Klangforum Heidelberg mit vier Uraufführungen zum Thema "Widerstand"

Gewalt oder Gesang? Wie politisch kann Musik sein?

15.09.2014 UPDATE: 15.09.2014 06:00 Uhr 2 Minuten, 31 Sekunden
Komponistentreffen in Heidelberg (von links): Dirigent Walter Nußbaum, Stefan Litwin, Steffen Schleiermacher, Clemens Gadenstätter, Lyrikerin Angela Krauß und Jan Kopp. Foto: Matthias Roth
Von Matthias Roth

"Dies war ein Anfang. Der Anfang kommender Anfänge." So endet Steffen Schleiermachers A-cappella-Komposition "Montagsnächte" auf einen Text der Schriftstellerin Angela Krauß. Dieser bezieht sich auf die Leipziger Montagsdemonstrationen von 1989, die Komponist und Dichterin hautnah miterlebten.

Diese Märsche von 100.000 Menschen hätten bei fast völliger Dunkelheit eine akustische Komponente gehabt, erzählte Angela Krauß, die als "akustische Erfahrung unvergessen" blieb. Der Leipziger Pianist und Komponist Schleiermacher, Jahrgang 1960, versuchte in seinem traditionell komponierten Stück diese reale Situation einzufangen, wobei es ihm auf die Verquickung von agierender Masse und individuellem Schicksal ankam, die der Text vorgibt. Zwei Solostimmen (Juliane Dennert, Sopran, und Martin Backhaus, Bass) scheren so aus dem Sprechchor aus und erzählen quasi rezitativisch eingebunden ihre Geschichte. "Gewalt oder Gesang?", ist dabei eine Frage, die deutlich hervorgehoben wird und die damalige Situation fokussiert, in der niemand dieser aufbegehrenden DDR-Bürger wusste, worauf der Protest letztlich hinauslaufen würde.

Im Rahmen des diesjährigen Literatursommers Baden-Württemberg wurde so auch an die "friedliche Revolution" gedacht, die sich vor nunmehr 25 Jahren ereignete. Das "KlangForum Heidelberg" konnte insgesamt vier Auftragswerke vergeben, die sich mit dem Thema Widerstand in der Kunst befassen sollten. Schillers Anweisung zum "Räuber"-Drama, "Der Ort der Geschichte ist Teutschland" gab dabei ein vieldeutiges Motto ab, das die Komponisten auch sehr unterschiedlich auffassten.

Mit einem Vortrag über das "Vergessene demokratische Widerstandsrecht" führte der Hannoveraner Politologe und Jurist Professor Joachim Perels in die komplexe Materie eines verbrieften Rechts ein, das sich in Deutschland nur in einigen Landesverfassungen wie in Hessen erhalten hat, das aber nur in eingeschränkter Form ins Grundgesetz eingegangen ist. Das habe, so Perels, Theodor Heuss verhindert, Gründungsmitherausgeber der RNZ und später erster Bundespräsident der jungen Republik, der das Volk für eine "zu unsichere Größe" gehalten habe, um ein Widerstandsrecht in der deutschen Nachkriegsdemokratie gesetzlich zu garantieren.

Der zweite Komponist des ersten Konzertabends in der Heidelberger Hebelhalle, Jan Kopp (geboren 1971), befasste sich in seinem Auftragswerk "Hadern" (Text von Karl Kraus und Falk Richter) mit dem Sprechgesang als musikalischem Mittel. Dabei spielten seine Erfahrungen mit "Stuttgart 21"-Demonstrationen eine Rolle, wo Wut in Energie umschlug, aber auch die Sprache verzerrte. Kopp benutzt in seinem Stück daher Trillerpfeifen und Schnalzlaute, die Pferdegetrappel imitieren.

Es sei ihm darauf angekommen, einen Sprechchor zu kreieren, der verständlich bleibt, aber nicht im Unisono skandiert. So verteilt sich der Kraus-Text von etwa 1916 in Einzelsilben auf alle acht Stimmen, und erst im Gesamtklang ergibt dies einen verfolgbaren Sinn. Es entsteht das komplexe Gewebe einer gesprochenen Polyphonie, die die ausführende Gruppe viel größer erscheinen lässt, als sie tatsächlich ist.

Auch hier gewinnt Widerstand eine ästhetische Komponente, die zum Schluss in ein Melodram mündet, in dem eine Figur hervortritt (Lena Sutor-Wernich) und den etwa 100 Jahre nach Kraus entstanden Text von Falk Richter szenisch vorträgt, während ein Männerquartett den äußerst medienkritischen Inhalt mit sanften Harmonien konterkariert: Eine böse Satire auf die gegenwärtige Situation zwischen Vernichtung und Entertainment, Echtzeitberichterstattung und Nullinformation.

Die "Schola Heidelberg" unter Walter Nußbaums Leitung realisierte beide Uraufführungen, die am selben Abend wiederholt wurden, mit bemerkenswerter Klangsinnlichkeit und sängerischer Kompetenz. Ein phänomenaler Start in die Konzertsaison dieses Herbstes.

Theresia Bauer, Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg, betonte in ihrem Grußwort zur Eröffnung des zweitägigen Themenfestivals, dass das Heidelberger Klangforum auf dem schwierigen Terrain der Vermittlung neuer künstlerischer Ausdrucksweisen seit vielen Jahren hervorragende Arbeit leiste und das Land daher die Ensembles "Schola Heidelberg" und "aisthesis" unter der Leitung von Walter Nußbaum seit zehn Jahren unterstütze. Theresia Bauer konnte sogar eine Erhöhung der jährlichen Subvention auf nun 45.000 Euro verkünden. Ein neues "Jerusalem Projekt" des Klangforums wird darüber hinaus aus dem Innovationsfond 2014 des Landes mit 50.000 Euro unterstützt. Eine unabhängige Fachjury entschied über diese Projektförderung. Das Land fördert derzeit rund 200 künstlerische Projekte mit insgesamt sechs Millionen Euro.

Auch Heidelbergs Kulturbürgermeister Joachim Gerner freute sich über den gelungenen Konzertauftakt und sicherte eine weiterhin "verlässliche und dauerhafte" Unterstützung des KlangForums durch die Stadt Heidelberg zu.

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