Ein Nazi-Gegner der ersten Stunde
PH-Studenten organisierten eine Gedenkstunde für Ludwig Marum - Der jüdische SPD-Politiker studierte in Heidelberg und starb 1934 im Konzentrationslager
Von Julian Weber
Heidelberg. Schnurrbart und Halbglatze dominieren das runde Gesicht, der Blick ist fest und durchdringend. Darunter die Aufforderung: "Vergesst ihn nicht!" Die Besucher stoppen vor dem Plakat, betrachten das Porträt des Mannes. Das Gesicht gehört Ludwig Marum, einem badischen Politiker der Weimarer Republik und Opfer der Nationalsozialisten. Die Pädagogische Hochschule (PH) hat Anfang der Woche in einer Gedenkstunde an ihn erinnert. Anwesend war auch eine Enkelin des Politikers, Andrée Fischer-Marum.
Ludwig Marum - Mitglied der SPD und überzeugter Demokrat - war ein frühes Opfer der Nazis. "Als Sozialdemokrat jüdischer Herkunft wurde er von den Nationalsozialisten aus politischen und aus rassenideologischen Gründen gleichermaßen verfolgt und getötet", erklärt Anette Hettinger vom Institut für Gesellschaftswissenschaften. Im Rahmen eines Seminars haben sich die Dozentin und acht Studentinnen und Studenten mit Leben und Wirken Marums beschäftigt. Der Politiker war von 1914 bis 1928 Abgeordneter im badischen Landtag, danach vertrat er bis zum Beginn der NS-Herrschaft seine Partei im deutschen Reichstag. Im März 1933 wurde Marum in "Schutzhaft" genommen und zwei Monate später in einer demütigenden Schaufahrt durch Karlsruhe ins Konzentrationslager Kislau überführt. Dort wurde er am 29. März 1934 ermordet.
Den Studenten zufolge zog sich der Kampf gegen den Antisemitismus - zunächst als Mitglied einer jüdischen Studentenverbindung, danach als SPD-Politiker - wie ein roter Faden durch das Leben Marums. "Sein politisches Engagement in der SPD und sein Kampf gegen Antisemitismus machten ihn schon frühzeitig zum vehementen Gegner der Nationalsozialisten", sagt Studentin Janina Reichelt.
In dem Seminar an der PH stand aber vor allem die Zeit seines Jura-Studiums in Heidelberg im Mittelpunkt, welches Marum im Winter 1900 begann. Dazu recherchierten die jungen Wissenschaftler im Universitätsarchiv, wo sie unter anderem die Disziplinarakte des Politikers einsehen konnten. Um die Dokumente auswerten zu können, habe man laut Reichelt Dutzende Seiten transkribiert. "Die Akten waren sehr umfangreich und in altdeutscher Schrift. Das war für uns ganz neu, mit solchen Quellen hatten wir noch nie gearbeitet", so die 33-jährige Studentin.
Um die Jahrhundertwende war die Ruperto Carola demnach mit 1553 Studierenden eine mittelgroße Uni, an der auch die ersten Frauen studieren durften. Durch dieses liberale Klima seien viele junge Menschen jüdischen Glaubens angezogen worden - auch Marum. Allerdings habe ein Teil der Heidelberger Bevölkerung eine antisemitische Grundhaltung vertreten. "Es war erschreckend zu sehen, in welchem Ausmaß antisemitische Vorurteile nicht nur unter Heidelberger Studenten verbreitet waren. Ja, wie selbstverständlich man zum Beispiel Judenwitze erzählte", so Seminarleiterin Hettinger. Als Mitglied der jüdischen Verbindung Badenia habe Marum versucht, gegen diesen alltäglichen Antisemitismus anzukämpfen. Zum Beispiel ist eine Auseinandersetzung mit dem Chemiestudenten Karl Rudolph dokumentiert. Auf die Frage Marums, weshalb dieser ihn so anstarre, erwiderte Rudolph: "Einen Juden gucke ich überhaupt nicht an!". Weil Marum seinen Kommilitonen daraufhin geohrfeigt hatte, musste er zwei Wochen im Studentenkarzer absitzen - die damalige Höchststrafe.
"Solche Situationen und Beleidigungen sind auch nach über 100 Jahren aktuell. Das ist traurig, man hat den Eindruck, dass die Leute trotz der Geschichte nichts dazugelernt haben", sagt Student David Lenz. Heute finde man immer noch dieselben Muster, wie Antisemitismus vorangetrieben werde, so der 28-Jährige. Seine 25 Jahre alte Kommilitonin Johanna Sappok ergänzt: "Diese Ideen beginnen und enden nicht mit dem Nationalsozialismus, sondern durchsetzen unsere Gesellschaft nach wie vor."