Ein Saisonauftakt mit lachen und weinen

Hoffenheim spielt gut, muss sich aber trotz einer Zwei-Tore-Führung mit einem 2:2 gegen Nürnberg begnügen

12.08.2013 UPDATE: 12.08.2013 16:29 Uhr 2 Minuten, 21 Sekunden
Torklau! Der Treffer von Kevin Volland (liegend) wird 'übersehen'.
Von Frank Enzenauer

Sinsheim. Nachspielzeit. Eckstoß. Letzte Chance. Verteidiger Stefan Thesker drängt es nach vorne. Doch bevor sich der junge Mann eigenmächtiges Handeln zutraut, nimmt er Blickkontakt mit seinem Trainer auf. Markus Gisdol wehrt ab, signalisiert mit Handzeichen, Thesker solle die Stellung halten und somit keinen finalen, verderblichen Konterangriff riskieren. Schließlich ist ein Pünktchen besser als gar nichts. Getreu dem Motto: Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach.

Zufrieden aber ist die TSG 1899 Hoffenheim mit diesem 2:2 (1:0) gegen den 1. FC Nürnberg nicht. "Wir ärgern uns", bekennt Kapitän Andreas Beck. Nicken in der Runde. "Wir dürfen das Spiel nicht aus der Hand geben", sagt Torhüter Koen Casteels. "Enttäuschend ist so was." Und der Trainer schwankt, wenige Minuten nach Abpfiff. "Mit einem lachenden und einem weinenden Auge", erklärt Gisdol, blicke er auf den Spielfilm zurück. Freude über "Vollgas-Fußball", Trübsal wegen der vermasselten Zwei-Tore-Führung. Konzentrationsschwächen erkennt Gisdol: "Vielleicht haben wir gedacht: Okay jetzt haben wir den Gegner da, wo wir ihn haben wollen." Am Boden. Und besiegt.

Der erste flotte Dreier in dieser Bundesliga-Saison ist fühlbar, als Hoffenheims neuem Mittelstürmer Anthony Modeste zeitig das 2:0 glückt (51. Minute). Hoffenheim drückt und dominiert. Hoffenheim spielt mit Herz und Leidenschaft. Hoffenheim grätscht und kämpft. Nach Anfangsnervosität - Vestergaard drischt unbedrängt den Ball ins Seitenaus, Rudy begeht einen Stoppfehler, Beck verliert die Balance bei einem Zweikampf, Trainer Gisdol hadert lauthals mit Schiedsrichterentscheidungen - und nachdem der flinke Nürnberger Daniel Ginczek den Pfosten trifft (19.), drehen die Blauen mit vereinten Kräften am Schwungrad und erzeugen Angriffswellen. An "unfassbar viele Torchancen" erinnert sich Käpt'n Beck auf dem Nachhauseweg, Kopf schüttelnd. Und keiner weiß, wie die Geschichte ausgegangen wäre, hätten nach David Abrahams 1:0 (35.) "Schiri" Thorsten Kinhöfer und seine Assistenten Detlef Scheppe und Christian Fischer nicht den Treffer von Kevin Volland unmittelbar vor der Halbzeit krass übersehen. Der Heber des Juniorennationalspielers über Club-Keeper Raphael Schäfer hinweg landet unzweifelhaft und deutlich hinter der Torlinie, wie Bilder auf den TV-Monitoren im Stadion sofort beweisen. Alle Aufregung nutzt freilich nichts - Tatsachenentscheidung. Zerá †knirscht gibt Kinhöfer hernach zu Protokoll: "So lange Menschen urteilen, passieren Fehler - und das war einer." Also werden hitzige Debatten über Video-Beweise, wie in anderen Sportarten üblich, und die Einführung eines Chips im Ball, wie vom Fußballweltverband Fifa erwogen, an diesem Sonnensamstag in Sinsheim geführt. Für Markus Gisdol ist der Fall klar: "Über den Chip im Ball braucht man nicht mehr diskutieren. Das ist einfach nur fair." Doch es ehrt die Hoffenheimer, dass sie die Schiedsrichter nicht zu Sündenböcken machen und keine billigen Ausreden für den Verlust zweier Punkte erfinden. Trotz des Torklaus sind sie zur Eigenkritik fähig. "Wir haben zehn Minuten das Tempo rausgenommen - und das wird in der Bundesliga gnadenlos bestraft", sagt Andreas Beck. "Du musst halt von der ersten bis zur letzten Minute hellwach und konzentriert sein", fügt Kevin Volland hinzu.

Nach Modestes 2:0 wirken eben die Hoffenheimer zu selbstgewiss. Rasch wendet sich das Blatt, ein Doppelschlag bereitet den Nürnbergern Vergnügen. 54. Minute: Markus Feulner setzt sich leichtfüßig gegen Thesker durch, flankt in die Strafraummitte, wo Mike Frantz erfolgreich den Kopf hinhält - 1:2. Nur drei Minuten später: Sebastian Rudy verliert den Ball im Mittelfeld, Ginczek gewinnt das Sprintduell gegen Abraham und schiebt ein - 2:2! Temporeich geht's weiter, die rund 26 000 Zuschauer in der bei weitem nicht ausverkauften Arena erleben eine unterhaltsame Partie mit reichlich Strafraumszenen. Am Ende bedanken sich beide Fan-Lager mit Applaus für das Dargebotene.

Freilich, einer verspürt mehr Verdruss als Genuss. Markus Gisdol wird gefragt, ob ihm denn so ein aufregendes 2:2-Remis nicht auch besser gefalle als "ein ätzender 1:0-Sieg." Der Trainer muss keine Sekunde überlegen - und sagt: "Ein ätzender 1:0-Sieg ist geil."

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