Verstöße, Anordnungen, Überwachungen

So arbeitet der Sinsheimer Corona-Krisenstab

Der Krisenstab der Stadt beschäftigt sich mit Quarantäne-Brechern und Desinfektionsmittel-Dieben, aber auch mit Hochzeiten - Die RNZ war dabei

03.09.2020 UPDATE: 04.09.2020 06:00 Uhr 4 Minuten, 9 Sekunden
Das Tragen von Alltagsmasken ist für eine Mehrheit der Sinsheimer kein Problem. Rund 250 Verstößen gegen die Corona-Verordnungen geht zurzeit das Ordnungsamt nach, wie es am Donnerstag im Krisenstab der Stadt hieß. Symbolfoto: Tim Kegel

Von Tim Kegel

Sinsheim. 9 Uhr, großer Sitzungssaal. Versammelt sind Stadtspitze, Amtsleiter, Klinikleitung, Polizei, Feuerwehr, spezifische Experten: Seit März kommen sie so zusammen, zunächst täglich, inzwischen immer donnerstags. Im Krisenstab der Großen Kreisstadt Sinsheim laufen die Fäden in Zeiten der Corona-Pandemie zusammen. Wir waren dabei.

> Der Kindergarten-Betrieb läuft. Seit Montag sei etwa die Hälfte der Kinder zurück in den Einrichtungen. Eigentlich hätte da schon ein Formblatt einer Gesundheitsbestätigung vorliegen müssen, die das Ministerium bereitstellt, damit Eltern es ausfüllen. "Wir mussten eine eigene Version erstellen", sagt Daniela Barth vom Amt für Bildung. Erst am Donnerstag trudelte die offizielle Variante dann verspätet ein. Wie überall im Ländle startete der Betrieb an den zehn Sinsheimer Kindergärten etwa zwei Wochen vor den Schulen, was in Stuttgart "möglicherweise übersehen worden" sei.

> Reiserückkehrer sind ein Dauerthema beim Hauptamt von Marco Fulgner: Wie seine Kollegin Barth beobachtet er zwar eine Flut an Anfragen und Unsicherheiten, aber "kaum Streitfälle" und eine hohe Kooperationsbereitschaft. Viele Rückkehrer aus Risikogebieten wie den Balkanländern, etwa aus dem Kosovo, fragten "lieber zweimal" nach dem adäquaten Vorgehen. Die wichtigsten Infos hat Melanie Wricke vom Stadtmarketing im Corona-Bereich der Stadt-Website eingepflegt.

> Wiederholungstäter bei Hygiene-Verstößen seien "Einzelfälle, aber die gibt es". Laut Ordnungsamtschef Werner Schleifer fehlt es in manchen einschlägig bekannten Gastronomie- und Dienstleistungsbetrieben – gemeint ist mancher Barbershop und manche Imbissbude – "an Einsicht". Seit Beginn der Pandemie wurden 250 Verstöße angezeigt und Bußgelder zwischen 150 und 500 Euro verhängt. Über Strafen in Höhe von 5000 Euro, wie vereinzelt in Stadtgesprächen kolportiert, "wissen wir nichts", sagt Schleifer. Allerdings seien einzelnen Betrieben bei erneuten Verstößen "elementare Maßnahmen bereits angekündigt worden".

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> Quarantäne-Fälle, Anordnungen und Überwachungen gestalteten sich zum "weit überwiegenden Teil" problemlos, sagt Schleifer. Einzelfälle seien jedoch telefonisch schon beim Amtsleiter aufgeschlagen; Schleifer kann auch "von Streitgesprächen" berichten. Missachtungen der Quarantäne würden in der Regel bemerkt und oft "aus dem nachbarschaftlichen Umfeld" gemeldet. Es komme vor, dass sich Mitarbeiter zur Überprüfung "auch mal hinters Steuer setzen", um sich einen Eindruck vor Ort zu verschaffen. Sowohl das Ordnungs- als auch das Kreis-Gesundheitsamt "halten Kontakt" zu den in Quarantäne befindlichen Personen.

> Corona-Demos werden die Polizei – nach einer Pause seit dem 24. Juli – ab diesem Freitag wieder beschäftigen. Nach einem Schiffmann-Auftritt auf dem Burgplatz soll dieses Mal Samuel Eckert auftreten. Der gebürtige Mannheimer, der von der Schweiz aus agiert, betreibt einen YouTube-Kanal mit corona- und gesellschaftskritischen Inhalten, dem über 160.000 Personen folgen. Eckert, der lange Zeit in Angelbachtal lebte, gehört der Glaubensgemeinschaft der Siebter-Tag-Adventisten an. Für die Demo haben die Veranstalter von "Querdenken 7261" 300 Personen angemeldet. Die 1,5-Meter-Abstandsregel soll bei der Zusammenkunft laut Schleifer "nicht bestehen, wenn Personen im gleichen Haushalt leben".

> Motivationsprobleme bei der Feuerwehr durch den Lockdown sprach Stadtkommandant Michael Hess ohne Umschweife an, "gerade bei Ehrenamtlichen und Quereinsteigern", inzwischen aber auch bei Führungsmitgliedern. Der Wegfall von Übungseinheiten und des Grundlehrgangs, der Rückgang an Einsätzen und kaum Aktivitäten im Jugendbereich trügen dazu bei, genauso wie die Absage zweier "bereits vollkommen durchgeplanter" Feuerwehrjubiläen in Hoffenheim und Hilsbach. Die Sorge ist nun, dass sich ein Gewöhnungseffekt "an relativ viel Freizeit" einstellt und der "dringend benötigte Nachwuchs" in der einsatzarmen Zeit die Lust verliert. Zu Beginn der Pandemie hat die Sinsheimer Feuerwehr 13 individuelle Hygienekonzepte für die einzelnen Feuerwehrabteilungen erarbeiten müssen.

> Musikvereine beschäftigen zurzeit das Amt für Gebäudemanagement, das sich auch um die Leitung und Trennung von Besucherströmen kümmert. Blasmusiker und Chöre sind in besonderem Maß von den Corona-Auflagen betroffen, es fehlt an Probemöglichkeiten in Innenräumen. "Können wir in die Sporthalle?", lautet eine Frage, die Baudezernent Tobias Schutz oft hört. Die Krux dabei: Probt ein Blasorchester in einer Halle, die danach von einer Gymnastikgruppe genutzt wird, dann müsse zuvor "der Boden desinfiziert werden". Sporthallenkonzepte sieht Schutz als künftige Herausforderung.

> Schutzausrüstungs-Vorräte in namhafter Größenordnung hat der Krisenstab beschafft: 33.500 einfache OP- und 17.500 FFP 2-Masken, 900 Liter Hand- und 1200 Liter Flächendesinfektionsmittel lagern im Rathaus; zu Spitzenzeiten waren es genau 47.350 OP- und 21.550 FFP 2-Masken und 1110 Liter Handdesinfektion. Aus Plexiglasplatten haben die Schreiner 90 Spuckschutzwände für die städtischen Mehrpersonen-Büros geschnitten. Tobias Schutz erinnert sich an einen leergekauften Markt, an "Einzelbestellungen in dubiosen Online-Shops", bei denen man anfangs "Fake-Masken oder nicht vorhandene Masken erworben" habe. Auch Arztpraxen wurden von der Stadt seinerzeit beliefert. 200.000 Euro hat die Stadt in Schutzausrüstung investiert.

> Erneuten Mangelzustand fürchtet Oberbürgermeister Jörg Albrecht "derzeit nicht". Sorgenvoller klingt da GRN-Klinikleiter Thorsten Großstück, der "durchaus Knappheiten bei OP-Kitteln und Beatmungsfiltern" am Horizont aufziehen sieht.

> Desinfektionsmittel-Diebstähle beobachtet Großstück am Krankenhaus, kann aber noch schmunzeln: An der Klinik werden viele der Spender auf den Zimmern und den Stationen aus BASF-Großgebinden befüllt, "und da wundert man sich über manche Verbräuche". Vereinzelt würden "mitgebrachte Fläschchen abgezapft", was sich summiere.

> "Die Schnupfenzeit", sobald sie kommt, macht dem Klinikleiter Sorgen, weil jeder mit Schnupfen als Corona-Verdachtsfall betrachtet werden muss. Die Zahl der Personen, die mit Erkältungssymptomen am Krankenhaus aufschlagen, wird steigen. Und mit ihr die Zahl der Tests im Screening-Center. Zur besseren Trennung sei geplant, einen Container zur Praxis umzurüsten. Man verhandle noch mit der Kassenärztlichen Vereinigung, wobei die Gespräche "zäh" verliefen.

> Die Landesheimattage sind abgewickelt, sagt Albrecht, zwei Monate hat dies gedauert. Die Damen der Geschäftsstelle arbeiten inzwischen in anderen Abteilungen. Zwölf der 330 geplanten Veranstaltungen fanden statt. Ein Teil der Feste soll im kommenden Jahr gefeiert werden, sie seien aber "nicht per se gesetzt".

> Einen Ausnahmezustand bis weit ins kommende Jahr hält Albrecht für möglich. Er rechnet damit, dass auch "die Freibad-Saison 2021 unter Berücksichtigung der Corona-Regeln" verlaufen dürfte. Völlig unklar ist auch, wie es mit den Geisterspielen in Fußballstadien weiter geht. Man vermisse "die anfängliche Geschlossenheit" unter den Bundesliga-Standorten: "Es war vereinbart, alle gleich zu behandeln", sagt Albrecht und geht von Geisterspielen bis mindestens 31. Dezember aus. Sinsheim ist die einzige Bundesligastadt ohne eigenes Gesundheitsamt.

> Außenwirtschaften im Winter – eine Forderung der Gastronomie in manchen Städten – waren im städtischen Krisenstab bislang "kein Thema". Albrecht signalisiert Offenheit seitens seiner Behörden. Es gebe in Sinsheim "kein Heizpilzverbot".

> Heiraten geht, sagt Hauptamtsleiter Fulgner. Der große Ratssaal sei – "wenn auch optisch etwas formell gehalten" – in Corona-Zeiten sogar gefragt, da dort Gesellschaften mit bis zu 29 Personen Platz finden. Und so sind für kommenden Samstag vier Hochzeiten angekündigt. Sie von einander fernzuhalten sei eine etwas eigenartige Herausforderung: "Gut, dass wir zwei Eingänge haben", sagt Fulgner und lacht, "dann heißt es: vorne raus, hinten rein".

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