Hoffenheims Psychologe Jan Mayer: "Für Boris Energien mobilisieren"

Zuzenhausen. Jan Mayer ist Teampsychologe bei 1899 Hoffenheim. Nach dem schlimmen Autounfall von Fußballprofi Boris Vukcevic betreut er fast rund um die Uhr die Mannschaft, die um das Leben ihres Kollegen bangt

03.10.2012 UPDATE: 03.10.2012 13:29 Uhr 2 Minuten, 32 Sekunden
Jan Mayer, Psychologe von 1899 Hoffenheim. Foto: dpa
Von Joachim Klaehn und Ulrike John

Zuzenhausen. Jan Mayer ist Teampsychologe bei 1899 Hoffenheim. Nach dem schlimmen Autounfall von Fußballprofi Boris Vukcevic betreut er fast rund um die Uhr die Mannschaft, die um das Leben ihres Kollegen bangt und am Samstag beim FC Bayern München wieder auf dem Platz stehen muss. "Es ist wichtig, wahrscheinlich auch für Boris, aber besonders auch für die Spieler, handlungsfähig zu bleiben", sagt der 40-Jährige im Interview mit der RNZ.

Mayer ist seit vielen Jahren im Hochleistungsport und an Universitäten tätig, er arbeitet als Gesellschafter und Geschäftsführer des Instituts für Sportpsychologie und Mentales Coaching in Schwetzingen eng mit Hans-Dieter Hermann, dem Psychologen der Fußball-Nationalmannschaft zusammen.

Boris Vukcevic schwebt immer noch in Lebensgefahr. Die Mannschaft ist am Samstag - auch auf Bitten seiner Eltern - gegen Augsburg zum Bundesliga-Spiel angetreten. Warum war es auch aus psychologischer Sicht richtig zu spielen?

Mayer: "Die Alternative wäre Passivität und 'Nichts tun', verbunden mit Isolation. Das führt zur Hilflosigkeit. Es ist wichtig, wahrscheinlich auch für Boris, aber besonders auch für die Spieler, handlungsfähig zu bleiben. Zu spielen, und damit etwas Gutes zu tun, war richtig. So konnten sich Tausende von Fans versammeln und ihre Solidarität zu Boris kundtun, der Gegner hat auf T-Shirts sein Mitgefühl ausgedrückt, ein Stadionpublikum hat kollektiv an Boris gedacht. Das sind Taten die gewürdigt gehören, die allen Beteiligten gut tun und - wer weiß es - vielleicht doch irgendwie bei Boris ankommen."

Welche psychologische Maßnahmen sind in solch einer Situation angebracht?

Mayer: "Bei den Spielern versucht man durch entsprechende Maßnahmen in der Gemeinschaft den Verarbeitungsprozess zu unterstützen. Aber auch Einzelgespräche sind angebracht, da helfen entsprechende psychologische Standards und bewährte Techniken. Das stete, auch nonverbale Signal: 'Ich bin da, ich stehe zur Verfügung' ist wichtig. Es ist aber auch in Ordnung und völlig normal, wenn die Spieler mit Frau, Eltern oder Freunden über dieses Ereignis sprechen und es so verarbeiten. Von einer Traumatisierung bei den Spielern ist nicht auszugehen - es gibt bislang keine Anzeichen."

Inwiefern wird sich der Trainingsablauf verändern?

Mayer: "Ganz grundsätzlich ist in solchen Phasen Normalität hilfreich. Die versuchen wir, so gut es geht, herzustellen. Für viele ist die Situation neu, unangenehm, man weiß nicht, wie man sich verhalten soll - da hilft die Ablenkung und Beschäftigung eines normalen Tagesablaufs. Das bedeutet nicht, dass man sich mit der Situation nicht mehr auseinandersetzen soll. Auch für die Gedanken an den Kollegen müssen Freiräume bleiben und Maßnahmen ergriffen werden."

Kann die psychische Belastung die körperlichen Leistungen beinträchtigen?

Mayer: "Es geht jetzt darum, aus dieser schwierigen Situation Kraft zu ziehen. Sich in einer besonderen Verantwortung zu erleben und für Boris hier Energien zu mobilisieren. Die Überzeugung, 'Boris würde es von uns fordern, zusammenzustehen und das Beste aus diesem Spiel herauszuholen', muss dominieren."

Haben Sie in Ihrer beruflichen Praxis vergleichbare Fälle erlebt?

Mayer: "Ja, leider schon mehrfach. Dieser Vorfall erinnert mich sehr an die tragische Erkrankung von Robert Müller, dem ehemaligen Torwart der Adler Mannheim. Auch damals hat man sich gemeinsam entschieden, ein Spiel auszutragen, und auch damals gab es sehr bewegende Szenen in der Arena. Von den Fans, auch von den Gegnern - alles für Robert. Das war auch damals eine sehr ergreifende und bewegende Atmosphäre, so wie zuletzt beim Spiel der TSG gegen Augsburg."

Sie arbeiten seit vielen Jahren mit Hans-Dieter Hermann, dem Psychologen der Fußball-Nationalmannschaft, zusammen. Er war nach Robert Enkes Suizid gefordert. Hat er Ihnen helfen können in ihrem Fall?

Mayer: "Natürlich, wir sind in ständigem Austausch und beraten uns gegenseitig. Auch in diesem Fall haben wir uns selbstverständlich beratschlagt."

Holen Sie sich derzeit auch externes Know how, etwa von Ärzten?

Mayer: "Ja, man ist selbstverständlich auch mit den Ärzten in Kontakt. Hier bewährt sich das seit Jahren bestehende und sehr vertrauensvolle Zusammenspiel mit dem Mannschaftsarzt und dem medizinischen Stab der TSG Hoffenheim. Aber man informiert sich natürlich auch darüber hinaus, um auf kommende Szenarien vorbereitet zu sein."

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