Die Faszination FC Liverpool

Weil Leiden zur Liebe gehört

Der FC Liverpool fasziniert auch Fans aus Deutschland ungemein

14.08.2017 UPDATE: 15.08.2017 06:00 Uhr 2 Minuten, 12 Sekunden

Souvenirs: Der Fanshop des FC Liverpool an der legendären Anfield Road. Foto: Imago

Von Nikolas Beck

Heidelberg. Keiner meiner Vorfahren ist ein "Scouser", nicht mal englische Wurzeln haben wir. Zum Studieren war ich zwar im Nordwesten Englands, aber in Leeds. Und dennoch antworte ich frech mit einer Gegenfrage, wann immer jemand wissen will, wieso ich ausgerechnet Fan des FC Liverpools sei: "Warum bist Du es eigentlich nicht?" Fußball-Kultkommentator Wolff-Christoph Fuss brachte es vor einem Champions-League-Spiel einst auf den Punkt, als er seine Zuschauer aus dem Stadion in Liverpool begrüßte: "Highbury, das alte Stadion von Arsenal London, hatte Charme; Old Trafford, Manchester: ist imposant; St. James’ Park in Newcastle: stimmungsvoll. Aber der Mythos ist hier: This is Anfield!"

Gefesselt hat mich, Jahrgang 1984, Mannheimer und Fußballromantiker, dieser Mythos, als ich das erste Mal vor der Mattscheibe hörte, wie die Fans auf "The Kop" das "You’ll Never Walk Alone" schmetterten. Gänsehaut. Die Hymne, inzwischen vielerorts kopiert und doch niemals erreicht, ließ mich seither nicht mehr los. Wenngleich ich, der Pennäler, der eigentlich Dortmund die Daumen drückt, von der bewegten Historie dieses Vereins damals noch nichts wusste. Die goldenen Zeiten um Kevin Keegan, "King" Kenny Dalglish oder Ian Rush waren längst vorbei. Der letzte Titel lag Jahre zurück. Und Rivale Manchester United schickte sich gerade an, Liverpool als erfolgreichstem englischen Verein den Rang abzulaufen.

Jubeln durften die "Reds" in den Neunzigern relativ selten. Und doch wurden Spieler wie Robbie Fowler, Steve McManaman oder Jamie Carragher - und später Michael Owen und vor allem Steven Gerrard - zu Idolen für mich. Wenngleich andere mehr Tore schossen und am Ende die Trophäen in die Luft streckten: Eine ganz besondere Magie schien sich jedes Mal zu entfalten, wenn die Spieler des LFC aus der Kabine unter der Tribüne hindurch, vorbei am berühmten Anfield-Logo, den Rasen betraten.

Im Versprechen, "You’ll Never Walk Alone", das die Fans vor jedem Spiel aufs Neue geben, schwingt eben auch immer diese große Portion Melancholie mit. Schließlich sind der Verein und seine Anhänger auch auf ewig verbunden mit zwei der schwärzesten Stunden der englischen Fußballgeschichte. Die Tragödien von "Heysel" und "Hillsborough" gehören zum Liverpool Football Club wie die Trainerikonen Bill Shankly und Bob Paisley. Beim Endspiel um den Pokal der Landesmeister 1985 im Heysel-Stadion im belgischen Brüssel stürmten englische Hooligans einen Zuschauerblock, in dem überwiegend Fans des Gegners Juventus Turin standen. Es kam zu einer Massenpanik und schließlich zum Zusammenbruch einer Stadionmauer. 39 Menschen verloren ihr Leben. Die englischen Vereine wurden daraufhin von der Uefa für mehrere Jahre von sämtlichen europäischen Wettbewerben ausgesperrt.

Nur vier Jahre später starben 96 Liverpool-Fans im Rahmen des Pokal-Halbfinals gegen Nottingham im Hillsborough-Stadion in Sheffield. Da man zu viele Zuschauer in den Liverpooler Block ließ, wurden Hunderte gegen den Zaun am Spielfeldrand gedrückt oder zu Tode getrampelt. Über Ursache und Schuld an der Katastrophe, in dessen Folge das Vereinswappen um zwei Fackeln und den "You’ll Never-Walk-Alone"-Schriftzug in Erinnerung an die Verstorbenen ergänzt wurde, entbrannte ein jahrzehntelanger Streit. Erst nach 27 Jahren wurden die Liverpool-Fans von einer unabhängigen Kommission "freigesprochen".

Auch der Umgang mit diesen Tragödien, das jahrelange Streben nach "justice for the 96" (Gerechtigkeit für die 96 Opfer), ist Teil des Mythos’. Abgelöst, ausgerechnet vom Erzfeind United, dazu die Sehnsucht nach 1990 endlich wieder einmal die Meisterschaft zu gewinnen - ich glaube, die Liebe eines jeden Fans des LFC definiert sich vor allem auch über das gemeinsame Leiden. Erinnerungen an längst vergangene Zeiten, verbunden mit der Hoffnung, in der Fußballwelt von Scheichs, Oligarchen, Multifunktionsarenen und aberwitzigen Millionenablösen etwas Besonderes zu bleiben. This is Anfield!

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