Burgfestspiele Jagsthausen

Dieser "Götz" gibt zu Denken

Sewan Latchinian inszeniert Goethes "Götz von Berlichingen" als Spiel zwischen Komödie und Tragödie

17.06.2019 UPDATE: 18.06.2019 06:00 Uhr 2 Minuten, 32 Sekunden

Pierre Sanoussi-Bliss als "Götz von Berlichingen" bei den Burgfestspielen in Jagsthausen. Foto: Burgfestspiele Jagsthausen

Von Brigitte Fritz-Kador

Jagsthausen. War "Götz" am Ende so etwas wie ein "Hippie-Revoluzzer" und wir haben ihn bislang nur "falsch" gelesen? Kann man Pierre Sanoussi-Bliss mit Rasta-Zöpfen und Batik-Hose überhaupt ernst nehmen? Oder ist selbst dieses "Kostüm" eine Anspielung der Regie darauf, dass Götz eben alles andere als ein "angepasster Charakter" war? Genauso unangepasst wie die ganze Inszenierung?

Der Reihe nach: Das Bühnenbild (Ausstattung: Stephan Fernau) erweitert die Burg als Schauplatz, bezieht sie als authentischen Ort ein wie selten zuvor. Der Anfangsschreck über die albern-überzogene Geschmacklosigkeit des Knaben-Auftritts mit Stummelfüßen sitzt noch in den Knochen, da nimmt diese Inszenierung plötzlich Fahrt in eine Richtung auf, die zeigt, dass man auch im 70. Jahr der Burgfestspiele Jagsthausen dem Stück neue Perspektiven abgewinnen und geben kann.

Sewan Latchinian tut dies, indem er der Handlung und dem Agieren der Schauspieler einerseits Schärfe gibt, diese aber permanent oszillieren lässt zwischen Tragödie und Komödie, oft auch Farce. Und es zeigt sich in vielen "Detail-Aufnahmen" : Er hat sich nicht nur mit dem Stück, sondern auch mit der Geschichte, dem Ort und der Region auseinandergesetzt. Und er lässt spielen, indem er selber spielt, auch tief in den Fundus der Theatergeschichte greift. Beginnend mit der sich hier so anbietenden "Mauerschau" aus der griechischen Tragödie, Elemente der "commedia dell’arte" aufgreift, die "Jessner-Treppe" als Ort für das Auf und Ab der Machtspiele, den überdimensionierten Roten Vorhang für die Ströme von Blut über die Bühne zieht oder Adelheid von Walldorf zum "Jedermann-Ruf" sterben lässt. Selbst die zwei Nürnberger Pfeffersäcke sehen aus, als seien sie einem Porträt von Holbein oder Dürer entsprungen.

Wenn zum Auftakt von der Brüstung die Drei-Mann-Combo "Wallahalla" Barmusik spielt und im Laufe der Inszenierung zu einem ihrer tragenden Elemente wird, so sollte man sich dennoch von dieser "Lockerheit" nicht irritieren lassen. Dahinter steht ein straffes Regime, anders ließen sich Ideenreichtum und Bezüglichkeiten auch nicht bändigen. Ansonsten würden Komik und Tragik als elementare Bestandteile zu Gegenspielern statt zu zwei Ebenen des Verständnisses.

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Es wird gelacht und getrauert, es wird geknallt und geschossen, verliebt und entliebt, getrunken und gerauft, gemordet und gerettet, betrogen und verführt und der Beweis angetreten: Goethes Sprache funktioniert auch für moderne Menschen. Und hat man gerade den Eindruck, das Stück könnte auch "Weisslingen" heißen, so wird diese "Unwucht" gleich wieder aufgehoben.

Latchinian fasst das Stück zwar an allen möglichen Enden an, aber es entgleitet ihm auch bei überbordender Spielfreude nicht. Selbst der Prozess für Götz vor den Heilbronner Ratsherren per Video und "Mittelalter-TV" in schönstem Heilbronner Schwäbisch übertragen, ist nicht nur ein unterhaltsamer Gag. Da liegt auch ein Fallstrick: In welche Geschichten stolpern wir wohl noch über die Medien?

Etwas rasch kommt die Wandlung des Götz vom gutglaubenden zu dem an der Menschheit verzweifelnden. Latchinian findet dafür ein schönes Bild: Götz stirbt vornüber gebeugt über die Brüstung der Burg, seine eiserne Hand fällt auf den Bühnenboden, der Ruf nach Freiheit wird von seiner Frau aufgenommen. Da ist es dann im Burghof ganz still, selbst die "Girls-Group", die mit schrillem Lachen passend und unpassend das Premieren-Publikum tyrannisierte, hält endlich den Mund bis der verdiente Applaus einsetzt.

Götz und Weislingen mit Christopher Krieg sind adäquat besetzt und überzeugend, auch darin, wie sie beide auf so unterschiedliche Art sich und überhaupt verlieren. Ann-Cathrin Sudhoff konterkariert das Unschuldsweiß ihres Kostüms bald mit flammendem Rot, liefert eine Lehrstunde dazu, wie "Frau" Macht gewinnt und verliert. Dagegen haben Götz`Frau Elisabeth und Schwester Marie (Nuria Mundry und Nadja Wünsche) stets einen schweren Stand.

Und wie war es mit dem Götz-Zitat? Auch im 70. Jahr gibt es eine neue Variante: Götz empfängt die kaiserliche Botschaft zu ebener Erde, beantwortet sie bis auf die letzten fünf Silben, wendet sich dem Publikum zu, breitet die Arme aus und lässt die Worte zurückschallen, für die allein manche nach Jagsthausen kommen. Um die Inszenierung zu sehen aber gibt es weit mehr als nur diesen Grund.

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