Champions League

Das Spiel um Milliarden

In der Champions League nimmt das Ungleichgewicht durch die neue Verteilung der Geldflüsse weiter zu - Hoffenheim ist der kleinste Standort aller Zeiten

17.09.2018 UPDATE: 18.09.2018 06:00 Uhr 5 Minuten, 16 Sekunden

Jüngster Cheftrainer der Königsklasse: Hoffenheims Julian Nagelsmann wird morgen zum Auftakt 31 Jahre und 58 Tage alt sein. Foto: APF

Von Joachim Klaehn

Heidelberg. Wieder einmal fiel Cristiano Ronaldo auf: Inbrünstig sang der Star von Real Madrid vor dem Viertelfinal-Rückspiel gegen den Stadtrivalen Atlético die Hymne der Champions League mit: "Die Meister - die Besten - les grandes équipes - the champions!" Dafür erntete der egozentrische Portugiese im April 2015 Hohn und Spott. Auf Profifußballer freilich wirkt diese Musik wie ein Aufputschmittel: monumental, opulent und spannungsaufbauend - so soll auch dieser Wettbewerb sein. Fußball mit Pauken und Trompeten, überwältigender Klangfülle, großer Streicherbesetzung und einem imposanten Chor, also barocker Pomp wie bei einem Oratorium.

Seit 1992/93 ist die Champions League das Maß aller Dinge im Vereinsfußball. Aber nun plagen die begeisterungsfähigen deutschen Fans schwere Fragen: Können die Bundesliga-Vertreter noch mithalten in der Königsklasse oder wenigstens der Europa League, dem kleinen, zu Unrecht gescholtenen Bruder? Oder trifft es zu, dass Geld eben doch Tore schießt?

Wenn dem so wäre, dann stünde der künftige Triumphator des europäischen Fußballs bereits fest: Juventus Turin. Klub-Boss Andrea Agnelli (42), der letzte männliche Erbe einer italienischen Industrie-Dynastie, hat den Anspruch klar formuliert: "Juventus muss dieses Jahr die Champions League gewinnen." Dafür haben die "Bullen" aus dem Piemont Cristiano Ronaldo verpflichtet und 117 Millionen Euro auf den Tisch geblättert. Ausgerechnet Ronaldo soll die Erfolgsserie des Madrider Starensembles (vier Königsklassentitel in den letzten fünf Jahren!) brechen und am 1. Juni 2019 im Estadio Wanda Metropolitano siegen, in der Heimstätte von Atlético Madrid. Die "Colchoneros" wiederum träumen selbst nach inzwischen drei Europa-League-Gewinnen (2010, 2012 und 2018) von der Endspielteilnahme und vom höherwertigen Titel im eigenen Wohnzimmer.

Auch der deutsche Branchenkrösus FC Bayern München gehört neben Real, Atlético, dem FC Liverpool, dem FC Barcelona, Manchester City und Paris St. Germain zum erweiterten Favoritenkreis. 2001 siegten sie in Mailand im Elfmeterschießen gegen Valencia, 2013 in London 2:1 gegen Borussia Dortmund. Nach dem deutsch-deutschen Gipfeltreffen im Wembleystadion applaudierten die Engländer auf den Straßen und in den Pubs der britischen Metropole dem deutschen Vereinsfußball, ja sie verneigten sich vor dem erfrischenden Spielstil des FCB und BVB und registrierten zudem, dass das Nachwuchs- und Fördersystem des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und der Bundesliga Früchte trägt. Ein Jahr später wurde die deutsche Nationalmannschaft unter der Regie von Fußballästhet Joachim Löw in Rio de Janeiro Weltmeister.

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Das ist keine fünf Jahre her. 2018, nach dem Vorrunden-Aus in Russland, fällt die Bestandsaufnahme ernüchternd aus. Jogis Jungs suchen die innere Balance, und die deutschen Vereine übten sich im Vergleich mit englischen, spanischen, italienischen und französischen Klubs bei Neuverpflichtungen in Bescheidenheit.

Insgesamt 460 Millionen Euro investierten die deutschen Erstligisten in neues Personal. Die Premier League gab für Stars und "Sternchen" 1,39 Milliarden Euro aus, die Serie A 1,072 Milliarden, die Primera Divisíon 890 Millionen und die Ligue 1 aus Frankreich 634 Millionen Euro (inklusive dem bereits 2017 eingefädelten Transfer zwischen dem AS Monaco und Paris-St. Germain von Megatalent Kylian Mbappé für 180 Millionen Euro).

Oliver Kahn (49), einer der Chefkritiker deutscher Entwicklungsprozesse, betätigte sich unlängst als Mahner: "Es wird in Zukunft schwer für die Bundesliga-Vereine, absolute Top-Spieler zu bekommen", meint der ehemalige Torwart-Titan und Unternehmer. "Die deutschen Klubs sind mehr denn je auf eine erstklassige Nachwuchsarbeit angewiesen. Aber das kann auf Dauer nicht die einzige Strategie sein." Der dreimalige Welttorhüter legte den Finger noch tiefer in die Wunde, nachdem Bayern-Präsident Uli Hoeneß verkündet hatte, der Abonnementmeister habe keinerlei Interesse an "CR7" bekundet. "Ein Spieler dieser Größenordnung würde die Attraktivität der Liga unterstreichen", sagt hingegen Kahn. "Ronaldo wäre ein Meilenstein für die Bundesliga gewesen."

Die Bayern-Bosse haben unterdessen einen anderen Kurs eingeschlagen. Sie hielten sich trotz des bevorstehenden Karriereausklangs der beiden Altstars Arjen Robben und Franck Ribéry vornehm auf dem Transfermarkt zurück. Die einzige Kosten verursachende Neuverpflichtung ist der noch 17-jährige Rohdiamant Alphonso Davies. Für den Flügelspieler berappen die Bayern zehn Millionen Euro Ablöse und noch einmal fast genauso hohe Bonuszahlungen. Damit ist der gebürtige Ghanaer sicherlich kein Schnäppchen, aber (hoffentlich) ein Versprechen für die Zukunft. "Mister Bayern" Uli Hoeneß gedenkt ohnehin, im Sommer 2019 mit einer "aggressiven Transferpolitik" zur Attacke zu blasen, was für Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge schon im Hinblick auf den laufenden Betrieb 2018/19 nichts an den sportlichen Ambitionen ändert. "Wir wollen das, was wir 2013 mit dem Sieg in London erlebt haben, in naher Zukunft wieder erleben", so Rummenigge unmissverständlich.

Bayern ist und bleibt vorerst das Trumpf-Ass der Bundesliga, ohne die anderen drei deutschen Champions-League-Starter Schalke 04, die TSG 1899 Hoffenheim und Borussia Dortmund abwerten zu wollen. Für das genannte Trio geht es allein um das Erreichen der K.o.-Phase, mehr scheint kaum drin zu sein. Königsblau und Schwarz-Gelb haben heuer ligaintern am meisten investiert. Dortmund gab rund 75 Millionen Euro aus, u.a. für die Zugänge Abdou Diallo, Axel Witsel und Thomas Delaney. Schalke rüstete mit Sebastian Rudy nach, investierte 54,2 Millionen und machte gleichzeitig mit dem Verkauf von Youngster Thilo Kehrer für 37 Millionen an den katarischen Scheichklub aus Paris einen Mega-Deal.

Neuling Hoffenheim, das in der letztjährigen Qualifikation am späteren Finalteilnehmer FC Liverpool scheiterte, will es dank sechs namhafter Neuzugänge (Leonardo Bittencourt, Vincenzo Grifo, Ishak Belfodil, Joshua Brenet, Kasim Adams Nuhu und Arsenal-Leihe Reiss Nelson kosteten 30 Millionen) wissen. "Festspiele" sollen es gegen Schachtar Donezk, Olympique Lyon und Manchester City bei der Premiere auf höchstem internationalen Niveau werden.

Hoffenheim, mit rund 3 300 Einwohnern der kleinste Standort des europäischen Fußballadels aller Zeiten, profitiert vom Engagement seines großzügigen Mehrheitsgesellschafters Dietmar Hopp (78). Der SAP-Mitbegründer hat seit seinem Einstieg 1989 rund 350 Millionen Euro in sein sportliches Lieblingsprojekt gesteckt. Stille Einlagen in die Spielbetriebs GmbH, Gelder für die gesamte Infrastruktur sowie eine ganzheitlich ausgerichtete Nachwuchsförderung prägen das finanzielle Engagement des Ex-TSG-Stürmers und passionierten Golfspielers. Sie sind bei 1899 ehrgeizig wie die Walldorfer Software-Schmiede - und haben in Julian Nagelsmann (31) seit Februar 2016 einen selbstbewussten Trainer, der zu den talentiertesten in Deutschland, ja auf dem alten Kontinent gehört.

Nagelsmann hatte eine Offerte von Real Madrid vorliegen - und lehnte das Angebot ab. "Ich kann den Peak noch ein bisschen rausschieben", konstatiert er und entschloss sich überraschend, von 2019 an RB Leipzig zu übernehmen.

"Wir wollen etwas reißen", sagt Nagelsmann über die Ziele gewohnt angriffslustig. Am Mittwochabend geht es für "Hoffe" los - wegen des bestehenden Ost-Ukraine-Konfliktes trägt Schachtar Donezk die Heimspiele im 300 Kilometer entfernten Charkiw aus.

TSG-Manager Alexander Rosen, kongenialer Partner des "Lausbubs" aus Oberbayern, betrachtet die Champions League als riesigen Anreiz für den Dorfverein: "Wir treten nicht an, um die Hymne zu hören und drei schöne Stadien zu sehen. Wir wollen einen Abdruck in Europa hinterlassen."

In der Champions League sind in der aktuellen Saison 2,04 Milliarden Euro an Preisgeldern zu gewinnen. Dass die Superreichen noch vermögender werden, liegt an einer sogenannten Koeffizienten-Rangliste, in der 585 Millionen verteilt und das Abschneiden der letzten zehn Jahre belohnt werden. TSG-Geschäftsführer Frank Briel (43), Herr der Zahlen in der Geschäftsstelle Zuzenhausen, hat kürzlich errechnet, dass "Hoffe" aus diesem Topf 3,324 Millionen erhält. Peanuts gegenüber Real (35,456 Millionen) oder den Bayern (33,24 Millionen).

Ungleichgewicht herrscht an allen Fronten: Dieses Jahr werden Klubs der englischen Premier League umgerechnet 2,3 Milliarden Euro nationale TV-Einnahmen erhalten, gefolgt von der Bundesliga (1,16 Milliarden), der Ligue 1 (1,153 Milliarden), Primera Divisíon (1,1 Milliarden) und der Serie A (1,05 Milliarden).

Abgesehen von der krassen Dominanz des FC Bayern, der dadurch entstandenen sportlichen Eintönigkeit und der in Sachen TV-Verträge enteilten Premier League braucht die Bundesliga indes nicht in Untergangsstimmung zu verfallen. In den Bereichen Sponsoring, Transfer- und Spieltagserlöse, Hospitality und Merchandising arbeiten die deutschen Klubs akribisch, solide, kundenorientiert und vorbildlich. Unverändert funktioniert die Eliteklasse Deutschlands als Zuschauermagnet - sie ist mit durchschnittlich 41.000 Besuchern (gegenüber 36.000 in der Premier League) die bestbesuchte Liga der Welt.

Die diversen Reglements nationaler wie internationaler Ausprägung (verbindliche 50+1-Regel, Financial Fairplay der Uefa) werden von der Deutschen Fußball-Liga erfreulicherweise nicht aufgeweicht, sondern eingehalten. Trotz freier Marktwirtschaft benötigt der Profifußball Leitplanken. Der "DFL Report 2018" weist für die 36 Vereine der Bundesliga und 2. Bundesliga erstmals einen Gesamtumsatz von 4,01 Milliarden Euro aus, was bezogen auf die Spielzeit 2016/17 und dem Vorjahr einer Wertsteigerung von 4,2 Prozent entspricht. Rekord!

Weiter wachsend, ökonomisch gesund und sportlich populär - die Bundesliga bleibt dank ausgewogener Einnahmequellen international absolut konkurrenzfähig. Weil jedoch die diesjährigen Einschulkinder nur den FC Bayern als deutschen Meister kennen, muss sich die Bundesliga als Premiumprodukt im global ausgerichteten Milliardenspiel ein Stück weit neu erfinden.

Salbungsvolle Krönungshymnen, Gänsehautgefühle und den schmetternden Abschluss "The chaaaampiooons!" gibt es eben nicht einfach gratis.