Schon wieder ein Hoffenheim-Aufreger

Die TSG 1899 Hoffenheim landet einen 4:1-Sieg bei Hannover 96 und profitiert diesmal von strittigen Schiedsrichter-Entscheidungen.

28.10.2013 UPDATE: 28.10.2013 05:00 Uhr 2 Minuten, 49 Sekunden
Erstes Bundesliga-Tor mit 29 Jahren: 'Hoffes' Kai Herdling köpft das 0:2 über 96-Torwart Ron-Robert Zieler hinweg und lässt sich von Tobias Strobl feiern. Foto: APF
Von Joachim Klaehn

Hannover. Ohne Aufregung geht es offenbar nicht: Die TSG 1899 Hoffenheim war am Samstag erneut an einer höchst emotionalen, ja phasenweise verrückten Partie beteiligt, doch im Gegensatz zum Skandalspiel gegen Bayer Leverkusen (1:2) und auch zum Thriller bei Mainz 05 (2:2) blieben die Schützlinge von Cheftrainer Markus Gisdol konzentriert und cool. "Hoffe" stürmte durch ein 4:1 (2:0) bei Hannover 96 die Festung HDI-Arena und holte somit einen wichtigen Dreier vor dem Bonusmatch am Samstag (15.30 Uhr) gegen den FC Bayern München. "Ein großes Lob an meine Mannschaft", strahlte Gisdol in der Pressekonferenz, "wir haben es geschafft, ruhig und sehr klar in unseren Aktionen zu bleiben."

Auf dem Podium links neben ihm saß sein mitgenommener 96-Amtskollege Mirko Slomka, sichtlich darum bemüht, die Contenance trotz einer Vielzahl von - aus seiner Sicht - strittigen Szenen zu wahren. Hannover fühlte sich vor 45 000 Zuschauern eklatant benachteiligt, beging freilich aber auch den Kardinalfehler, sich fast ausschließlich mit den "kritischen Entscheidungen" (Slomka) von Schiedsrichter Tobias Stieler zu beschäftigen und aus lauter Frust brachial einzusteigen. "Wir waren zu leidenschaftlich", monierte Slomka die ausgelebten Emotionen seiner "Roten", "und all das, was wir uns taktisch vorgenommen hatten, war nach dem Elfmeter und Platzverweis nicht mehr gefragt."

Was war passiert? Nach einem Laufduell zwischen Christian Schulz und Anthony Modeste deutete Referee Stieler sofort auf den Elfmeterpunkt. Kam es außerhalb oder innerhalb des Strafraums zum Körperkontakt? Slomka behauptete später: "Der vierte Offizielle Dr. Jochen Drees kommunizierte über Headset mit dem Schiedsrichter und sagte ihm deutlich, dass sich die Szene außerhalb des Strafraums abgespielt hätte." Wie dem auch sei: Linksverteidiger Sejad Salihovic drosch den Elfer hoch zum 0:1 (10.) in die Maschen. Wenig später ereignete sich Vergleichbares zwischen Mame Biram Diouf und Niklas Süle auf der Gegenseite. Der kurz zuvor verwarnte Diouf flog spektakulär. Elfmeter? Von wegen. Der fassungslose 96-Stürmer bekam Gelb-Rot (12.) wegen einer vermeintlichen Schwalbe gezeigt - zugleich war's die früheste "Ampelkarte" in der Liga-Historie! Die Volksseele kochte. "Schieber, Schieber" und "aufhören, aufhören" brüllten die 96-Fans bereits nach einer Viertelstunde. Die Gemüter waren allseits erhitzt, erst recht, nachdem TSG-Kapitän Andreas Beck maßgerecht geflankt und Kai Herdling per Kopf über Ron-Robert Zieler das 0:2 (18.) erzielt hatte. Der ewige Herdling sagte hinterher mit einem breiten Grinsen im Gesicht: "Ich bin ein miserabler Kopfballspieler und habe es gar nicht glauben können, dass mir dieses Tor gelungen ist." Es war in Hannover erst sein siebter Erstliga-Einsatz und vor allem sein erstes Bundesliga-Tor im fortgeschrittenen Alter von 29 Jahren. Urplötzlich sollte Herdling zum gefragten Mann werden - ARD und ZDF baten den dienstältesten Hoffenheimer (seit 2002) zu Fernsehinterviews. "Wichtig war, dass wir nach der richtig guten Partie gegen Leverkusen eine Reaktion gezeigt haben", so Sympathieträger Herdling.

"Hoffe" zeichnete sich in der Messestadt vor allem dadurch aus, dass die Tore zum 0:2 und 1:3 jeweils exakt zum richtigen Zeitpunkt fielen. Unverständlich nur, dass die Kraichgau-Elf nach dem Seitenwechsel vorübergehend ihre spielerische Linie vollkommen verlor - und sich selbst einlullte. Ein riskantes Verhalten, denn nach dem Anschlusstreffer von Salif Sané (56.) drohte die Partie zu kippen. Gisdol gestikulierte, Gisdol tobte - Erinnerungen an die "Narrheiten" von Mainz kamen hoch. Manager Alexander Rosen erlitt auf der Tribüne Höllenqualen. "Bleiben sie stabil?", so Rosen über seine ambivalente Gefühlslage, "heute sind wir stabil geblieben und haben uns nicht von der permanenten Unruhe anstecken lassen. Das ist ein Entwicklungsschritt nach vorne."

Die Schlüsselszene aus TSG-Perspektive sollte ein Ballgewinn des präsenten Eugen Polanski sein, der Firmino per Steilpass glänzend bediente. Der Brasilianer verwertete zum erlösenden 1:3 (62.) und packte das 1:4 (64.) noch drauf. Hannover rastete vollends aus, da Firmino vor seinem zweiten Erfolgserlebnis Marcelo gefoult und Stieler dies übersehen hatte. Marcelo ging den Schiedsrichter los, kassierte Rot und Slomka musste alle Energie dafür aufwenden, seine Spieler wie Wildpferde mit dem Lasso einzufangen und vor weiterem Ungemach zu schützen. "Ein Wahnsinn" sei das Spiel für ihn gewesen, konstatierte Slomka kopfschüttelnd.

Spätestens beim Elf-gegen-Neun stand der zweite Auswärtssieg für Hoffenheim fest. Mit einem 4:1 im Rücken ließen die TSGler Ball und Gegner laufen und fügten somit den geknickten Niedersachsen, denen sie laut Gisdol "den Nerv geraubt" hatten, die erste Heimniederlage in dieser Spielzeit zu. Rund ums Stadion und auf dem Hauptbahnhof schimpften die rasenden 96-Fans weiter. Die hoch brisante Stimmung in der HDI-Arena übertrug sich auf andere Schauplätze der Stadt.

Die bestens gelaunten Hoffenheimer Profis eilten zum Bus und zum Flughafen. "Kopfball-Ungeheuer" Kai Herdling vor der Rückreise: "Es gibt für uns immer ein neues Highlight." Die ruhmreichen Bayern (Herdling: "Ein ganz besonderes Spiel") können also nach Sinsheim kommen.

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