Der Vergeltungsschlag von Lily Allen
Lily Allen teilt ein Konzeptalbum mit äußerst pikantem Inhalt. Außerdem reingehört haben wir auch bei Laura Cox, Whiskey Myers, Megaloh und Richard Ashcroft.

Von Daniel Schottmüller
Dieses Album ist ein Ereignis! Klar, wenn eine für ihre keck-frechen Texte gefeierte Songwriterin sich nach sieben Jahren Pause damit zurückmeldet, dass sie die Affären ihres prominenten Ex in Lieder gießt, dann spitzt man instinktiv die Lauscher ... "Wie ein Racheporno mit Musik", titelt die "Süddeutsche". "Wann wird aus Pop vertonter Klatsch?", fragt sich der "Spiegel".
Aber ein Ereignis ist "West End Girl" eben nicht nur, weil Lily Allen hier über 44 Minuten Spielzeit die Untreue von Ex-Mann und "Stranger Things"-Star David Harbour ausbreitet. Nein, fast genauso wichtig wie das "weil" ist das "wie". "Faszinierend", urteilt der "Spiegel", während die "Süddeutsche" in dem Konzeptalbum eine "musikalische Offenbarung" erkennt. Die Britin selbst sagt, sie habe die 14 Songs in nur zehn Tagen zu Papier gebracht.
Dieser Kreativitätsrausch wird in Titeln wie "Pussy Palace" spürbar, der gerade bei Spotify und Co. durch die Decke geht. Darin berichtet die 40-Jährige, wie sie zum ersten Mal den Rückzugsort ihres Gatten betritt – nicht das erwartete Kampfsport-Dojo, sondern eine Lusthöhle. Von Plastiktüten voll mit Sex-Toys, Gleitgel und Kondomen erzählt sie. Und: von dem einsamen schwarzen Haar auf dem Nachtkissen. Die poppige Melodie und Allens kindlich-melancholischer Gesang bringen den Entdeckungsschock stärker zur Geltung als ein Rock-Schrei es vermocht hätte.
Überhaupt ist dieses Album aller Emotionalität zum Trotz bis ins Detail durchdacht. Chronologisch rekonstruiert Allen das Telefonat, in dem sie dazu gedrängt wird, die Beziehung zu öffnen. Schnell folgen erste Anzeichen, dass ihr Partner aber weit mehr als nur beiläufigen Beischlaf sucht. Und so entwickelt sich "Who the fuck is Madeline?!" zur grausamen Leitfrage. Der nach der heimlichen Freundin benannte Song, in dem die Sängerin den Sprachnachrichten-Austausch zwischen ihr und Madeline vertont, avanciert zum Höhepunkt. Auch weil sich Allen hier wohltuend von der plumpen "Du hast mir den Kerl geklaut"-Trope abhebt.
Ja, diese Tracks haben Hörspiel-Charakter. Die Hintergangene zieht uns mit sanfter Beharrlichkeit ans Schlüsselloch – man schaut gebannt hindurch. Denn Promi-Status hin oder her, Themen wie Eifer- und Sexsucht, Online-Dating und Optionsterror sind im Jahr 2025 extrem anschlussfähig. Und auch musikalisch zieht die mit Hits wie "Smile" und "The Fear" bekanntgewordene Londonerin alle Register – von Spoken Word bis Chorgesang, von Drum’n’ Bass bis Folk.
Man kann "West End Girl" lieben, so wie Olivia Rodrigo, die am Erscheinungstag einen euphorischen Post abgesetzt hat. Man kann es aber auch zum Anlass nehmen, über die Aufmerksamkeitsökonomie, Gaffertum oder Persönlichkeitsrechte ins Gespräch zu kommen. Nur ignorieren kann man dieses Album nicht!
Info: "West End Girl" ist bereits erhältlich. Aktuell tourt Lily Allen mit ihrem neuen Album durch Großbritannien.
Brandi Carlile und mehr. Hier geht es zum Sound der letzten Woche.
Sound der Woche
Laura Cox
Trouble Coming
Bluesrock Die 34-jährige Französin lässt Rock und Blues aufeinanderkrachen, pulsieren, auf neue Weise lebendig werden. Jeder der elf Tracks hat eigene Nuancen und schraubt traditionelle Gitarrenriffs mit radiotauglichen, modernen Melodien zusammen. Und ja, das ist absolut hörenswert! Der Opener "Try Harder" und das ausdrucksstarke "A Way Home" sind nur zwei der Glanznummern. Auch das so clevere wie Mainstream-freundliche "Do I Have Your Attention?" animiert dazu, den Fuß aufs Pedal zu treten. Der jugendliche Gesang tut sein Übriges, den Sound von Laura Cox auch für die nächste Generation attraktiv zu machen. Live lassen sich die "Trouble"-Songs im März in Bensheim erleben. (gol)) ●●●
Für Fans von: Samantha Fish
Bester Song: Trouble Coming
Whiskey Myers
Whomp Whack Thunder
Southern Rock Die schnittigen Bläsersätze des Vorgängeralbums "Tornillo" haben Whiskey Myers wieder weggepackt – und doch klanglich kaum abgespeckt. Der lautmalerische Albumtitel ist eindeutig Programm. Statt der Hörner tritt zwischen zornigen Gitarrenriffs und Twin-Solos die Hammond-Orgel stärker in den Vordergrund. Das Ergebnis bleibt fetter, satter Südstaatenrock, den nur hier und da eine ruhigere, akustische Slide-Passage auflockert. (hol) ●●
Für Fans von: Blacktop Mojo
Bester Song: Break These Chains
Megaloh
Schwarzer Lotus
Deutschrap Ein richtiges Konzeptalbum hat Megaloh da hingelegt! Das Ganze wirkt wie eine poetische Reise – mit raffinierten Reimketten und gehaltvoller Gesellschaftskritik im Gepäck. Entlang der Trackroute finden sich Melancholie und Schwermut genauso wie Zitate aus Kung-Fu-Filmen. Stimmungsvolle Instrumentals erleichtern die Navigation. Die meisten hat Megaloh, aka Oga Beats, selbst produziert. Passend zum titelgebenden schwarzen Lotus – einem Symbol der Reinheit. (make) ●●
Für Fans von: Samy Deluxe
Bester Song: Geist von KA
Richard Ashcroft
Lovin’ You
Britpop Man kann es drehen und wenden, wie man will: Der Britpop ist nicht mehr das, was er mal war. Darüber kann selbst die große Oasis-Reunion nicht hinwegblenden. Für die jüngsten Konzerte der Knatschbrüder stand Richard Ashcroft als Opener auf der Bühne – die Drei sind seit Jahrzehnten befreundet. Sicher wollte der Ex-Verve-Frontmann ("Bitter Sweet Symphony") nun das Momentum nutzen und mit ein paar neuen Songs Kohle machen. So hört sich "Lovin’ You" auch an: ein gescheiterter Versuch, anschlussfähig zu bleiben. Das Tragische, Bittere, Verzweifelte früherer Verve- und Solo-Alben fehlt fast gänzlich. Mal schauen: Anfang 2026 kommt die neue Scheibe von Robbie Williams. Sie heißt: "Britpop" ... (lex) ●
Für Fans von: Oasis
Bester Song: Lover




