Bremen gegen Hoffenheim

Gestreicheltes Zwergkaninchen

Werder Bremen kämpft bei der TSG Hoffenheim um die letzte Chance nach Europa und um das endgültige Besiegen des Pokaltraumas

10.05.2019 UPDATE: 11.05.2019 06:00 Uhr 2 Minuten, 21 Sekunden

Rücken eng zusammen: Trainer Florian Kohfeldt (r.) herzt den Hochbegabten Milot Rashica. Links daneben Werders Kapitän, Allesmacher und TSG-Schreck Max Kruse. Foto: dpa

Von Frank Hellmann

Bremen. Florian Kohfeldt sind die guten Manieren wichtig. Dem kürzlich mit dem Trainerpreis des Jahres 2018 ausgezeichneten Fußballlehrer des SV Werder Bremen - der damit zwei Jahre nach Julian Nagelsmann diese Prämierung erhielt - hat es sich zu eigen gemacht, nach den Pressekonferenzen noch für ausführliche Erläuterungen zur Verfügung zu stehen.

Zuvor schüttelt der 36-Jährige aber allen Umstehenden die Hand. Was schon mal ein bisschen länger dauern, wenn wie vergangenen Samstag ein Heimspiel gegen Borussia Dortmund (2:2) bestritten wird, bei dem das mediale Interesse über dem Durchschnitt liegt. Kohfeldt arbeitete sich hinterher vor allem an zwei Themensträngen ab.

Hintergrund

"Hoffe": Keine Nachrichtensperre

(jog) Im Sinsheimer Stadion wird es heute am vorletzten Spieltag der 56. Bundesliga-Spielzeit seit 1963 ganz normale Einblendungen der jeweiligen Zwischenresultate aus den anderen Arenen geben. "Eine Nachrichtensperre

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"Hoffe": Keine Nachrichtensperre

(jog) Im Sinsheimer Stadion wird es heute am vorletzten Spieltag der 56. Bundesliga-Spielzeit seit 1963 ganz normale Einblendungen der jeweiligen Zwischenresultate aus den anderen Arenen geben. "Eine Nachrichtensperre macht keinen Sinn und ist in der heutigen Zeit auch eher schwer umzusetzen", sagte TSG-Cheftrainer Julian Nagelsmann bei der turnusmäßigen Pressekonferenz im Trainingszentrum. Die sportliche Ausgangskonstellation ist überaus spannend, denn noch können mit der Eintracht, Bayer Leverkusen, Gladbach, den "Wölfen", Hoffenheim und Werder insgesamt sechs Vereine ein Ticket für die Champions League und drei Plätze für die Europa League ergattern.

Rein rechnerisch sei ja "noch ein ganz großer Wurf drin, zumindest aber die Europa League", konstatierte Nagelsmann vor seiner Abschiedsvorstellung im Kraichgau. Es sei müßig, den vergebenen Chancen und Zählern gerade gegen Wolfsburg (1:4) und in Mönchengladbach (2:2) nachzutrauern, wodurch sich die TSG 1899 die Pole-Position um den lukrativen Champions-League-Rang selbst vermasselte. "Wir müssen uns auf die letzten Spiele fokussieren und sechs Punkte holen", so Nagelsmanns klare Ansage. Die Nebenkriegsschauplätze mit der Kritik von Andrej Kramaric an Nagelsmann, er würde die Profis mit seinen taktischen Anweisungen überfordern, dürfen im Duell mit Kohfeldts Elf vom Osterdeich keine Rolle spielen. Der Kroate kassierte unter der Woche einen Rüffel von Manager Alexander Rosen. Generell seien "mündige Spieler mit eigener Meinung" im Klub erwünscht. "Aber Andrej ist eben kein Roboter und hat in diesem Fall einen Fehler gemacht und den falschen Adressatenkreis und Worte gewählt, die nicht hätten sein müssen", konterte der Direktor Profifußball, der in dieser Woche seinen Vertrag bis 2023 verlängert hatte, die Kramaric-Vorwürfe.

Nach der Partie haben Nagelsmann, Videoanalyst Benjamin Glück und Teammanager Timmo Hardung die Hoffenheimer Mannschaft und Mitarbeiter zu einem Abschlussevent in Heidelberg eingeladen. Für den Trainer schließt sich ein Kreis. Gegen Bremen begann am 13. Februar 2016 seine Erstliga-Karriere.

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Einer betraf bereits das Auswärtsspiel bei der TSG Hoffenheim (heute, 15.30 Uhr), das fast schon die letzte Chance nach Europa bietet. "Unsere Ausgangslage ist nicht dramatisch schlechter geworden, aber sie war auch schon mal besser. Wir hören jedoch nicht auf." Sollte heißen: Obwohl selbst der Siebte VfL Wolfsburg vier Punkte Vorsprung hat, lebt der Traum von der ersten internationalen Teilnahme seit neun Jahren noch. Kohfeldt: "Wir wollen am letzten Spieltag noch etwas erreichen können." Er sei zwar noch nicht so lange in der Bundesliga dabei, erläuterte der erst im Herbst 2017 beförderte Überflieger, "aber am letzten Spieltag passieren vielleicht Dinge, die niemand voraussehen kann."

Und wenn es nur eine klitzekleine Chance ist, die beim Saison-Kehraus gegen RB Leipzig mitspielt. Dass die Hanseaten nun im Kraichgau bei einem direkten Konkurrenten antreten, findet Kohfeldt genau richtig. Besser als Gegner XY aus den unteren Regionen sei das auf alle Fälle. Der Trainer hat erst mal das Ziel ausgegeben, "kompakt zu stehen." Zu einem späteren Zeitpunkt könnte es "auf eine Partie mit offenem Visier hinauslaufen".

Und ganz nebenbei kämpfen die Grün-Weißen bei dem spielstarken Gastgeber mit den ehemaligen Bremern Florian Grillitsch und Ishak Belfodil noch um die Vertreibung des vermaledeiten Pokalfluchs. Das unglückliche Ausscheiden am 24. April in einem tosenden Halbfinale gegen den FC Bayern (2:3) mehr als nur Spurenelemente von Verbitterung und Enttäuschung hinterließ. Die im Nachhinein selbst von DFB-Seite als falsch eingestufte Entscheidung von Schiedsrichter Daniel Siebert, beim späten Elfmeterpfiff die umstrittene Entstehung nicht selbst in der Review-Area zu checken, verfolgt viele Fans bis heute.

Im Grunde genügte gegen den BVB ein Handspiel von Mario Götze - bei der Referee Marco Fritz nicht auf Strafstoß entschied -, um auch den Coach auf die Palme zu bringen. "Vor zwei Wochen waren wir das Zwergkaninchen, das alle gestreichelt haben. Und jetzt sollen wir dafür herhalten, in die Normalität zurückzukehren. Da ist es schwer, die Beherrschung zu behalten", erklärte Kohfeldt.

Bessermacher Kohfeldt

Vielleicht wird der impulsive Coach nach einem ausgiebigem Zeitvertreib mit seiner dreijährigen Tochter zur Erkenntnis gelangen, dass den Grün-Weißen ungeachtet aller fußballerischen Fortschritte in dieser Saison keine himmelschreiende Ungerechtigkeit widerfährt. Einerseits hat der Bessermacher Kohfeldt sein Team jeweils im Verlaufe der Hin- und Rückrunde auf einen direkten Europapokalplatz geführt. Andererseits war der Spielplan dafür maßgeschneidert: Denn erst an den letzten Spieltagen warteten Bayern, Dortmund, Hoffenheim und Leipzig auf die Bremer.

Für den Trainer war es zeitweise in diesen Duellen prima anzusehen, "dass wir da mithalten konnten." Aber: Viele Akteure sind noch mittendrin im Entwicklungsprozess. Speziell der so hochgelobte Maximilian Eggestein taucht phasenweise noch zu oft unter, auch dem hochveranlagten Milot Rashica tut eine weitere Saison an der Weser sicherlich gut. Und noch weiß niemand, ob Kapitän Max Kruse wirklich seinen Vertrag verlängert. Und wer sich vor allem das Tempo dieser Mannschaft anschaut, die heute auf den gesperrten Niederländer Davy Klaassen verzichten muss, der kommt um das nüchterne Eingeständnis nicht umhin: Europa käme für dieses Team zu früh. So sehr sich der Trainer mit den guten Manieren diese Bühne auch sofort wünschen würde.

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