Historiker im Interview

"Wir stehen wieder an einer wichtigen Schwelle" - Historiker über Parallelen zu 1930

In Thüringen trat die NSDAP erstmals in eine Landesregierung ein

06.02.2020 UPDATE: 07.02.2020 08:00 Uhr 2 Minuten, 5 Sekunden
Steffen Raßloff. Foto: zg

Von Daniel Bräuer

Heidelberg/Erfurt. Der Erfurter Historiker Steffen Raßloff ist Mitglied der Historischen Kommission für Thüringen.

Herr Raßloff, hat Sie schockiert, was am Mittwoch im Thüringer Landtag passiert ist?

Man hatte ja schon gemunkelt, dass die Situation eintreten könnte. Aber als es dann tatsächlich eingetreten ist, war ich schon ein bisschen wie vor den Kopf geschlagen, das gebe ich zu.

Jetzt wird oft der Vergleich bemüht, dass 1930 in Thüringen die NSDAP erstmals in eine Landesregierung eingetreten ist. Historisch betrachtet: Hilft dieses Parallele weiter?

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Da würde ich schon differenzieren wollen. Wenn man die Situation 1930 mit heute vergleicht: Damals waren die Bürgerlichen, in einer ähnlichen Situation im Landtag mit einem Patt mit den linken Arbeiterparteien SPD und KPD, auf die Fraktion der äußersten Rechten angewiesen, der NSDAP. Sie sind ihnen damals sehr viel weiter entgegengekommen, bis hin zur Ernennung Wilhelm Fricks, eines verurteilten Hochverräters und Hitler-Putsch-Teilnehmers, zum Innen- und Volksbildungsminister. Man hat natürlich gewisse strukturelle Ähnlichkeiten zur Weimarer Republik. Aber das unmittelbar mit einander zu vergleichen, das halte ich doch für überzogen.

Weil der Grad der Kooperation ein anderer war?

Ganz wesentlich. Der Vergleich müsste eher ins Jahr 1924 gehen, als erstmals in Thüringen eine starke rechtsradikale Fraktion in einen Landtag gezogen ist. Das ist noch eher mit der heutigen Situation zu vergleichen: Auch damals waren die Bürgerlichen auf die NSDAP-Fraktion angewiesen, und man hat sich auf eine Tolerierung geeinigt. Man hat dafür einen der verdientesten Demokraten Thüringens, Eduard Rosenthal, den Schöpfer der Landesverfassung, wegen seiner jüdischen Herkunft aus der Regierung zurückgezogen. Auch das ist schon weit jenseits dessen, was wir heute erleben. Das war die Chance für die Rechtsextremen als Steigbügelhalter der Bürgerlichen, vom Tolerierungspartner über den Regierungspartner bis zur "vorgezogenen Machtergreifung" im Sommer 1932: Da hat die NSDAP dann tatsächlich den Ministerpräsidenten gestellt in Thüringen – also wirklich eine Vorreiterregion. Das mit heute zu vergleichen, fällt mir doch sehr schwer.

Was die erste Regierung mit NSDAP-Beteiligung 1930 dann ins Werk gesetzt hat – kann man als Probelauf für 1933 sehen?

Ja, dieser Begriff wird auch in der Forschung verwendet. Innen- und Kulturpolitik, das sind die klassischen Politikfelder der föderalen Landespolitik. Frick hat sofort diese beiden Schlüsselressorts gnadenlos ausgenutzt. Er hat den Beamtenapparat gesäubert, wie man so unschön sagt, die letzten Sozialdemokraten entlassen und das Personal mit Nationalsozialisten durchsetzt. In der Kulturpolitik hat er den Remarque-Roman verboten, hat moderne Bilder aus den Museen entfernt, hat Rassisten an die Universität Jena berufen. Diese Politik deutete wirklich auf das voraus, was dann ab 1933 auf Reichsebene exekutiert wurde, auch wiederum mit Frick als Reichsinnenminister, das darf man nicht vergessen.

Schaut also zurecht das ganze Land nun auf das, was in Thüringen die nächsten Tage und Wochen passiert?

Mit Sicherheit! Da haben wir wieder eine historische Parallele. Die Ereignisse von 1924 und erst recht die von 1930, als Hitler persönlich nach Weimar reiste und lange mit den bürgerlichen Partnern verhandelte, das hat damals nicht nur deutschlandweit, sondern auch weltweit für Schlagzeilen gesorgt. Man hat den Aufstieg der Nationalsozialisten international sehr genau verfolgt. Da sind wir ein Stück weit in einer ähnlichen Situation: Wie geht es jetzt weiter mit der politischen Rechten? Wie weit wird sie salonfähig, wie man das damals formuliert hat? Da sind wir wieder an einer wichtigen Schwelle der politischen Entwicklung in Deutschland.