"Alles so befremdlich"

Das hält ein Hoffe-Fan vom Geisterspiel gegen Hertha BSC

Norbert Schell über das Geisterspiel gegen Hertha BSC, Entzugserscheinungen und die Chancen des Amateurfußballs

12.03.2020 UPDATE: 13.03.2020 06:00 Uhr 3 Minuten, 8 Sekunden
Ganz nah dran: So nah dran wird Norbert Schell (rechts) an TSG-Coach Alfred Schreuder vorerst aber nicht mehr kommen. Foto: privat

Von Eric Schmidt

Sinsheim/Östringen. Um 15.30 Uhr beginnt am Samstag die Geisterstunde: Dann steigt in der PreZero-Arena das Geisterspiel der TSG 1899 Hoffenheim gegen Hertha BSC Berlin. Die Fans werden wegen der Corona-Pandemie ausgesperrt von der Fußball-Bundesliga. "Es ist das erste Mal, dass ich ein Heimspiel der TSG verpasse", sagt "Hoffe"-Anhänger Norbert Schell aus Östringen-Tiefenbach im Interview mit der RNZ.

Herr Schell, wo sind Sie morgen um 15.30 Uhr?

Gute Frage. Sicherlich vor irgendeinem Bildschirm.

In einer Bar oder Kneipe?

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Ich werde das Spiel nicht in der Gemeinschaft schauen. Wenn, dann bei einem sehr guten Bekannten aus Walldorf, der sehr stark sehbehindert ist. Ihn hole ich normalerweise immer zum Spiel ab und fahre ihn anschließend wieder nach Hause. Er ist ein riesengroßer Hoffenheim-Fan und hat zu Hause einen riesengroßen Fernseher. Bei ihm hab’ ich mir schon ein, zwei Auswärtsspiele angeschaut. Vielleicht bin ich aber auch bei mir zu Hause. Sky überträgt die Spiele jetzt im Free-TV. Normalerweise könnte ich es nicht ankucken – weil ich für Fußball nicht extra bezahle.

Ist es denn schon mal vorgekommen, dass Sie ein TSG-Heimspiel in Sinsheim verpasst haben?

Nein, es ist das erste Mal – das wirklich erste Mal. Ich habe bisher nur ein Tor verpasst, das war im August 2015, als Kevin Volland nach neun Sekunden das 1:0 gegen die Bayern gemacht hat. Da bin ich zu spät gekommen, weil ich meine Karte vergessen hatte und nochmals nach Hause fahren musste. Da stand ich in der Schlange und habe das Tor im Radio verfolgt. Ansonsten hab’ ich alles miterlebt, wenn man von den letzten 20 Minuten vom Bayern-Spiel vor zwei Wochen absieht. Das hat mich so etwas von mitgenommen und auch genervt. Es war nicht nur die eigene Leistung unserer Mannschaft, die schlecht war. Es waren vor allem diese Schmähplakate gegen Dietmar Hopp. Das waren ganz verstörende Vorgänge. Das hab’ ich nicht mehr ertragen.

Wie geht es Ihnen damit, dass Sie "Hoffe" jetzt nicht live vor Ort verfolgen können?

Das ist schwer für mich.

Entzugserscheinungen?

Die hab’ ich mit Sicherheit, ja.

Was glauben Sie: Was wird das für ein Spiel?

Ich hab’ mir im Fernsehen ein bisschen von der Serie A in Italien angeschaut. Unglaublich. Da hört man jeden Brüller vom Trainer, jeden Schrei eines Spielers. Das ist äußerst seltsam – und auch für die Spieler sehr gewöhnungsbedürftig. Trainingsspiele unter Ausschluss der Öffentlichkeit hat auch Hoffenheim schon gemacht, aber nicht in so einem großen Rahmen. Es ist eine komische Situation. Vielleicht, das ist meine leise Hoffnung, ist es für unsere Jungs ja beflügelnd.

Inwiefern?

Weil die Anwesenheit von Zuschauern in Sinsheim die Mannschaft bisher gehemmt hat. Auswärts sind wir ein bisschen besser, da nehmen wir einen Punkt, vielleicht auch mal drei mit. Ich bin schon ein bisschen enttäuscht, wie es im Moment bei der TSG läuft.

Einen Vorteil könnte das "Geisterhafte" des Geisterspieles ja morgen haben – es dürfte keine Schmähplakate geben ...

Das hab’ ich mir auch schon gedacht. Das ist vielleicht wirklich ganz gut, um diese Geschichte etwas zum Abflauen zu bringen. Das Bayern-Spiel in Hoffenheim mit den abgekarteten Vorgängen in den anderen Stadien war ein Tiefpunkt. Die Berliner hätten morgen einen drauf gesetzt – da bin ich mir ganz sicher. Was es im Hinspiel in Berlin an Unflätigstem zu sehen gab, war schlimm. Diese Eskalation fällt zum Glück jetzt flach.

Haben Sie Verständnis für die Geisterspiele?

Ich find’ es übertrieben. Ich finde die ganze Geschichte etwas übertrieben. Mir kam es so vor, als ob alle darauf gewartet haben, bis wir hier auch mal endlich Corona-Fälle haben. Es ist alle so befremdlich, so unwirklich. Andererseits denke ich schon, dass wir den Fachleuten vertrauen sollten – deshalb finde ich es nachvollziehbar, dass man Großveranstaltungen absagt. Was ich aber so was von lächerlich finde, ist die Vorgabe des DFB, auf Handshakes zu verzichten. Wenn man sieht, wie die Fußballer jeden Quadratmeter vollspucken und sich hinterher in dieser Suhle wälzen – da können sie sich vorher auch die Hand geben. Das ist reiner Aktionismus.

Wie geht das Spiel aus morgen? Gewinnt Hoffenheim?

Bei einem vollem Stadion hätte ich gesagt: Es ist davon auszugehen, dass es wieder eine Niederlage gibt. Mit Ausnahme des Leverkusen-Spiels ist es dürftig, was zu Hause geboten wird. Es sind immer die gleichen Spiele, immer die gleichen Fehler: Die erste Halbzeit wird verschlafen, dann wird es ein bisschen besser. Ich hoffe, dass diese Geisterstimmung der TSG vielleicht gut tut, die Spieler den Trainer etwas öfter hören und sie das Spiel gewinnen.

Der SV Tiefenbach, dessen Pressechef Sie sind, spielt am Sonntag in der Kreisklasse A bei Türkspor Eppingen. Wird das ein etwas anderes Geisterspiel?

Nein, wir bringen immer ein paar Zuschauer mit.

Profitiert der Amateurfußball von den Geisterspielen in der Bundesliga?

Das wäre schön. Ich glaube aber, dass es jetzt am Wochenende noch nicht der Fall sein wird. Wenn es zwei, drei Spieltage anhält, dann kann es vielleicht tatsächlich sein, dass wir bei uns ein paar Zuschauer mehr begrüßen können.

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