Weinheim auch keine Lösung zu finden.

Bleiben wir in Weinheim. 2018 tritt OB Heiner Bernhard nicht mehr zur Wahl an. Befürchten Sie, eine jahrzehntealte SPD-Hochburg zu verlieren?

Nein, wir haben ja gute Kandidaten in petto. Die sich alle noch nicht zeigen, deshalb bin ich da zum Stillschweigen verdonnert. Ein Vorteil ist immer, wenn ein Kandidat sich nicht nur selbst vorschlägt, sondern gefragt wird. Und ich glaube, da sind die Weinheimer Genossen auf einem ganz guten Weg, jemanden zu finden.

Kommt der Kandidat aus Weinheim?

(Lacht) Ich will mal so sagen, ja und nein. Es sind ja mehrere. Aber die überwiegende Antwort lautet ja.

Die SPD fordert eine Technologieneutralität beim Ausbau der erneuerbaren Energien, hat aber in der Landesregierung vor allem die Windkraft forciert. Wie stehen Sie zu Windrädern an der Bergstraße?

Ich glaube, an der Bergstraße und im Odenwald müssen wir hoch sensibel sein, weil das Landschaftsbild ein bestimmtes Gepräge hat. Das ist ein Eigenwert dieser Region und den brauchen wir. Aber es muss auch in unserer Region Windräder geben, allein um die dezentrale Versorgung zu sichern. Sonnenenergie und ein Windrad sind mir lieber als ein Kohlekraftwerk. Ich bin also für Windkraft, aber in gebotenem Maß und gebührendem Abstand von Wohnungen.

Zwar haben Eltern einen gesetzlichen Anspruch auf einen Krippenplatz, doch die Realität sieht oft anders aus. In Hirschberg gibt es zum Herbst einen Engpass. Wie wollen Sie dieser vielerorts schwierigen Situation begegnen?

Hier liegt die Verantwortung bei der Gemeinde. Das Land sollte sich kurzfristig um Zuschüsse kümmern. Solange kein Geld da ist, müsste sich die Gemeinde zwischenfinanzieren. Wenn sie keine Krippen anbietet, sinkt die Attraktivität der Gemeinde. Langfristig gilt es, die Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Kommune neu zu ordnen. Darauf kann Hirschberg leider nicht warten.

Die SPD will massiv in Schulen investieren. In Edingen-Neckarhausen bröckelt die Pestalozzi-Grundschule, alle Hilferufe von Rektorin Renate Wacker wurden lange ignoriert. Wenn Sie ihr jetzt gegenüber säßen, was würden Sie ihr sagen?

Da würde ich sagen, jetzt rede ich erst einmal mit dem Bürgermeister, weil der Schulträger die Kommune ist. Und dann würde ich fragen, in welcher Finanzplanung die Sanierung dieser Schule vorgesehen ist. Es ist klar, dass es ein schwerer Fehler ist, wenn man hier nicht investiert. Auch hier war das Kooperationsverbot bisher ein Hemmschuh für diese Investitionen.

Es gibt aber auch Fälle wie in Schriesheim, wo die Sanierung des Schulzentrums schon lange Thema ist, aber auch klar ist, dass die Kommune das als Schulträger niemals stemmen kann.

Mit dem neuen Artikel 104c hat man es bei der letzten Föderalismusreform geschafft, dass insgesamt sechs Milliarden in die Schulsanierung fließen dürfen. Aber mit der Einschränkung, dass nur Kommunen in schwieriger Finanzlage geholfen werden kann. Dann würde das Land über die Bundesmittel helfen.

Eine letzte Frage: Wie schätzen Sie Ihre Chancen ein, wieder in den Bundestag gewählt zu werden oder gar das Direktmandat zu holen?

Wir arbeiten fürs Direktmandat. Aber ich habe einen guten Listenplatz, die Wahrscheinlichkeit, dass ich erneut in den Bundestag einziehe, ist recht groß.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
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