Höpfingen

Für den Pionier blieb kaum ein Campingurlaub ungestört

Dieter Goldschmitt hat sein Leben der Reisemobilbranche verschrieben - Im Interview mit der RNZ berichtet er über den Wirtschaftsmotor "Camper-Szene"

31.07.2020 UPDATE: 01.08.2020 06:00 Uhr 5 Minuten, 25 Sekunden
Der Reisemobilpionier Dieter Goldschmitt hat klein angefangen, blickt nun aber nach mehr als 40 Jahren in der Branche mit Genugtuung auf sein Lebenswerk zurück. Mit der RNZ hat er sich über seine Erfolgsgeheimnisse unterhalten. Foto: Rüdiger Busch

Höpfingen. (dore/jam) Seit mehr als 40 Jahren arbeitet Dieter Goldschmitt in der Reisemobilbranche – zunächst als Fahrzeughersteller, dann als Händler und Lieferant von Fahrwerkskomponenten und Hubsystemen, später als Markenbotschafter und zuletzt als Agenturbetreiber, über die er Kommunen zum Beispiel in Fragen der Stellplatzgestaltung berät. Wir haben mit dem Reisemobilpionier über sein Lebenswerk, Weltrekordversuche, Erfolgsgeheimnisse und waghalsige Touren durch das US-amerikanische Death Valley und die beinahe ebenso tückische englische Provinz unterhalten.

Herr Goldschmitt, nach den zwei Weltrekordversuchen "Längster Wohnmobilkonvoi der Welt" 2017 und 2018 ist es ruhig geworden. Gibt es in den nächsten Jahren noch einmal ein großes Wohnmobilevent in der Region oder haben Sie andere Pläne? Ihnen gehen ja die Ideen nie aus.

Tatsächlich hatten wir für diesen Herbst ein neues Megatreffen in Aussicht gestellt. Mit der Neubelegung der Kaserne in Hardheim konnten wir allerdings nicht mehr mit dem Truppenübungsplatz Wolferstetten als Austragungsort planen. Alternativen gibt es im relativ dünn besiedelten Odenwald kaum. Hinzu kam die Corona-Pandemie, die eine sichere Planung unmöglich macht. Dennoch wollen wir zumindest kleinere Treffen wieder in die Region holen. Auch ein Weltrekordversuch könnte wieder stattfinden. Es gibt schließlich neben einem Konvoi noch viele andere Möglichkeiten. Die Ideen sind tatsächlich schon da.

Wie kam es zu ihrer Leidenschaft für Wohnmobile?

Dass man in einem Kleintransporter wohnen kann, erkannte ich während meiner Zivildienstzeit beim Roten Kreuz Mitte der 70er. Folgerichtig war mein erstes "Wohnmobil" ein Ford Transit in mausgrau aus dem ehemaligen Bestand des Zivilschutzes. Beim Innenausbau war Kreativität gefragt, denn fertige Bauteile gab es kaum. Fenster, Möbel, Polster etc. mussten selbst entworfen und konstruiert werden. Mit jeder Fahrt kamen neue Ideen und Wünsche, sodass die diversen Fahrzeuge im Laufe der Zeit immer größer und perfekter wurden. Inzwischen hatte ich mein Studium beendet und verfügte als Lehrer im Jugenddorf Klinge in Seckach glücklicherweise über ausreichend Ferien, um mehrmals im Jahr auf große Tour zu gehen. Bei Kollegen und Ex-Kommilitonen wurde ich schnell zum begehrten Ansprechpartner, denn Ende der 80er kam die Caravaningwelle zum ersten Mal richtig ins Rollen.

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Sie haben die Goldschmitt Reisemobile GmbH, später Goldschmitt techmobil AG 1980 gegründet. Wie kam es dazu?

Auch ohne soziale Medien sprach es sich in Windeseile herum, dass es in Seckach einen "Wohnmobilexperten" gibt. Folgerichtig baute ich einige Mobile für Freunde und Bekannte in meiner Freizeit. Die Aufträge sprudelten von allen Seiten, sodass ich eine Entscheidung treffen musste. Am 1. April 1980 tauschte ich die sichere Beamtenkarriere gegen die Unwägbarkeiten des freien Unternehmertums. Im Mühlengrund in Buchen nahm das Zwei-Personen-Startup (Dieter und Gisela Goldschmitt) die Produktion auf. Danach wurde eine Halle in der Höhenstraße in Götzingen erworben, ehe es 1987 nach Höpfingen auf das 30.000 Quadratmeter große ehemalige Bahngelände ging.

Heute ist Goldschmitt Europas Nummer eins für Luftfahrwerke in Reisemobilen und leichten Nutzfahrzeugen sowie europäischer Marktführer für hydraulische Hubstützensysteme. Seit 2014 gehört die Goldschmitt techmobil GmbH zur Erwin Hymer Group, Europas größter Herstellergruppe von Reisemobilen und Caravans. Was ist das Geheimnis dieser Erfolgsgeschichte?

Während meiner aktiven Zeit in der Geschäftsführung traf diese Markteinschätzung sicherlich zu. Heute habe ich mit dem operativen Geschäft allerdings nichts mehr zu tun. Soweit ich dies beurteilen kann, hat sich die Marke Goldschmitt sehr gut in den Hymer-Konzern eingegliedert. Als kinderloses Ehepaar jenseits der 60 ist die Nachfolgeregelung eine enorme Herausforderung, an der viel erfolgreiche Unternehmen scheitern. Für uns persönlich war der Verkauf an die Erwin Hymer Group der Höhepunkt einer jahrzehntelangen Erfolgsgeschichte. So sind der Fortbestand unseres Lebenswerkes und der Erhalt der Arbeitsplätze dauerhaft gesichert. Wir sind sehr stolz, in 35 Jahren den Grundstein gelegt zu haben. Die Geheimnisse für diesen Erfolg sind schnell erklärt:

1. Höre auf deinen Kunden! Wenn du lieferst, was der Markt braucht, dann reißt man dir deine Produkte aus der Hand.

2. Übernimm Verantwortung für deine Produkte und suche auch im Reklamationsfall immer die kundenfreundlichste Lösung! Mit der Zeit bekommst du einen Ruf wie Donnerhall, der dich in Krisenzeiten am Leben erhält.

3. Qualität geht vor Rendite! Du musst nicht der Billigste sein, sondern der Beste. Viele Wettbewerber, die auf billige Alternativen gesetzt haben, sind vom Markt verschwunden. Die Kunden zeigen sehr gerne, dass sie sich das Top-Produkt des Marktführers leisten können.

4. Pflege stets eine enge Kundenbindung! Unsere Wohnmobiltreffen in Walldürn waren legendär. Mit der Eröffnung des Restaurants "Goldschmitts Steak & more" verfügte die Szene erstmals über einen eigenen Treffpunkt. Die Goldschmitt-Firmenband "Die Goldkehlchen" sorgten für den passenden Sound. 2016 wurde das "Goldschmitts" zum beliebtesten Restaurant Deutschlands für die mobile Szene gewählt. Darauf sind wir immer noch stolz.

Sommerzeit ist Campingzeit. Wo geht es für die Goldschmitts in diesem Jahr hin?

Leider ist in diesem Sommer auch Corona-Zeit, daher kommen längere Auslandsreisen nicht in Frage. Meine Frau und ich werden außerhalb der Ferienzeit die deutsche Ostseeküste bereisen. Unser Herz gehört der Küste um Bad Doberan und Kühlungsborn. Hier kann ich dann auf dem historischen "Molli" mal wieder ausgiebig Dampflokatmosphäre schnuppern. Wir haben uns Reisemobil-technisch stark verkleinert und nennen seit geraumer Zeit einen Knaus-Kastenwagen unser Eigen. Damit liegen wir voll im Trend der Zeit, der kleine, wendige und vor allem umweltfreundlichere Mobile vorne sieht.

Was waren die außergewöhnlichsten Campingurlaube für Sie?

Sie werden es kaum glauben, aber obwohl wir die schönsten Traummobile auf dem Hof hatten, gelang es meiner Frau und mir eher selten, einen längeren Campingurlaub ungestört zu genießen. Meist hängten wir einige Urlaubstage an Messen oder Firmentermine an. Nichtsdestotrotz erinnere ich mich an eine traumhafte Tour durch Schottland in einem betagten Hanomag, eine Rundreise durch Irland und einen abenteuerlichen Trip durchs Death Valley ohne Navi, bei dem wir nur mit viel Glück wieder in die Zivilisation zurückfanden.

Dieter Goldschmitt in den Anfangsjahren seiner Firma. Foto: zg

Gibt es eine Anekdote von einer Caravan-Reise, die Sie besonders in Erinnerung haben?

Mit Anekdoten kann ich dafür umso mehr dienen. Kurioses und Heiteres könnten inzwischen ein Buch füllen. Eine dieser Situationen möchte ich wiedergeben: Ende der 90er vertraten wir in Höpfingen sehr erfolgreich die Luxusmobile der Edelmanufaktur Niesmann+Bischoff. Einmal im Jahr wurde eine gemeinsame Ausfahrt organisiert. In besagtem Jahr sollte das Ziel der Sommersitz der englischen Königin in Sandringham in der britischen Grafschaft Norfolk sein. Nach der Überfahrt nach Dover suchten die über 50 "Dickschiffe" nach dem vorab gebuchten Übernachtungsplatz. Hierbei sorgte ein exotisches Verkehrszeichen für allgemeine Verwirrung: Auf dem Schild war "10’10’’ in 1 mile" zu lesen. Nach einigem Hin und Her kamen einige Camper zu dem Schluss, das es sich wohl um eine Höhenangabe handeln müsste. Gestresst von der langen Anreise und dem ungewohnten Linksverkehr entschieden diese, dass zehn Fuß und zehn Inch sicherlich hoch genug für die dicken Brummer auf ihren Mercedes- und MAN-Chassis sein müssten. Frohen Mutes setzte sich die gesamte Karawane in Bewegung, um einer immer schmaler werdenden englischen Straße ins Unheil zu folgen. Als nach einer Meile das angekündigte Durchfahrtshindernis in Form einer stillgelegten Eisenbahnbrücke erreicht war, geschah das Unvorhersehbare. Es fehlten die entscheidenden Zentimeter zur sicheren Durchfahrt. Nicht einmal der Vorschlag einiger Experten, man könne ja die Luft aus den Reifen lassen, brachte den erhofften Durchbruch. Mangels geeigneter Wendemöglichkeit blieb nur der lange Weg im Rückwärtsgang. Entsprechend hörte sich die Meldung im Verkehrsfunk an, die in den nächsten Stunden über den Sender ging: Gewarnt wurde vor einer großen Anzahl deutscher Wohnmobile, die auf der Landstraße von Folkstone nach Paddesworth im Rückwärtsgang hartnäckig gegen das Linksfahrgebot verstießen. Einige der Fahrzeuge seien auf platten Reifen unterwegs. Der Vollständigkeit halber: Die eigentliche Zufahrt zum Stellplatz befand sich nur wenige Kilometer weiter und war breit, gerade und ohne jede Höhenbegrenzung.

Ihr Ziel war es immer, den Neckar-Odenwald-Kreis zu einem wohnmobilfreundlichen Landkreis zu machen. Wie zufrieden sind Sie mit der Entwicklung?

Zum Glück finden wir heute in vielen Gemeinden im Neckar-Odenwald-Kreis sehr schön gelegene Stellplätze. Insofern bin ich sehr zufrieden. Noch besser ist die Tatsache, dass die von den Gemeinden angebotene Infrastruktur von den Campern sehr gut angenommen wird. Anfangs belächelt, ist die Camper-Szene inzwischen zu einem veritablen Wirtschaftsmotor und Umsatzbringer geworden. Um noch mehr von dieser Urlaubsform zu profitieren, sollten bestehende Plätze erweitert und das Serviceangebot ausgebaut werden. Ich denke hier beispielsweise an einen Shuttleservice oder ein Gutscheinheft für besondere touristische Highlights, gefolgt von speziellen Angeboten der örtlichen Händler und Gewerbetreibenden. Wenn wir uns die aktuellen Umsatzzahlen in der Freizeitbranche anschauen, dann stellen wir fest, dass eine gigantische Welle auf uns zurollt. Mit einem Umsatzplus von fast 79 Prozent und einer Verdreifachung (!) der Mietbuchungen gehört die Branche zu den wenigen Glücklichen, die gestärkt aus dem Lockdown hervorgehen.

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