Heidelberg

Ärzte fanden heraus, dass Sex die Nasenatmung verbessert

Dafür wurde Cem Bulut nun mit dem Ig-Nobelpreis der Harvard-Universität ausgezeichnet. In den Schlafzimmern war er jedoch nicht dabei.

24.09.2021 UPDATE: 26.09.2021 06:00 Uhr 3 Minuten, 29 Sekunden
Symbolfoto: dpa

Von Philipp Neumayr

Heidelberg. Wissenschaftliche Leistungen, die erst zum Lachen und dann zum Nachdenken bringen – dafür vergibt die Zeitschrift "Annals of Improbable Research" an der Harvard-Universität jedes Jahr den Ig-Nobelpreis. In der Kategorie "Medizin" ging der Preis in diesem Jahr unter anderem an den HNO-Arzt Cem Bulut, Oberarzt für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde am Klinikum in Heilbronn, und seinen Kollegen Ralph Hohenberger von der Uniklinik Heidelberg. Sie erbrachten den Beweis, dass Sex mit Orgasmus bis zu 60 Minuten den gleichen Effekt hat wie abschwellendes Nasenspray. Bulut, der Leiter der Studie, lebt seit 19 Jahren in Heidelberg, wo er einst auch für die Hals-, Nasen- und Ohrenklinik der Uniklinik tätig war.

„Die Idee zu der Studie kam schon durch Selbstbeobachtung“: Cem Bulut arbeitet als Oberarzt für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde am Klinikum in Heilbronn. Seit 19 Jahren lebt er in Heidelberg, wo er zuvor an der Uniklinik tätig war. Foto: privat

Herr Bulut, wie kamen Sie auf die Idee, Nasenatmung und Sex zu erforschen?

Die Idee zu der Studie kam schon durch Selbstbeobachtung – dass man gemerkt hat, nach dem Akt besser Luft durch die Nase zu bekommen. Das war auch bei Wiederholungen der Fall, was in mir ein bisschen den Forschergeist geweckt hat.

Wie wurde aus der persönlichen Erfahrung eine Studie?

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Ich habe erstmal Freunde gefragt, ob sie den gleichen Effekt bemerken. Einige haben das bestätigt, andere verneint. Dann habe ich ein Studienprotokoll erstellt – und dann haben wir die Studie mit fast 40 Probandinnen und Probanden durchgeführt.

War es schwierig, diese Versuchsteilnehmer zu finden?

Das war sehr einfach. Sobald sich herumgesprochen hatte, dass ich plane, solch eine Art von Studie durchzuführen, haben sich viele freiwillig gemeldet. Die Rekrutierung lief praktisch wie von allein. Die Leute fanden es lustig und wollten gerne mitmachen.

Wie haben Sie überhaupt auf die Studie aufmerksam gemacht?

Wir haben vor allem Kollegen im Umfeld der Klinik gefragt, ob sie Interesse haben mitzumachen. Dadurch hat die Studie natürlich nur eine begrenzte Aussagekraft. Diese Limitation habe ich so auch in dem publizierten Manuskript aufgeschrieben.

Wie kann man sich den Versuchsaufbau für solch eine Studie vorstellen? Ich vermute einfach mal, Sie waren persönlich nicht in den Schlafzimmern der Probanden mit dabei.

Sie haben recht, in den Schlafzimmern war ich natürlich nicht dabei. Mein Forschungsgebiet ist die Lebensqualität und die subjektive Zufriedenheit nach Therapien, also die Beantwortung der Frage, wie der Patient selbst seine Gesundheit empfindet und wahrnimmt. Wir haben uns für diese Studie für zwei Messwerte entschieden: Zum einen eine objektive Messung mit einem mobilen Gerät, das die Nasenatmung messen kann, ein sogenanntes Rhinomanometrie-Gerät. Und zum zweiten eine subjektive Messung: Die Probanden haben also anhand von Fragebögen angegeben, wie gut sie Luft bekommen. Wir haben dann geschaut, inwieweit die beiden Messungen und Angaben korrelieren – und das war letztlich sehr gut der Fall.

Wann und wie oft wurde gemessen?

Wir haben einmal vor dem Sex gemessen und nach dem Höhepunkt. Zusätzlich haben wir noch in verschiedenen Abständen nach dem Sex weitere Messungen erhoben.

Sex soll ja unterschiedliche Dimensionen haben, zum Beispiel was die Dauer betrifft. Konnten Sie in diesem Punkt unterschiedliche Auswirkungen auf die Nasenatmung ausmachen?

Das ist eine sehr interessante Frage, der wir im Rahmen dieser Studie leider nicht nachgehen konnten. Prinzipiell gibt es einige Studien, die den Einfluss von Sport auf die Nasenatmung gemessen haben – und da gab es eine Korrelation zwischen der Nasenatmung und der Dauer des Sports. Es wäre also sicherlich interessant, sich diese Frage in einer Folgestudie noch einmal anzuschauen.

Haben Sie Pläne, was weiterführende Studien zu diesem Thema angeht?

Wir wissen auch nach unserer Studie ja nicht genau, was genau für die Verbesserung bei der Nasenatmung beim Sex sorgt – ob es die Erregung ist, die Aufregung, die sportliche Betätigung an sich oder der Höhepunkt am Schluss. Vielleicht auch die Kombination aus alldem. Daher wollten wir uns in einer kleinen Folgestudie eigentlich anschauen, ob nur der Orgasmus an sich – ohne das Drumherum – zu einer Verbesserung der Nasenatmung führt.

Was war das Problem?

Leider wollte keiner in die Masturbation-Kontrollgruppe, alle wollten lieber in die Sex-Gruppe. Um es richtig zu untersuchen, müsste man eigentlich eine verblindete Studie durchführen, also sicherstellen, dass die Ärzte und Teilnehmer nicht wissen, zu welcher Versuchsgruppe sie gehören. Sie müssten das Verblinden in diesem Falle quasi wörtlich nehmen. Aber das ist eben schwierig bei dieser Studie. Genauso wie eine Randomisierung, also eine Auswahl der Probanden nach Zufall – das würden die jeweiligen Partner wohl nicht gutheißen.

Welche Handlungsempfehlungen lassen sich aus Ihrer Studie ableiten?

Richtige Handlungsempfehlungen kann man daraus leider noch nicht ableiten. In unserer Studie haben ja auch nicht alle von dem Effekt der freien Nasenatmung profitiert, sondern nur diejenigen, die generell schlechter Luft bekommen. Grundsätzlich kann aber natürlich jeder für sich ausprobieren, was am besten hilft, auch Ihre Leserinnen und Leser.

Man sagt Nasenspray bei hohem Konsum ja ein gewisses Suchtpotenzial nach. Ist Sex im Vergleich die weniger gefährliche Alternative?

Ich denke, Sex kann genauso süchtig machen. Deshalb möchte ich hier nicht zu einer Suchtverlagerung auf die eine oder die andere Seite aufrufen. (lacht)

Der Ig-Nobelpreis gilt manchen als Anti-Nobelpreis, er leitet sich aus dem englischen Begriff "ignobel", also "unwürdig", "schändlich", ab. Sind Sie dennoch ein wenig stolz auf die Auszeichnung?

Auf jeden Fall. Wir haben uns alle sehr gefreut. Letztendlich ist es ja ein alternativer Nobelpreis, der zum Nachdenken und zum Lachen bringen soll. Ich habe das Manuskript extra ein bisschen humoristisch geschrieben. Das Ziel der Studie war ein wissenschaftlich fundiertes Ergebnis zu liefern, aber gleichzeitig auch, die Leute zu unterhalten. Diese Kombination hat offensichtlich ganz gut funktioniert.

Der Physiker Andre Geim hat 2000 den Ig-Nobelpreis gewonnen und zehn Jahre später den echten Nobelpreis. Haben Sie ähnliche Ambitionen?

Ich denke, es ist doch eher unwahrscheinlich, dass das "Ig" bei mir irgendwann wegfallen wird – so schön es auch wäre.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
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