Wie die Glockengießerei Schilling verschwand
Das Firmengelände in Bergheim wurde 1999 dem Erdboden gleichgemacht. Heute befinden sich auf dem Areal 185 Wohnungen.
Von Julia Lauer
Heidelberg. Eine Brachfläche mitten in der Stadt, Bäume und Mauern mit Graffiti: Das war es, was von der Glockengießerei geblieben war, als RNZ-Leser Rudi Lerche das Gelände im Sommer 1999 fotografierte. Damals arbeitete er für das Heidelberger Ordnungsamt, aber die Glockengießerei interessierte ihn auch privat. "Geschichte und Kirchengeschichte habe ich immer verfolgt", berichtet er am Telefon.
Als Junge kam er erstmals mit einer Glocke aus der hiesigen Gießerei in Berührung, erinnert sich der 79-Jährige. Das war in Plankstadt, nach dem Krieg. Lerche war neun Jahre alt, als die katholische und die evangelische Pfarrgemeinde dort neue Glocken erhielten. "Die Glocken von der Firma Schilling kamen mit der Pferdekutsche an", erzählt Lerche. Es sei ein wahrer Festzug gewesen, Pfarrer, Bürgermeister und Landräte hätten ihn begleitet.
1949 hatte die Glockengießerei des gebürtigen Thüringers Friedrich Wilhelm Schilling in Bergheim den Betrieb aufgenommen. Auf dem Gelände qualmte und rauchte es, es roch nach Metall, der Gießofen heizte die Halle auf. In den Ecken lag die rote Glut. Wenn der Meister mit seinen Gesellen neue Glocken vollendete, war oft Publikum aus den Gemeinden zugegen, das sich am Rand der Glockengrube einfand.
Die Nachfrage nach Glocken war groß: Im Zweiten Weltkrieg waren Zehntausende Kirchenglocken eingeschmolzen und zu Rüstungsgütern geworden. In ganz Deutschland läuteten nun bald die Glocken aus dem Heidelberger Handwerksbetrieb, in Fulda, in Würzburg oder in Lübeck – und natürlich auch in Heidelberg: so etwa in der Kirche Sankt Johannes in Rohrbach, in der Lutherkirche in Bergheim oder auch in der Jesuitenkirche in der Altstadt. Auch die 26 Bronzeglocken des Glockenspiels, das seit 1961 aus dem Heidelberger Rathaus erklingt, stammt aus Schillings Gießerei. Als er 1971 starb, hatte er an die 8000 Glocken gefertigt.
Auch interessant
Obwohl er wollte, dass "keine Glocke mit seinem Zeichen gegossen wird, die er nicht selbst gestaltet und entworfen hat", wurde seine Glockengießerei an das Karlsruher Unternehmen Karl Metz angegliedert, der Standort in Bergheim blieb noch ein gutes Jahrzehnt erhalten. Erst im Sommer 1982 wurde die Produktion in der Römerstraße eingestellt. Das Autonome Zentrum bezog 1991 sein Quartier auf dem Firmengelände, wo es bis 1999 blieb.
Dann nämlich wurde auf dem 20.000 Quadratmeter großen Gelände neu gebaut: 200 Wohn- und Gewerbeeinheiten entstanden. Das Konzept hatte die Immobilienfirma Kraus im Auftrag der städtischen Gesellschaft für Grund- und Hausbesitz entwickelt. Beim Abriss der Glockengießerei war Lerche von Berufs wegen immer wieder vor Ort. Er kontrollierte die Beseitigung der verunreinigten Erde. Heute erinnert ein Denkmal mit zwei Glocken an die Geschichte des Geländes. Eine von ihnen goss Schilling noch selbst.
Info: Wer interessante Fotos aus den letzten 75 Jahren Heidelberger Stadtgeschichte hat, schickt diese bitte per E-Mail an folgende Adresse: stadtredaktion@rnz.de Stichwort "Einst und jetzt" – oder per Post an: Rhein-Neckar-Zeitung, Stadtredaktion, Neugasse 2, 69117 Heidelberg. Bitte schreiben Sie – wenn möglich – ein paar Zeilen, wann und in welchem Zusammenhang das Foto von wem aufgenommen wurde, und um was es sich dabei handelt (bitte auch mit Telefonnummer). Auf Wunsch schicken wir Ihnen die Originale gerne zurück, daher bitte auch die eigene Postanschrift angeben. Mit der Teilnahme stimmen Sie einer Veröffentlichung zu.