Phantomtor-Debatte: "Tatsachen kann man feststellen, nicht entscheiden."

Der Heidelberger Arbeitsrichter Lothar Jordan bringt im RNZ-Interview seine Zweifel gegenüber dem DFB-Sportgericht zum Ausdruck.

26.10.2013 UPDATE: 26.10.2013 06:00 Uhr 4 Minuten, 12 Sekunden
'Mir hat es die Sprache verschlagen': Lothar Jordan bei der Zeitungslektüre. Foto: vaf
Von Joachim Klaehn

Heidelberg. Lothar Jordan, 63, ist Vize-Präsident des Arbeitsgerichts Mannheim/Heidelberg. Der in Eppelheim wohnhafte, sehr erfahrene Arbeitsrichter bewegt sich schon lange im Sportarbeitsrecht. Erstmals in Berührung mit dem Profifußball kam Jordan Mitte der 80er Jahre, als Trainer Lothar Buchmann Klage gegen den Karlsruher SC erhob. Er ist seit langem glühender Anhänger der Adler Mannheim und seit einigen Jahren auch immer wieder Gast in der Sinsheimer Rhein-Neckar-Arena. Jordan bekam es mit dem kniffligen Fall des Ghanaers Prince Tagoe zu tun, dem vom Bundesligisten TSG 1899 Hoffenheim am 30. Juli 2009 gekündigt worden war. Die Ärzte diagnostizierten beim "Prinzen" einen Herzfehler, doch der Kraichgauklub musste bereits am 20. August die Kündigung zurücknehmen. Jordan behandelte am 28. August 2013 den Antrag des Schweizer Nationalspielers Eren Derdiyok, der sich über das Verfahren vor dem Heidelberger Landgericht in die sogenannte "Trainingsgruppe 1" der TSG prozessieren wollte.

Anlässlich der bevorstehenden Verhandlung des Phantomtores von Stefan Kießling vor dem DFB-Sportgericht am Montag (10.30 Uhr) in Frankfurt/Main interviewte die RNZ Lothar Jordan in seinem Büro am Neckar und bat ihn um eine kompetente Einschätzung.

Herr Jordan, DFB-Vizepräsident Rainer Koch hat vorab behauptet, dass die Wahrscheinlichkeit eines Wiederholungsspiels zwischen Hoffenheim und Leverkusen "sehr gering" sei. Ist das nicht äußerst ungeschickt?

Als ich das gelesen habe, hat es mir die Sprache verschlagen. Koch ist schließlich nicht irgendjemand, sondern beim DFB für Rechts- und Satzungsfragen zuständig. Er gibt damit eine Prognose über den Ausgang eines Verfahrens vor dem eigenen Sportgericht ab - und drohte außerdem mit der Fifa. Das wäre in etwa so, als wenn mein Justizminister in der Öffentlichkeit den Ausgang eines Verfahrens bei mir voraussagen und zudem mit dem Europäischen Gerichtshof drohen würde. Diese Vorabeinschätzung hat mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nichts zu tun. Es liegt hier eine klassische Beeinflussung eines Gerichts durch ein Führungsorgan des DFB vor. Das DFB-Sportgericht kann sich zudem nicht einfach auf die Fifa berufen - das wäre wie graues Mittelalter oder würde gar der Unfehlbarkeit des Papstes entsprechen.

Was kann man aus juristischer Sicht explizit dem Schiedsrichter-Gespann um Felix Brych vorwerfen?

Laut Rechts- und Verfahrensordnung des DFB liegt ein Regelverstoß des Schiedsrichters vor. Wenn Felix Brych, wie er selbst gesagt hat, leichte Zweifel nach dieser Szene hatte, dann muss er versuchen, den Sachverhalt aufzuklären und nicht nur Kießling, sondern eben zumindest auch einen Hoffenheimer Spieler befragen, was gleichzeitig oder innerhalb kürzester Zeit möglich gewesen wäre. Der Schiedsrichter ist hier ein Richter. Wenn ein Schiedsrichter bei zweifelhaften Fragen nur eine Partei zu Wort kommen lässt, dann ist das vom Ablauf her nicht korrekt und es liegt ein klarer Regelverstoß vor.

Über allem, so scheint es, stehen Macht und Einfluss der Fifa und der DFB verschanzt sich hinter dem weltgrößten Sportverband. Ist das "Heiligtum" und der Grundsatz der Tatsachenentscheidung überhaupt noch haltbar?

Zunächst mal grundsätzlich: Man beruft sich immer auf das Primat der sogenannten Tatsachenentscheidung. Diesen Begriff muss man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen. Tatsachen kann man feststellen, aber nicht entscheiden. Der berühmte Physiker von Helmholtz hat bereits gesagt: ,Ich würde das menschliche Auge dem Optiker zurückschicken, wenn ich es bestellt haben würde, so fehlerhaft ist es konstruiert'. Mit anderen Worten: Der Irrtum ist der größere Feind der Wahrheit als die Lüge.

Was sagen Sie zum Verhalten des Phantom-Torschützen Stefan Kießling?

Zunächst finde ich es von Dietmar Hopp hochanständig, dass er Kießling in Schutz genommen hat. Wir sehen als Menschen meist nur das, was wir sehen wollen. Kießling hat offenbar die Szene verdrängt, in der Vernehmungspsychologie ist dies ein durchaus üblicher Vorgang. Wir müssen berücksichtigen, dass Fußballprofis unter wahnsinnigem Erfolgsdruck stehen, insbesondere die Stürmer, die alles daran setzen, ein Tor zu machen. Da blendet man unglaublich viel aus und ist sehr stark fokussiert auf die Aufgabe. Einer wie Stefan Kießling hat da nur eine beschränkte Wahrnehmungsfähigkeit.

Wie unterschiedlich ist die Interessenslage der Hoffenheimer und des DFB?

Juristisch haben wir Artikel 14 des Grundgesetzes, der besagt, dass Eigentum gewährleistet sein muss. Und zum Eigentum gehört die Betätigung eines Kapitalunternehmens am Markt, die nicht durch unverhältnismäßige, rechtswidrige Maßnahmen beeinträchtigt werden darf. Wir haben also ein Interesse der Hoffenheimer als Kapitalgesellschaft und wir haben das Interesse eines Sportverbandes auf ein attraktives, durch möglichst wenig Unterbrechungen beeinträchtigtes Fußballspiel.

Ein Plädoyer für die Einführung technischer Hilfsmittel?



Richtig, weil es wie gesagt ab einem bestimmten Punkt unverhältnismäßig wird, gerade im Hinblick auf schwerwiegende wirtschaftliche Nachteile. Nehmen wir das erste Saisonspiel Hoffenheim gegen Nürnberg - da hat doch der Blindenhund angeschlagen! Es müsste doch im Eigeninteresse des DFB und der DFL liegen, sehr krasse Fehlentscheidungen zu verhindern, sonst wird man gar in die Ecke der vermeintlichen Spielmanipulation gedrängt. Eines ist sicher: Mit technischen Hilfsmitteln hätten Szenen wie die von Kevin Volland oder Stefan Kießling mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen werden können. Lediglich im Amateurfußball kann man teure Technik nicht einführen. Aber man darf Ungleiches ungleich behandeln.

Warum verhalten sich Sportverbände wie die Fifa oder der DFB derart ignorant?

Vielleicht bilden sie sich ein, sie würden sich in einem rechtsfreien Raum bewegen. Das spricht für eine gewisse Selbstherrlichkeit.

Was würden Sie den Hoffenheimern raten?

Hoffenheim hat hervorragende Rechtsberater, da habe ich nichts zu empfehlen. Letztendlich geht es aber um den Schutz von Wirtschaftsunternehmen über den Fall hinaus, der mit zumutbaren technischen Hilfsmitteln gewährleistet werden kann. Geschieht das nicht, dann bleibt einem Klub der Rechtsweg zur ordentlichen Gerichtsbarkeit offen, um einen Verband zu verklagen. Das berühmteste Beispiel ist Bosman, da haben die Sportverbände eine heftige Ohrfeige gekriegt. Fakt ist, dass Sportverbände vor ordentlichen Gerichten verklagt werden können.

Sie nehmen Schiedsrichter wie Felix Brych aus der Schusslinie?

Ja, klar. Bei Brych wie vielen seiner Kollegen greift die menschliche Unzulänglichkeit, auch Schiedsrichter stehen unter einem wahnsinnigen Leistungsdruck und sind den Kameras in den Stadien schonungslos ausgeliefert. Die Quintessenz ist doch: Für besonders krasse Verstöße brauchen wir den Einsatz von technischen Hilfsmitteln, selbst wenn sie nicht perfekt sein sollten. Eine Debatte um die Drei-Zentimeter-Toleranzgrenze halte ich für wenig zielführend.

Wo bleibt da der Schutz der Profiklubs, seiner Arbeitnehmer sowie darüber hinaus der Gleichbehandlungs- und Fairness-Gedanke?

Das DFB-Sportgericht kann sich nicht einfach hinter der Fifa verstecken. Der ehemalige Verfassungsrichter Udo Steiner hat ja bereits den Begriff der Unerträglichkeit ins Spiel gebracht. Eine Entscheidung gegen ein Wiederholungsspiel wäre im Übrigen ein Schlag ins Gesicht gegen die eigene Präambel der Rechts- und Verfahrensordnung, wonach sich der DFB verpflichtet, die Grundsätze der ,Fairness' auch gegenüber seinen ,Mitgliedsvereinen' durchzusetzen. Außerdem geht es auch im Profifußball um Menschen und um deren Arbeitsplätze - das sollte niemand vergessen.

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