Heidelberger Theater

Männer haben auf der Bühne nichts verloren

Louis Andriessens Oper "Writing to Vermeer" als deutsche Erstaufführung am Heidelberger Theater

13.05.2018 UPDATE: 14.05.2018 06:00 Uhr 2 Minuten, 31 Sekunden

Irina Simmes hält als Saskia de Vries ihre Kollegin Hye-Sung Na als Catharina Bolnes in den Armen, dahinter der Damenchor. Foto: Sebastian Bühler

Von Rainer Köhl

Heidelberg. Das Schaffen von Jan Vermeer als Opernstoff: Der britische Filmregisseur Peter Greenaway (Libretto) und der niederländische Komponist Louis Andriessen haben daraus ein wunderbares Werk geschaffen. "Writing to Vermeer" heißt die vor 20 Jahren geschriebene Oper, die nun ihre deutsche Erstaufführung im Theater Heidelberg fand. Einhellige Publikums-Begeisterung und Jubel gab es am Ende der Premiere, wobei auch der anwesende, 1939 geborene Komponist gefeiert wurde.

Drei Frauen im Umfeld von Vermeer und deren Briefe an den Meister sind die Grundlage für Greenaways Libretto: Vermeers Ehefrau, die Schwiegermutter sowie sein junges Lieblingsmodel und Haushälterin. Briefe von der Schwiegermutter mögen nicht unbedingt ein guter Stoff für eine Oper sein, und auch diejenigen von den beiden anderen Frauen ergehen sich oft in Schilderungen von Alltäglichkeiten. Etwa den Wünschen, der Künstler möge von seinen Reisen doch bestimmte Kleiderstoffe oder Bänder mitbringen. Und dennoch: Beim Erleben dieser eindreiviertelstündigen Oper stellte sich zu keiner Sekunde Langeweile ein. Das lag an der Szene ebenso wie an der Musik. Auch das Textbuch entwickelt poetische Momente.

Ähnlich wie Greenaway in seinen Filmen aus jeder statischen Einstellung am Set ein Kunstwerk an Bedeutsamkeit hervorbringt, hat nun auch der Regisseur Johannes von Matuschka mit seinem Team in wohlbedachten Bildern spannendes Musiktheater gemacht. Sparsam und konzis, gleichfalls bedachtsam und abgezirkelt. Auf der schwarzen Bühne werden immer wieder Seile durch den Raum gespannt, dienen als Wäscheleine, dann wieder als Rahmen und Markierungen von Bildausschnitten oder als perspektivische Fluchtlinien der Gemäldedarstellung. Vermeer kommt als Figur nicht vor in der Oper, dafür aber ist sein Blick auf die Szene allgegenwärtig. Immer wieder taucht eine runde Linse im Hintergrund auf, aus der ein Auge blickt. Die Videoprojektionen, die Philipp Ludwig Stangl schuf, nehmen aus heutiger Sicht Bezug zum Schaffensprozess des Malers. Originale Ausschnitte aus Gemälden erscheinen via Handkamera animiert. Und auch die Camera obscura, die Vermeer möglicherweise verwendete, wird optisch angedeutet, wenn die Hauptfiguren am Ende in der Videoprojektion kopfstehen.

Mit zauberhaften Klängen hat Louis Andriessen die Szenen eingefangen: eine sehr atmosphärische Musik, die meist kammermusikalisch filigran und sparsam daherkommt. Dann wieder können die Klänge auch quirlig und heiter werden, entwickeln scherzohaften Drive in rhythmischer Vitalität. Mitunter erinnert die Harmonik ein wenig an Britten, dann auch an Strawinsky, den Andriessen übrigens auch mal zitiert. Geheimnisvolle Pianissimi tönen zauberisch herein, neben dynamisch erregten Abschnitten. Suggestive Klänge sind es, die das Philharmonische Orchester Heidelberg unter Leitung des 1. Kapellmeisters Dietger Holm klanglich sensitiv umsetzt, sie dann auch kraftvoll verdichten lässt.

Auch interessant
Heidelberger Theater: Ausgrabung eines neuen Stücks

In gewissem Sinne ist "Writing to Vermeer" eine Frauenoper: Es gibt hier keine männliche Figur. Entsprechend lyrisch oder auch burlesk geht es musikalisch zur Sache. Dennoch dringt immer mal die harte Männerwelt, die der Kriege, in dieses Idyll ein: Andriessen hat dazu seinen Schüler Michael van der Aa beauftragt, elektronische Einspielungen zu realisieren, welche die Brutalität der Außenwelt, der politischen Unruhen jener Zeit einfängt.

Sehr kantabel sind die Gesangspartien: Hye-Sun Na singt die Partie von Vermeers Ehefrau mit großer Leidenschaft, gestaltete die weitausschwingenden Intervallsprünge ebenso rein wie ihre beiden Kolleginnen. Irina Simmes gab dem Hausmädchen Saskia all die vokale und darstellerische Frische, die man von dem Mädchen mit dem Perlenohrring erwarten mag. Elisabeth Auerbach sang die Schwiegermutter mit resolutem Witz nicht minder klangschön.

Die drei Frauen traten in den leuchtenden Farben ihrer Kleider wie lebendig gewordene Vermeer-Porträts auf (Kostüme: Florence von Gerkan). Und das schön dosierte Licht macht das Vermeer-Erlebnis nicht minder perfekt. Ein Kinderchor ist gleichfalls reich beschäftigt in der Oper, als Darsteller von Vermeers eigenen Kindern. In dieser Inszenierung nun tritt er als Kindergruppe von heute auf, die lebendige Kunst wie in einem Mitmachmuseum erfährt, wenn sie mit den Hauptfiguren in unmittelbaren Kontakt treten. Und dann gibt es noch einen Damenchor, der gleichfalls wie aus einem Genrebild Vermeers entsprungen wirkt, einen vergnüglichen Holzschuhtanz zu Renaissance-Klängen aufführt und mit schön leuchtenden Harmonien und visionären Fernklängen aufhorchen lässt. Ines Kaun studierte die Chöre vortrefflich für die Aufführung im Marguerre-Saal ein.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.