Hoffenheim gegen Istanbul Basaksehir

Heimspiel für Ibrahim Ertürk

Der seit 1979 in Deutschland lebende Funktionär von Türk Gücü Sinsheim kämpft für mehr Gerechtigkeit im türkischen Fußball

17.10.2017 UPDATE: 18.10.2017 06:00 Uhr 2 Minuten, 15 Sekunden

Aktivist in Sachen Fußball: Ibrahim Ertürk (l.) aus Sinsheim, hier vor der Fifa-Zentrale in Zürich. Vor dem Spiel der TSG gegen Basaksehir wird er wieder Plakate ausrollen. Foto: zg

Von Tobias Schächter

Sinsheim. Wenn die TSG Hoffenheim am Donnerstagabend (21.05 Uhr/Sky) in der Europa League den türkischen Spitzenklub Istanbul Basaksehir FK in der Sinsheimer Rhein-Neckar-Arena empfängt, hat auch Ibrahim Ertürk quasi ein Heimspiel. Seit sechs Jahren kämpft der selbständige Lohn- und Finanzbuchhalter aus Sinsheim für Gerechtigkeit im türkischen Fußball.

Seit dem großen Manipulationsskandal von 2011, in dem sich Fenerbahce Istanbul den Titel erkauft und Besiktas das Pokalfinale gegen Basaksehir, das damals noch Istanbul BB hieß und die Betriebsportgruppe der Istanbuler Stadtverwaltung war, zu seinen Gunsten manipuliert haben soll, reist der 56 Jahre alte Ertürk durch ganz Europa, um auf den Skandal nach dem Skandal aufmerksam zu machen. Der europäische Fußballverband Uefa sperrte Fenerbahce und Besiktas anschließend vorübergehend zwar aus ihren Wettbewerben, aber der türkische Fußballverband (TFF) änderte seine Statuten, weshalb die Istanbuler Großklubs nicht absteigen mussten. Auch wurde Fenerbahce der Titel von damals nicht aberkannt, Trabzonspor, der damalige Rangzweite, klagt dagegen bis heute. Ertürk ist Trabzonspor-Fan, er kam 1979 nach Deutschland und studierte in Mannheim Betriebswirtschaftslehre. Nun ist der Funktionär von Türk Gücü Sinsheim ein Kämpfer für Gerechtigkeit im türkischen Fußball.

Und so wird Ertürk mit seinen Mitstreitern morgen Abend vor dem Spiel der TSG Hoffenheim wieder Plakate ausrollen und mit den vielen deutsch-türkischen Fans, die er erwartet, diskutieren. Es ist die 44. Veranstaltung dieser Art, zuletzt demonstrierte er im September erneut vor dem Hauptsitz des Weltverbandes Fifa in Zürich. Viel Zeit und viel Geld hat ihn das gekostet, aber das macht dem Großvater von Zwillingen nichts aus, seine Frau Sükran unterstützt ihn. Ertürk hat sich dieser Aufgabe verschrieben, im Laufe der Jahre hat er es mit den Demonstrationen sowie seinen Aktivitäten in den sozialen und anderen Medien zu großer Bekanntheit geschafft. Ertürk gilt selbst unter manchen Anhängern von Fenerbahce und Besiktas als integrer Mann.

Politik sei eigentlich nicht sein Thema und Politik habe auch nichts im Sport zu suchen, sagt er. Aber die Vertuschungen in der Türkei zwingen ihn dazu, sich mit Politik zu befassen. In der Türkei sind mithilfe der Politik alle Verurteilten im Manipulationsskandal, wie zum Beispiel Aziz Yildirim, der Präsident von Fenerbahce, reingewaschen worden. Yildirim war wegen der Bildung einer kriminellen Bande zu sechs Jahren und drei Monaten Haft rechtskräftig verurteilt worden. Die 2013 unter Korruptionsverdacht stehende Regierung Erdogan änderte Gesetze, wovon auch die Angeklagten im Fußballskandal profitierten. Viele der damals Verurteilten sind längst wieder in hohen Funktionen tätig, mittlerweile wird der Manipulationsskandal von ihnen als Verschwörung der Gülen-Bewegung dargestellt, die die regierende AKP und Staatspräsident Erdogan auch für den gescheiterten Putschversuch vom Juni 2016 verantwortlich machen. Die Hoffnung, dass sich der Fußball in der Türkei selbst reinigt, hegt Ertürk nach all den Jahren nicht mehr.

Ertürk ist in vielerlei Hinsicht desillusioniert, er sagt: "Die türkische Nationalmannschaft ist nicht mehr meine, sie repräsentiert das korrupte System." Der Aktivist hofft auf die Uefa und die Fifa, auch wenn er auch die als "korrupt" bezeichnet. Aber vor allem die Fifa hätte noch die juristischen Möglichkeiten, Fenerbahce den Titel abzuerkennen und den Klub absteigen zu lassen, sagt er. Daran glaubt auch Trabzonspor-Fan Halit Sahin, er ist von Trabzon zunächst vor den Sitz des TFF in Istanbul und dann vor den Regierungspalast in Ankara gelaufen, insgesamt 1 800 Kilometer. Er will mit Erdogan sprechen, doch bereits 30 Mal ist er vor dem Palast wieder weggeschickt worden. Sahin will es trotzdem weiter probieren. Morgen in Sinsheim geht Ertürks Kampf für Gerechtigkeit in eine weitere Runde, er verspricht: "Wir kämpfen bis zum Schluss."

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