Edingen

Ilona Kapp steht seit 62 Jahren hinter der Theke

Eigentlich wollte sie in die Großstadt, dann verschlug es sie nach Edingen. Mindestens bis zu ihrem 80. Geburtstag will sie weitermachen.

16.10.2020 UPDATE: 18.10.2020 06:00 Uhr 2 Minuten, 53 Sekunden
Die 79-jährige Ilona Kapp wirbelt seit 62 Jahren auf denselben Quadratmetern in der Bäckerei und ist noch immer die erste Ansprechpartnerin. Foto: Kraus-Vierling

Von Stephan Kraus-Vierling

Edingen-Neckarhausen. "Das Geschäft hier war mein Leben und ist es heute noch!" Seit 62 Jahren steht – oder besser wirbelt – Ilona Kapp hinter der Theke der traditionsreichen Bäckerei an der Ecke Grenzhöfer/Anna-Bender-Straße in Edingen. Mit 17 Jahren kam die gebürtige Schwarzwälderin als Haushalts- und Ladenhilfe in den damals ganz kleinen Familienbetrieb. Und sie blieb: Als Frau von Bäckermeister Hans Kapp und als Mutter des bundesweit bekannt gewordenen "TV-Kultbäckers" Peter Kapp managte sie über all die Jahre den Verkauf, sechs Tage die Woche von früh morgens bis abends, und sie will dies noch mindestens bis zum 80. Geburtstag im kommenden April tun.

Ilona Kapp wurde 1941 in Oberndorf am Neckar geboren. Der Vater war Feinmechaniker, die Mutter Hausfrau. Die junge Schwäbin aber sehnte sich nach der Großstadt: "I wollt’ nach Stuttgart, Berlin oder München", erinnert sich die grazile Endsiebzigerin. In der Küche hinter dem Verkaufsraum und in der kleinen Wohnstube daneben, so Ilona Kapp, "hat sich unser ganzes Leben abgespielt". Zwar habe sie im Dachgeschoss eine komplette Wohnung, doch sei sie nur für die Nachtruhe dort. Und die ist bei Bäckersleuten bekanntlich kurz. Werktags steht Ilona Kapp kurz nach 4 Uhr auf.

Um 5 Uhr geht es los

Gegen 5 Uhr – in der Backstube herrscht seit Stunden Betrieb – ist sie am Einräumen. Frühstück gönnt sie sich nur zwischendurch "immer im Stehen am Küchentisch". Und seit die Bäckerei auch sonntags geöffnet hat, als Service für die Kundschaft wegen der oft längeren Wartezeiten im Zuge von "Corona", hilft die 79-Jährige nun auch da mit. Einziger Luxus: "Sonntags frühstücke ich erst um 8 Uhr, und hier am Tisch." Ihr selbst ist das große französische Landbrot mit dem eingeritzten "K" das Liebste. Dass es sie 1958, statt wie ersehnt in die Großstadt, ins kleine Edingen verschlug, lag an ihrer späteren Schwieger-Großmutter Theresia Muschelknautz. Die hatte mit Ehemann Jakob die Bäckerei, damals Schulstraße 1, gegründet. Theresia Muschelknautz lernte beim Schwarzwald-Urlaub die junge Ilona kennen und holte sie als Hilfskraft in ihren Haushalt und ins Geschäft.

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So sind es nun 62 Jahre, die Ilona Kapp dort arbeitet. Wobei sie nie in eine der Filialen wechselte, sondern immer im Stammhaus blieb: Seit 1958 steht sie auf denselben Quadratmetern.

"Mich ha’m sie erschd gar net verstande in Edingen", sagt sie, "aber mei Schwäbisch hat mir au g’holfe!". Denn Zugezogene aus dem Schwabenland hätten sich immer gefreut, eine "Landsmännin" am Ort zu haben. Über die Dialektgrenzen hinweg verstand sie sich mit Jungbäcker Hans Kapp. Die beiden heirateten im April 1960 in der nahen katholischen Kirche "St. Bartholomäus", als letztes Brautpaar vor dem Abriss des Gotteshauses noch im selben Jahr. Drei Kinder machten das Glück perfekt: Tochter Gabi ist wie zuvor schon Hans Kapp für die CDU im Gemeinderat. Sohn Peter lernte erst auswärts das Konditoren- und dann beim Vater das Bäckerhandwerk und führt den Betrieb heute in vierter Generation. Klaus, der Jüngste, ist als PR-Experte im Rathaus ebenfalls stets "am Puls der Gemeinde".

Die inzwischen mehrfache Großmutter ist im Geschäft noch immer "die erschde Ansprechpartnerin", auch bei Geschäftspartnern aus Gastronomie und Weinbau. In sechs Jahrzehnten fehlte sie nie wegen Krankheit – "nur als die Kinder gekommen sind", klärt Kapp auf.

"Ich liebe meine Kundschaft", schwärmt sie, "für sie schaue ich, dass ich jeden Wunsch erfüllen kann". Verkäuferin Jessica Shabandula bestätigt das anerkennend: "Frau Kapp ist sehr hilfsbereit, fürsorglich und immer für jeden da, für die Kunden wie auch für uns Mitarbeiter." Bloß sei es anfangs nicht leicht gewesen mit der Verständigung: Dass etwa "ligge lou!" "liegen lassen!" heißt, wenn ihr etwas runtergefallen ist, oder "do hanne hie"‘ "leg das dort hin!", sagt die Mitarbeiterin und lacht.

Dreimal über die lange Zeit wurde "Kapps Reich" komplett neu gestaltet. Zuletzt 2015 im französischen Ambiente mit individueller Note. Leider konnte ihr Ehemann die neue Einrichtung nicht mehr sehen. Er starb im August 2015 kurz vor Wiedereröffnung. Ilona Kapp machte weiter.

Kraft tanken im Urlaub

Wer sie kennt, weiß, dass ihr gerade die Arbeit über den Verlust hinweghilft. Für Hobbys hatte sie daneben nie Zeit. Nur wenn an Fastnacht ihr Mann mit den Kindern in die "Kälble"-Bütt stieg und Tochter Gabi in der Garde tanzte, ging sie mit. Kraft tanken kann sie im Urlaub: "Fünfzehn Jahre waren wir immer an der italienischen Riviera", erinnert sich die 79-Jährige. "Und seit den 80ern fliegen wir nach Gran Canaria." Ihr Highlight aber hat sie seit 1995 stets um Nikolaus herum: Da fliegt sie mit ihrer Tochter vier Tage nach New York – in die Großstadt.

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