Leere Ränge: 1899 Hoffenheim fehlen echte Emotionen aus der Region

Hoffenheim spielt eine überragende Saison, doch das Rhein-Neckar-Stadion war erst einmal ausverkauft. Steht die Arena an der falschen Stelle?

15.03.2017 UPDATE: 16.03.2017 06:00 Uhr 2 Minuten, 41 Sekunden

Der gebürtige Freiburger Christoph Nestor (links) ist seit dem Bundesliga-Aufstieg von Hoffenheim immer im Stadion dabei und ärgert sich über viele Lücken auf der Tribüne. Foto: zg/APF

Von Christoph Ziemer

Heidelberg/Sinsheim. Nicht nur das schöne Frühlingswetter sorgt im Kraichgau derzeit für beste Laune. Auch beim Blick auf die Bundesliga-Tabelle haben die Anhänger der TSG 1899 Hoffenheim allen Grund zur Freude: Auf Platz vier liegt Hoffe derzeit auf Champions-League-Kurs - eine Platzierung, die wohl selbst kühnste Optimisten vor der Saison nicht für möglich gehalten hätten. Umso erstaunlicher, dass sich der sportliche Erfolg bislang noch nicht in den Besucherzahlen niederschlägt. Warum?

Von einem Standortnachteil spricht Christoph Nestor. Seit der ersten Bundesligasaison besitzt der 64-Jährige eine Dauerkarte und hat auf zahlreichen Auswärtsspielen so einiges erlebt. Natürlich stehe das Stadion in der falschen Stadt, findet der gebürtige Freiburger: "Klar, der Zug ist abgefahren. Aber mit einer Uni-Stadt im Rücken hätte man hier ein ganz anderes Szenario."

So nett das Image als sympathischer Dorfverein auch sei - was mit einer engen Bindung an Heidelberg möglich wäre, könne man in Freiburg beobachten. Denn dort habe sich mit der engen Bindung des Vereins an die Studentenstadt über die Jahre eine echte Fan-Identität entwickeln können: "Warum sollte das nicht auch hier funktionieren? Als Verein aus der Kurpfalz könnte man doch wunderbar eine eigene Fankultur entwickeln." Denn allein mit Marketing allein bekomme man das Stadion nicht voll: "Man wird dort mit Werbung zugeschüttet, aber ich sehe dort nur einen Block, der wirklich singt. Ich träume davon, dass einmal die ganze Arena mitmacht.

Schließlich verfüge man in der Region mit "Anpfiff ins Leben" und "Alla Hopp" über eine gute Basis: "Wir müssen aber lauter werden und als echte Kurpfälzer wahrgenommen werden. Die echte Emotion aus der Region fehlt." Er wünsche sich zum bald anstehenden zehnjährigen Bundesligajubiläum ein "Update" der Fankultur, sagt Nestor: "Der Verein müsste den Diskurs darüber aber auch wirklich wollen." Ein lautes und begeisterungsfähiges Stadion, das ist es, wovon Fans wie Nestor träumen.

Glaubt man Thomas Schmitz, wird es wohl noch mindestens zehn Jahre dauern, bis lauter echte Hoffenheim-Fans die Spielstätte von 1899 füllen. So schlecht stehe der Verein aber gar nicht da. Man müsse sich nur die Zuschauerzahlen bei Bayer Leverkusen anschauen - einem Verein, der schon lange international spiele. "Auch aus Ingolstadt waren nicht wirklich viele Fans da. Wir müssen uns da wirklich nicht schämen."

Dass gegen Ingolstadt aber nur 23.000 Anhänger den Weg nach Sinsheim fanden, möchte der ehemalige Pressesprecher des Fan-Dachverbandes nicht schönreden. Man sei eben noch ein junger Bundesliga-Verein: "Man kann noch nicht sagen, dass alle, die zu uns kommen, auch echte Fans sind. Richtig Lärm macht nur die Südkurve. Aber wir arbeiten alle daran, dass sich das ändert."

Einen Standortnachteil kann Schmitz nicht erkennen. Mannheim habe schon den SV Waldhof, und Heidelberg mit seinen traditionellen Studenten-Sportarten wie Rudern und Rugby sei noch nie eine klassische Fußball-Stadt gewesen: "Fanuntersuchungen zeigen, dass unsere Fanbasis zu 70-80 Prozent im ländlichen Raum verankert ist. Zuschauer, die aus Heidelberg und Mannheim den Weg in unser Stadion finden, sind im Vergleich zum ländlichen Raum eher unterrepräsentiert."

Neulinge wie Leipzig hätten es auch deshalb leichter, weil dort schon eine jahrzehntelange Fußballtradition herrsche: "Und in Schalke, Köln und Frankfurt sind die Fanklubs fast zehnmal so groß. Man kann uns nicht wirklich mit denen vergleichen." Zudem habe man es als echter Fan gerade auf Auswärtsspielen alles andere als einfach. Schmitz hat schon auf vielen Auswärtsspielen Anfeindungen erlebt, die unter die Gürtellinie gingen: "Es ist auch nicht jedermanns Sache, in fremden Stadien angepöbelt zu werden. Auch so etwas kann die Entwicklung einer Fanbasis behindern."

Auch Schmitz ist nicht mit allem zufrieden. Die Tendenz, Spieler zunehmend von den Fans abzuschotten, stört den 63-Jährigen. "Der gegenseitige Austausch ist sehr dosiert, in anderen Vereinen ist das unkomplizierter." Er wolle aber nicht klagen, schließlich habe in den letzten Jahren immer ein Spieler auf der Adventsfeier im Fanklub Neckartal vorbeigeschaut.

In Freiburg war das Hoffenheimer Gästekontingent mit 1500 Fans voll ausgeschöpft, auch der Vorverkauf gegen Leverkusen läuft gut. Womöglich hat die Ansprache von Trainer Julian Nagelsmann geholfen, dem die leeren Ränge in Sinsheim seit geraumer Zeit schleierhaft sind. "Julian hat das nicht so gemeint, wie es rüberkam", sagt Schmitz. "Er wollte einfach nur sagen: Leute, ihr seid alle willkommen. Und wir brauchen euch."

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