Strandläufer am Meer der Ewigkeit

Heidelberg. Christian Gerhaher und Gerold Huber mit Werken von Robert Schumann und Heinz Holliger beim Heidelberger Frühling.

22.04.2013 UPDATE: 22.04.2013 06:00 Uhr 1 Minute, 54 Sekunden
Heinz Holliger (Mitte) und Christian Gerhaher (r) sowie Gerold Huber (l) wurden in Heidelberg bejubelt. Foto: Studio Visuell
Von Matthias Roth

Heidelberg. Der Bariton Christian Gerhaher zählt seit Jahren zu den herausragenden Lied-Interpreten der Republik. Er und sein Klavierpartner Gerold Huber gehören zu den Highlights auf bedeutenden Bühnen und Musikfestivals, und auch in Schwetzingen und Heidelberg konnte man die beiden Künstler wiederholt hören. Gerhaher ist daneben längst auf der Opernbühne zu Hause und wurde 2010 von der Fachzeitschrift "Opernwelt" zum "Sänger des Jahres" gekürt.

Er könnte sich also bequem auf seinen internationalen Erfolgen ausruhen, um mit gängigem Liedrepertoire von Event zu Event zu ziehen. Aber dies kommt für den Mittvierziger offenbar gar nicht infrage. Gerhaher sucht die Herausforderung und fordert - so beim jetzigen Auftritt im Rahmen des Heidelberger Frühlings - auch seine Veranstalter und nicht zuletzt sein Publikum heraus. Denn hier sang er nicht die großen Hits der Gattung, sondern intelligent ausgesuchte und behutsam zusammengestellte Werke von Robert Schumann und Heinz Holliger auf Texte von Justinus Kerner und Nikolaus Lenau.

Letzteren kennt man heute kaum noch, und so ist es unter anderem das Verdienst des Schweizer Komponisten Holliger, Lenau quasi wiederentdeckt zu haben mit seinem Zyklus "Lunea", der - rund vier Wochen nach der Zürcher Uraufführung - in deutscher Erstaufführung zu hören war. Holliger verwendet dabei 23 "Zettel"-Sätze Lenaus, kurze Notate, Gedankenblitze von aphoristischer Kürze, die auf Pointen jedoch meist verzichten. "Der Mensch ist ein Strandläufer am Meer der Ewigkeit", heißt es da, oder "Man grüßt Alte wie bald Abwesende". Holliger schrieb dazu eine Musik, die Nach- und Widerhall der Worte ist, selten Ausdeutung. Der Pianist muss bisweilen tief ins Instrument hinein steigen, um Saiten mit den Fingern zu dämpfen oder zu zupfen. Dabei entsteht kein musikalisches Theater. Im Gegenteil ist die Reichhaltigkeit dieser komplexen Klangwelt eine tief nach innen schauende, ein Seelenecho von größter Differenziertheit und berührender Intensität.

Christian Gerhaher und Gerold Huber hoben diesen Zyklus durch ihre bis ins kleinste Detail kontrollierte, dabei emotional packende und jedes Wort im Sinnzusammenhang ausleuchtende Interpretation auf eine Ebene mit Schumanns Liedern op. 35 und op. 90. Der anwesende Komponist Holliger war daher sehr zufrieden und wurde nach der Aufführung wie die Interpreten vom Publikum ausgiebig gefeiert.

Gerhahers Schumann-Wiedergabe war ebenso intelligent ausgelotet wie sängerisch betörend. Man muss bei ihm keine Texte mitlesen, denn man versteht jedes Wort - gerade auch im Leisen. Mit flexibel kernigem Ton, reichster Farbgebung und musikalisch sinnstiftender Textgestaltung erreicht er eine Natürlichkeit im Vortrag, die ihre hohe Kunst wie beiläufig aufscheinen und klar werden lässt, dass es derzeit wohl keinen anderen deutschen Bariton gibt, dessen Liedkunst so hoch entwickelt ist.

Was freilich aber auch eine Amalgamwirkung in Zusammenarbeit mit dem Pianisten Gerold Huber ist. Dessen kongeniale Unterstützung am Flügel ist ebenso beredt wie in der Artikulation differenziert. Bei Holligers "Drei Nachstücken" (nach Trakl) für Klavier solo, die zu Beginn erklangen, hörte man ihn quasi sprechen - nur mit Klaviertönen.

Ein außergewöhnlicher Abend und in Heidelberg, auch wegen des außergewöhnlichen Programms, einer der besten der letzten Jahre. Standing Ovations.

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