1899 Hoffenheim

Wieder mal 'nen Dreier verschenkt

Die Zahl 26 erweist sich dabei als böser Fluch - Die Karikatur eines Spiels

05.05.2019 UPDATE: 06.05.2019 06:00 Uhr 2 Minuten, 44 Sekunden

Wie ein Strich: Nadiem Amiri (ganz r.) gelingt ein Traumtor zum 2:1 für die TSG im Borussia-Park. Es sollte nicht reichen. Foto: Imago

Von Joachim Klaehn

Mönchengladbach. Ein Kollege der Rheinischen Post meinte es besonders gut mit den mitgereisten Berichterstattern des Kraichgauklubs. "Ärgert euch nicht - ihr hättet hier 8:2 gewinnen können. Das wäre verdient gewesen", sagte der freundliche Herr, blickte kurz auf und bearbeitete weiter emsig die Tastatur seines Laptops. Es gab nach dem turbulenten 2:2 (0:1) zwischen Borussia Mönchengladbach und der TSG 1899 Hoffenheim viel zu erzählen und zu berichten. Es war "ein verrücktes Spiel", wie Gladbachs eloquenter Ballfänger Yann Sommer in der Mixed Zone erklärte, "nach diesen schweren Wochen tut das wirklich gut. Das fühlt sich wie ein Sieg an."

Nagelsmann flüchtet in Ironie

Die Gäste beschlichen hingegen ganz andere Gefühle. Niedergeschlagenheit, Verärgerung und Leere machten sich bei "Hoffe" breit. Sie hatten diese wichtige Partie um die internationalen Plätze lange Zeit dominiert, leblos und völlig verunsichert wirkende Gladbacher "Fohlen" phasenweise sogar schwindlig gespielt, sodass die Hecking-Schützlinge mit wütenden Pfiffen und Schimpfkanonaden von den Tribünenflanken bedacht wurden. Hoffenheim war schlichtweg in allen Belangen überlegen, produzierte Torchancen wie am Fließband - und vergab sie größtenteils fahrlässig.

Hintergrund

Einzelkritik

Baumann: Hatte lange wenig zu tun. Parierte den Freistoß-Aufsetzer von Herrmann, und zweimal stark gegen Hazard. Machtlos bei den Gegentoren.

Posch: Erst solide, dann anfällig. Offene Sohle gegen

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Einzelkritik

Baumann: Hatte lange wenig zu tun. Parierte den Freistoß-Aufsetzer von Herrmann, und zweimal stark gegen Hazard. Machtlos bei den Gegentoren.

Posch: Erst solide, dann anfällig. Offene Sohle gegen Neuhaus. Hatte da Glück, nicht mit Gelb-Rot vom Platz zu fliegen. Wurde von Nagelsmann rausgenommen und somit geschützt.

Vogt: Klärte immer wieder energisch. Verlor beim 2:2 Traoré aus den Augen. Flippte im Kabinengang gegen den Schiedsrichter aus.

Bicakcic: Souverän. Fast-Kopfballtreffer von "Eisen-Ermin" (36.), nach einer Flanke von Schulz. Fälschte den Ball von Drmic zum Ausgleich ab.

Grillitsch: Gutes Pressing, gute Ballverteilung. Und Flüchtigkeitsfehler.

Kaderabek: Prima Kopfball zum 0:1. Wie immer viel unterwegs. Unfreiwillige "Vorlage" zum 1:1 von Ginter.

Demirbay: Taktgeber, Vorbereiter, Eckenspezialist - stets am Schaltpult und bester TSG-Feldspieler.

Schulz: Engagiert an alter Wirkungsstätte. Seinen fulminanten Lattenknaller verwertete Amiri spektakulär.

Kramaric: Ständiger Unruheherd - mit Pech an den Füßen. Vor allem freistehend aus nicht mal fünf Metern (70.).

Belfodil: Schwächer als zuletzt. Muss wie Kramaric das 0:2 (60.) machen.

Szalai: Besaß mehrere hochkarätige Chancen. Sommers Fingerspitzen verhinderten den Doppelschlag (36.) nach der ersten TSG-Führung.

Adams: Für Posch in die Dreierkette beordert. Er bleibt "Bruder Leichtfuß", mitverantwortlich fürs 1:1.

Amiri: Brannte auf seine Einwechslung. Vier Minuten später sein Traumtor zum 1:2 - ekstatisch von ihm zelebriert.

Nelson: Kam in der Schlussphase rein. Ohne Bewertung. (jog)

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Vor 51.807 Zuschauern (Heimbereich ausverkauft) im Borussia-Park standen die vier Treffer von Pavel Kaderabek (33.), Matthias Ginter (72.), Nadiem Amiri (79.) und Josip Drmic (84.) zu Buche, doch im Endeffekt empfanden alle objektiven Betrachter das furiose Erlebnis und kuriose Ergebnis wie die Karikatur eines Fußballspiels.

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Nachdem sich die Nordbadener bei Aprilwetter am Niederrhein verzockt hatten, flüchtete TSG-Trainer Julian Nagelsmann in Ironie. Der Frust saß tief, das x-te Déjà-vu sowohl im Liga-Alltag als auch im Millionengeschäft der Champions League lässt sich nicht so einfach abschütteln. "Wenn wir die Qualität hätten, all diese Spiele über die Zeit zu bringen, dann könnten Bayern und Dortmund machen, was sie wollen", wagte der jüngste Bundesliga-Coach den Blick aufs große Ganze anno 2018/19, "dann würden wir Meister werden. Leider haben wir diese Qualität nicht. Deshalb stehen sie da oben. Und wir stehen da, wo wir stehen."

Statistikfreaks der Agenturen konfrontierten Nagelsmann damit, dass seine hochbegabte Mannschaft bereits zum insgesamt zwölften Mal eine Führung und dadurch errechnete 26 Punkte verspielt habe. Zahlen allein sind unterdessen Schall und Rauch. Rein mathematisch könnte Hoffenheim Spitzenreiter (77) vor dem FC Bayern (74) und dem BVB (70) sein. Aber wem nutzt der Konjunktiv?

Die Illusion einer nationalen Fußballwelt? Vorgestern schien die Zahl 26 wie ein böser Fluch daherzukommen. Dank der Lattentreffer von Adam Szalai (36.) und Nico Schulz (79.) untermauerten die Hoffenheimer den diesjährigen Aluminium-Spitzenwert (26) im deutschen Oberhaus, was den Machern des Stadionmagazins "Fohlen-Echo" vorab schon einen Hinweis unter dem Stichwort "Alupech" wert war. Und: Die offiziellen Spieldaten der Deutschen Fußball-Liga (DFL) wiesen zwischen dem VfL Borussia und der TSG 1899 ein Torschussverhältnis von 10:26 aus. Nach einer Stunde war’s noch krasser gewesen: 3:20!

Die Ansammlung von Torraumszenen und hochkarätigen Chancen vor Keeper Yann Sommer hatte etwas Slapstickhaftes. Gladbachs Trainer Dieter Hecking sagte über ein Urprinzip: "Die Psyche von Mannschaften ist sehr einfach zu erklären. Mit jeder Chance, die Hoffenheim nicht genutzt hat, hatte ich mehr das Gefühl: Wenn wir einmal zurückkommen, dann kriegen wir unsere Möglichkeiten. Du weißt dann, da geht noch was."

Trostversuch: Josip Drmic (l.) umarmt Nico Schulz nach dem 2:2. Foto: Imago

"Hoffe" jedenfalls baute Gladbach vor den Augen der Rautenklub-Legenden wie Netzer, Heynckes, Bonhof, Rahn und Co. unnötigerweise auf. Die Partie wurde zum Spiegelbild einer aufregenden TSG-Saison, irgendwo zwischen Himmel und Erde, zwischen Orgie und Ernüchterung. Die Hoffenheimer Akteure neigen offenbar zu Verschwendung, Laissez-faire und Anfälligkeit. "Wir hätten am Ende das Tor nicht bekommen dürfen", nörgelte Linksverteidiger Schulz, "wenn du 2:1 führst, musst du das über die Bühne bringen."

Und Regisseur Kerem Demirbay ergänzte im Stadionbauch: "Das ist sehr, sehr bitter. Das geht einem richtig nahe. Wir machen zwei Tore, aber spielen wieder nicht zu Null. Das kann man auch mal schaffen." Demirbay wollte nicht tiefer in den Zonen der Enttäuschung graben, sondern die Sonntagspartie zwischen Bayer Leverkusen und Eintracht Frankfurt abwarten. Die Werkself spielte sich beim denkwürdigen 6:1 in einen Rausch.

Noch sind mehrere Szenarien zum Nagelsmann-Abschied denkbar. Es sind zwei Endspiele gegen Werder Bremen und Mainz 05. Erfolg oder Misserfolg ohne Spektakel scheint beim Kraichgauklub keine wirkliche Option zu sein.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
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