Beststeller-Lesung in Sinsheim

In "Football Leaks" geht es auch um Dietmar Hopp

Spiegel-Redakteur Michael Wulzinger hat auch die Geschäfte der Rechteverwertungsgesellschaft "Transfair" untersucht

01.06.2018 UPDATE: 02.06.2018 06:00 Uhr 4 Minuten, 33 Sekunden

Kennt die grotesken Gehälter der Profifußballer: Michael Wulzinger. Foto: privat

Von Roland Karle

Sinsheim. Michael Wulzinger findet Fußball immer noch faszinierend. Aber der Spiegel-Redakteur sieht Spiele heute mit anderen Augen: Seit Jahren befasst er sich mit den Auswüchsen der Branchen, kennt dubiose Vertragsinhalte und groteske Gehälter der Kicker.

Zusammen mit Rafael Buschmann hat Wulzinger gerade eine aktualisierte und erweiterte Fassung des Bestsellers "Football Leaks" vorgelegt. 

Im RNZ-Interview erklärt der 53-jährige Wulzinger, wie die Wucht des Geldes den Fußball unterhöhlen kann, nennt besonders krasse Fälle und spricht auch über Hoffenheim und Dietmar Hopp.

Michael Wulzinger, die Champions League ist entschieden, die Weltmeisterschaft steht vor der Tür. Fühlen Sie sich mit Ihren "Football Leaks" nicht manchmal wie ein Spielverderber?

Es geht uns mit unseren Veröffentlichungen nicht darum, den Fans den Spaß am Spiel zu nehmen. Es geht uns um Aufklärung. Fußball ist ein Milliardengeschäft, aber fast die gesamte Branche leidet unter Transparenz-Allergie. Wir verstehen unseren Job als Journalisten nach dem Motto des Spiegel-Gründers Rudolf Augstein: "Sagen, was ist". Das ist unsere Leitlinie, auch wenn es vielen nicht gefällt.

Interessieren sich Fans, die der Fußball fasziniert, in der Mehrheit überhaupt für das Millionengeschäft dahinter?

Diese Frage muss jeder Fan für sich selbst beantworten. Vor kurzem haben wir Vertragsinterna von Pierre-Emerick Aubameyang enthüllt. Beim FC Arsenal bekommt der Stürmer neben seinem Grundgehalt von umgerechnet rund 11,7 Millionen Euro pro Saison bis zum Ablauf seines Vertrages im Sommer 2021 noch einmal 17,3 Millionen Euro obendrauf - als "Treueprämie".

Wir erinnern uns: Aubameyang war in Dortmund vertragsbrüchig geworden, um seinen Wechsel nach London zu erzwingen. Dem einen Fan mag das egal sein. Der andere findet solche "Treueprämien" zynisch und empört sich darüber.

Profifußballer haben schon immer gutes Geld verdient. Was ist heute anders als vor 20 oder 30 Jahren?

Aus vielerlei Gründen ist der weltweite Markt entfesselt, diese Entwicklung beschreiben wir in zahlreichen Beispielen. Das gilt für Durchschnittsspieler, das gilt aber auch für die Superstars. Lionel Messi hat im vorigen Jahr seinen Vertrag beim FC Barcelona bis Sommer 2021 verlängert. Aus den vertraulichen Dokumenten geht hervor, dass er nun im Schnitt garantierte 106 Millionen Euro pro Jahr bekommt.

Wenn Barcelona das Triple holt - also Champions League, Meisterschaft, Pokal - und Messi auch noch zum Weltfußballer gekürt wird, kassiert er in einer Saison mehr als 122 Millionen im Jahr. Das sind die Fakten, und darüber darf man geteilter Meinung sein.

Oft gebrauchen Sie Begriffe wie "absurd" oder "dubios", wenn es um Vertragsinhalte, Gehälter und Prämien geht. Befeuern Sie damit bewusst eine Neiddebatte?

Wir benutzen diese Begriffe immer dann, wenn wir Deals in Grauzonen beschreiben. Ein Beispiel: Werder Bremen garantierte zwei Beratern für die Vertragsverlängerung des Spielers Naldo eine Zahlung von 600.000 Euro. Die beiden Agenten, die vom Balkan kamen, hatten vorher und nachher nie wieder etwas mit Naldo zu tun. Ihre Firma saß auf den British Virgin Islands, einer Steueroase.

Ein zweites Beispiel: Die Agentur des Spielerberaters Roger Wittmann kassierte für die Vermittlung des Spielers Kevin Friesenbichler zu Benfica Lissabon eine Million Euro. Netto. Friesenbichler kam aus der vierten Liga, er spielte in der Reservemannschaft Bayern Münchens. Verträge dieser Kategorie enthüllen wir im Dutzend, aus unserer Sicht passen dazu Adjektive wie "absurd" und "dubios".

Sie schreiben von den "schmutzigen Geschäften im Profifußball". Was ist für Sie das eklatanteste Beispiel?

Wir beschreiben in unserem Buch zahlreiche Vorgänge, in denen es um den Vorwurf der Untreue, des Betrugs, der Steuerhinterziehung geht. Der bedeutendste Fall, den wir enthüllten, ist der von Cristiano Ronaldos Firmengeflecht. Ronaldo ließ über Steuerparadiese wie Irland und die British Virgin Islands rund 150 Millionen Euro seiner Werbeeinnahmen am spanischen Fiskus vorbeifließen.

Die Staatsanwaltschaft Madrid hat ihn nach unseren Veröffentlichungen wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung von 14,8 Millionen Euro angeklagt. In den nächsten Wochen wird sich entscheiden, ob Ronaldo mit einer Strafzahlung in zweistelliger Millionenhöhe um einen Prozess herum kommt - oder ob er sich vor Gericht verantworten muss.

Zu den großen Profiteuren des Milliardengeschäfts Fußball gehören die Spielerberater. Was werfen Sie ihnen konkret vor?

Berater stellen sich in der Öffentlichkeit gerne als umsichtige Schrittmacher für die Karrieren ihrer Spieler dar. Unsere Dokumente zeigen: Es geht ihnen vor allem um ihre Honorare. Paul Pogbas Agent Mino Raiola kassiert allein für den Wechsel des französischen Nationalspielers von Juventus Turin zu Manchester United 49 Millionen Euro.

Als wir ihn um Stellungnahme zu dieser bizarren Zahlung baten, drohte Raiolas Anwalt damit, uns zu verklagen. Kollegen Raiolas wie der Spielerberater Volker Struth, der allein für die Vertragsverlängerung von Toni Kroos bei Real Madrid fünf Millionen Euro bekommt, behaupten gerne, der Markt gebe solche Summen halt her. Was Struth nicht sagt: Einer muss die die Zeche für solche Exzesse zahlen. Und das sind die Fans.

"Football Leaks" beschäftigt sich auf fast zehn Seiten mit Dietmar Hopp. Worum geht es dabei?

Dietmar Hopp war an einer Firma beteiligt, die Anteile an Transferrechten von Spielern der TSG 1899 Hoffenheim hielt. Diese Firma trägt im Namen ein niedlich klingendes Wortspiel, sie heißt "Transfair Rechteverwertungsgesellschaft mbH & Co. KG". Der Geschäftszweck ist allerdings ein ganz banaler: Transfair verdient Geld am Vereinswechsel von Fußballprofis.

Dietmar Hopp hat immer betont, dass es ihm als Mäzen in Hoffenheim niemals darum gegangen sei, Geld zu verdienen. Da hat er nicht die ganze Wahrheit gesagt, deshalb haben wir die Hintergründe zu Geschäften der Firma Transfair veröffentlicht, unter anderem ihren Gewinn am 40-Millionen-Euro-Transfer Roberto Firminos zum FC Liverpool. Auch Hopp leidet an Transparenz-Allergie, er äußerte sich zu unseren Fragen nicht.

Was ist nach jahrelangen Recherchen und zigtausend ausgewerteten Dokumenten Ihre Kernkritik am Fußballgeschäft und seinen Machern?

Es gibt sehr viele Bereiche in der Fußballbranche, in denen Geschäfte völlig unkontrolliert über die Bühne gehen - sei es beim Handel mit minderjährigen Spielern, sei es bei der Frage, wie fairer Wettbewerb in Zukunft möglich sein soll, wenn Scheichs oder Oligarchen ihre Milliarden in Vereine wie Manchester City oder Paris Saint-Germain pumpen. Die Wucht des Geldes kann den Profisport auch unterhöhlen, Borussia Dortmund hat es in der vergangenen Saison erfahren.

Den Vereinsbossen gingen gegen ihren Willen die zwei wichtigsten Spieler von der Stange, erst Ousmane Dembélé, dann Aubameyang. Es gibt keine Vertragssicherheit mehr im internationalen Profifußball, das ist ein riesiges Problem. Aber weder die Fifa noch die Uefa sind in der Lage, einen fairen Wettbewerb zu garantieren.

Bewegt sich das Fußball-Business in Deutschland, gerade im Vergleich zu England, Spanien oder China, trotz allem noch im erträglichen Rahmen?

Exzesse bei Transfersummen oder Gehältern wie in diesen Ländern gibt es in Deutschland nicht. Die Bundesliga-Klubs wären schlecht beraten, wenn sie versuchen wollten, da mitzuziehen. Um international wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen die Klubs noch viel mehr in die Ausbildung junger Spieler und Trainer investieren. Das Beispiel Hoffenheim zeigt ja, wie weit man damit kommen kann.

Die WM geht bald los. Schauen Sie Spiele anders an, seit Sie die geschäftlichen Seiten des Fußballs so detailliert kennen?

Das kann ich nicht bestreiten: Ich kenne mittlerweile so viele Details aus Verträgen von Profis, etwa die ungeheuerliche Höhe ihrer Prämien für Tore oder Vorlagen, dass ich viele Partien mit einem anderen Blick sehe. Trotzdem bleibt der Fußball für mich ein faszinierendes Spiel, mit all seinen Dramen und Unwägbarkeiten.

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