Heidelberg

Was Meinungsfreiheit für die Debattier-Präsidentin bedeutet

Luise Häder ist Präsidentin des ältesten Heidelberger Debattierclubs - "Wir bilden uns nicht ein, den Diskurs heilen zu können"

05.05.2021 UPDATE: 06.05.2021 06:00 Uhr 4 Minuten, 18 Sekunden
Luise Häder debattiert seit zwei Jahren bei der „Rederei“. Kürzlich gewann sie mit ihrem Club die Süddeutsche Debattiermeisterschaft, die online ausgetragen wurde. Foto: Philipp Rothe

Von Anica Edinger

Heidelberg. Sie ist die Königsdisziplin unter den Streitgesprächen: die Debatte. Schon die alten Griechen kultivierten das Debattieren, heute kann man sich zu Schulzeiten etwa bei "Jugend debattiert" im Meinungsaustausch üben, zudem gibt es an fast jeder Universität Debattierclubs – auch in Heidelberg. An der Ruperto Carola ist Heidelbergs ältester Debattierclub beheimatet, die "Rederei".

Deren Präsidentin Luise Häder debattiert schon seit Schulzeiten, so richtig Feuer fing sie fürs wettbewerbsmäßige Streiten aber erst an der Universität. Kürzlich gewann die Geschichts- und Jurastudentin mit ihrem Club die Süddeutschen Meisterschaften. Zur Woche der Meinungsfreiheit erklärt die 20-Jährige im RNZ-Gespräch, was die wichtigsten Regeln für eine gute Debatte sind – und weshalb man auch mal Abstand von der Absolutheit der eigenen Meinung nehmen sollte.

Frau Häder, es ist Woche der Meinungsfreiheit. Als Präsidentin des größten studentischen Debattierclubs in Heidelberg: Was bedeutet die Meinungsfreiheit für Sie ganz persönlich?

Selbstentfaltung. Meinungsfreiheit ist für mich Selbstentfaltung. Dass man sich durch Worte und Meinungen ausdrücken kann, ist ja auch ein Ventil, durch das man sich befreien kann, wenn man unzufrieden ist oder sich schlecht behandelt fühlt. Außerdem ist Meinungsfreiheit auch die Chance, gehört zu werden, wenn man ein Anliegen hat. Auf kleiner Ebene beispielsweise, wenn man jemand anderen von etwas überzeugen kann, wovon man selbst überzeugt ist.

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Wann haben Sie zuletzt jemanden von etwas überzeugt?

Erst kürzlich bei der Landtagswahl. Da habe ich meinen Mitbewohner überzeugt, wählen zu gehen.

Was sind denn die wichtigsten Regeln beim Debattieren – also dabei, jemanden von seiner Meinung zu überzeugen?

Rhetorisch gesehen ist es meines Erachtens nach einer der größten Fehler, Argumente zu groß zu machen. Man muss in seiner Argumentation realistisch bleiben, also den Mut haben, Dinge so klein, aber eben so realistisch, wie sie sind, darzustellen. Wenn beispielsweise ein spezifisches Problem, für dessen Abschaffung man debattiert, nur eine kleine Gruppe von Menschen betrifft, sollte man das auch benennen. Stilistisch sollte man darauf achten, dass man nicht zwanghaft versucht, einem bestimmten Bild zu entsprechen – beispielsweise reden, wie Cicero geredet hat. Im Grunde geht es darum, die beste Version seiner selbst zu sein. Authentizität ist wichtig, denn wenn man nicht authentisch ist, merken das die Leute und nehmen einem die Argumentation nicht ab.

Darf man auch emotional werden?

Emotionen dürfen nicht den Inhalt überdecken. Aber es wäre meines Erachtens falsch, es zu vertuschen, wenn man Emotionen zu einem Thema hat. Letztlich kann es in der Debatte auch helfen, wenn man zeigt, dass einem ein Thema wichtig ist.

Derzeit wird viel über den Zerfall der deutschen Debattenkultur gesprochen: Was läuft Ihrer Meinung nach schief im öffentlichen Diskurs?

Dass Menschen es nicht mehr so gut aushalten können, dass es ein Nebeneinander von vielen Meinungen gibt, die alle ihre Existenzberechtigung haben. Tatsächlich kann es etwas sehr Beruhigendes haben, wenn man sich klar macht, dass es nicht eine wahre Antwort gibt, sondern relativ viele wahre Antworten. Das zu akzeptieren, kann viel Wut und Emotion aus dem Diskurs nehmen. Das würde ich mir bei der einen oder anderen öffentlich geführten Debatte manchmal wünschen.

Wäre es zuträglich, wenn alle Menschen einmal einen Debattierclub besuchen würden?

(lacht) Diese Frage muss man vorsichtig beantworten. In der Debattierszene bilden wir uns nicht ein, den Diskurs in Deutschland heilen zu können. Was man aber beim Debattieren durchaus lernt, ist eine Grundhaltung, die wichtig ist: nämlich, dass es neben der eigenen Meinung auch andere legitime Ansichten gibt. Dieser Abstand von der Absolutheit der eigenen Meinung ist gesund für jeden Diskurs.

Was weckte Ihre Leidenschaft fürs Debattieren?

Die echte Leidenschaft fürs Debattieren entstand für mich an der Universität. Wir alle hatten diesen einen Moment, wo wir als Ersti bei einer Debatte waren und dachten: Das will ich auch können. Ich war fasziniert davon, wie die Argumente aufgebaut wurden, wie viel Wissen die Debattierenden über die Themen hatten. Da war klar: Ich bleibe dabei.

Was ist denn das Schwierigste am Debattieren?

Debattieren ist ein Sport – es ist anstrengend. Nicht nur kognitiv, sondern auch körperlich. Denn wenn man vor vielen Leuten eine ordentliche Rede halten will, geht es auch um Ästhetik, um Körpersprache, Mimik und Gestik. Die größte Herausforderung sind meist die Themen: Vor der Debatte hat man nur eine Viertelstunde Vorbereitungszeit – häufig für Themen, mit denen man sich noch nie beschäftigt hat.

Wie schafft man es in dieser kurzen Zeit, eine ordentliche Argumentationsstruktur aufzubauen?

Man kann das extrem gut üben. Häufig hilft es, sich systematisch bestimmte Fragen zu stellen, zum Beispiel: Welche gesellschaftlichen Gruppen betrifft es? Wie würde diese Frage in der Gesamtgesellschaft diskutiert? Was würde meine Oma dazu sagen? So findet man meist einen Zugang zu schwierigeren Themen und kann dann erstaunlich viel reden – selbst, wenn man nicht so viel Ahnung hat. Mich persönlich beruhigt in solchen Situationen auch immer, dass meine Teampartner mir im Notfall helfen können. Die haben dann häufig noch ganz andere schlaue Ideen, auf die ich selbst nicht gekommen wäre.

Häufig muss man auch eine ganz andere Meinung vertreten als die eigene. Fällt Ihnen das schwer?

Die Themen sind häufig so gestellt, dass man einen gewissen Freiraum hat. Bei einem meiner ersten Turniere beispielsweise mussten wir in einer Debatte für die Abschaffung des verpflichtenden beratenden Gesprächs zur Abtreibung argumentieren. Da dachte ich zuerst, dass eines der Teams zwangsläufig auch gegen das Recht auf Abtreibung argumentieren muss. Letztlich funktioniert die Debatte aber genauso gut oder sogar noch besser, wenn alle mit der Prämisse argumentieren, dass es ein Recht auf Abtreibung geben sollte. Zu entscheiden, inwieweit man diese Prämisse setzt, obliegt den Redenden. Insofern muss man sich nicht weiter von der eigenen Meinung entfernen, als einem lieb ist.

Und: Sollte es eine Pflicht geben für dieses Gespräch?

Ein Argument für die Abschaffung, das wir angeführt hatten, war, dass solch ein Gespräch niemals neutral sein kann, da die Meinung des Menschen, der es führt, immer einfließt. Außerdem könnten es viele als Bevormundung wahrnehmen. Persönlich möchte ich zu solch einem sensiblen Thema nicht eindeutig Stellung nehmen, kann mir aber vorstellen, dass es viele eher als Hilfestellung denn als Bevormundung betrachten.

Hat man eine Chance, wenn man im Privaten mit Ihnen debattiert und eine andere Meinung als Sie vertritt?

Auf jeden Fall. Gute Argumente finden können nicht nur Debattierende. Und das ist auch das Schöne am Meinungsaustausch: Jeder kann mitmachen. Außerdem bin ich im Privaten auch häufig ein wenig nachgiebiger, weil ich mein Diskussionsbedürfnis ins Debattieren auslagere.

Wenn Sie mit Ihren Kollegen aus dem Debattierclub privat unterwegs sind, wird dann auch etwas anderes gemacht als debattiert?

Klar, wir spielen auch Spiele und unterhalten uns ganz normal. Aber ja, Menschen, die im Debattierclub sind, haben grundsätzlich ein starkes politisches Bewusstsein. Was uns eint, ist, dass wir die Debatte nicht scheuen. Deshalb wird natürlich tatsächlich viel debattiert.

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