Jürgen W. Falter im Interview

"Kurz kann als Vorbild dienen"

Parteienforscher Falter über Lehren aus der Österreich-Wahl

30.09.2019 UPDATE: 01.10.2019 06:00 Uhr 1 Minute, 58 Sekunden
Jürgen W. Falter. Foto: dpa

Von Andreas Herholz, RNZ Berlin

Berlin. Der Politologe Jürgen W. Falter ist Parteienforscher an der Universität Mainz.

Herr Falter, ein großer Wahlerfolg für Sebastian Kurz und die ÖVP in Österreich. Was war das Erfolgsrezept?

Es gibt drei Effekte, die zusammengespielt haben: Zwei haben Sebastian Kurz in die Hände gespielt, einer hat den Grünen geholfen. Es gab vor allem den Kurz-Effekt. Er ist ein Kanzlerkandidat, der gut im Volk ankommt. Er versteht es, geschickt zuzuspitzen, hält sich aber mit persönlichen Angriffen zurück. Er konzentriert sich auf die ihm wichtigen Themen, passt sich nicht Umfragen oder Stimmungen aus den Medien an. Kurz hat aber auch von der Ibiza-Affäre und dem Strache-Effekt profitiert. Das hat der FPÖ erheblich geschadet und der ÖVP geholfen. Die Grünen profitieren vor allem vom Klima-Effekt. Der hat auch in Österreich gewirkt und das Ergebnis der Grünen verdreifacht.

Welche Koalition bietet sich jetzt an?

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Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir in Österreich bald wieder Neuwahlen bekommen. Die Grünen und die ÖVP zusammenzubringen, ist außerordentlich schwierig. Beide Seiten müssten über viele Schatten springen. Zwischen der ÖVP und der SPÖ stimmt es persönlich nicht, und die FPÖ wird wohl nach der Wahlniederlage die Oppositionsrolle vorziehen. Es ist noch nicht ausgemacht, dass der Wahlsieg auch zu einer Regierungsmehrheit führen wird. Das wird mühsam werden.

Kann Kurz den Unionsparteien im Wahlkampf als Vorbild dienen?

Das Modell Kurz, die Konzentration auf einen glaubwürdigen, relativ charismatischen Kanzlerkandidaten oder eine entsprechende Kanzlerkandidatin kann durchaus als Vorbild dienen. Wenn es der CDU-Chefin Frau Kramp-Karrenbauer nicht gelingt, diese Eigenschaften zu entwickeln, fehlt ihrer Partei dieser Effekt. Ihr steht auch Angela Merkel im Weg. Die Kanzlerin ist noch da, ordnet ihr Erbe, genießt hohe Popularität und überstrahlt damit immer noch alle. International spielt sie nach wie vor eine große Rolle. Das macht es Kramp-Karrenbauer schwerer, selbst zu punkten. Sebastian Kurz punktet nicht zuletzt als ein sehr guter Rhetoriker. Frau Kramp-Karrenbauer hat dies bisher nur ein einziges Mal bewiesen, nämlich auf dem CDU-Bundesparteitag bei ihrer Wahl. Kramp-Karrenbauer kommt bisher einfach nicht aus dem übermächtigen Schatten der Kanzlerin heraus. Sie müsste sich, um das zu erreichen, auf manchen Problemfeldern stärker gegen sie stellen. Das würde ihr aber in der Partei und in der Öffentlichkeit übel genommen.

Und bei den Inhalten?

Sebastian Kurz ist anders als die CDU nicht dem Klima-Hype verfallen. Das Thema Klimaschutz könnte sich längerfristig sogar negativ für die Union auswirken, nämlich dann, wenn die Menschen merken, dass wir allein allenfalls als Vorbild für die Welt wirken können. Wir müssen zwar dringend etwas tun, aber der nötige Effekt lässt sich nur durch weltweites Handeln erzielen. Deutschland kann hier vor allem Vorbild sein und Technik und Innovation für andere Länder liefern. Der Klimaschutz ist für die Union kein Gewinnerthema. Die AfD wird diejenigen hinter sich versammeln, die die hohen Kosten für den Klimaschutz nicht tragen wollen.

Was ist mit der Migrationspolitik?

Die CDU-Klientel würde wohl die Migrationspolitik von Kurz eher mittragen als die von Angela Merkel. CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer muss ähnlich wie er ebenfalls vor allem die eigenen Anhänger ansprechen und mobilisieren.