Ein Jahr Gisdol/Rosen: Die Hoffenheimer Baumeister

Markus Gisdol und Alexander Rosen dürfen heute auf ein ereignisreiches erstes Jahr zurückblicken

02.04.2014 UPDATE: 02.04.2014 06:00 Uhr 2 Minuten, 27 Sekunden
Seite an Seite: Markus Gisdol und Alexander Rosen, die sportliche TSG-Führung. Foto: dpa
Von Joachim Klaehn

Zuzenhausen. Am 2. April 2013, also genau heute vor einem Jahr, drückte Bundesligist TSG 1899 Hoffenheim auf den Resetknopf. Der damalige Manager Andreas Müller und sein Trainer-Kompagnon Marco Kurz wurden von ihren Aufgaben entbunden, stattdessen gab der Krisenklub aus dem Kraichgau Markus Gisdol und Alexander Rosen einen Vertrauensvorschuss. Eine radikale Zäsur war's, ein mutiger Schritt und eine Systemumstellung mit einigen Unwägbarkeiten. Denn das verunsicherte Team stand zu jenem Zeitpunkt nach einem 0:3 beim FC Schalke 04 und 27 Spieltagen mit 20 Punkten auf Rang 17, vor Greuther Fürth (15) und hinter dem FC Augsburg (24). Den rettenden Platz belegte Fortuna Düsseldorf (29) - "Hoffe" drohte also der schlimme, folgenschwere Absturz in die Zweite Liga.

Gisdol und Rosen waren in ihren jeweiligen Positionen Erstliga-Neulinge. Aber die Doppelspitze verband der Hoffenheimer Stallgeruch. Gisdol fungierte früher als Coach von "Hoffes" U 23-Talentschmiede, Rosen als Leiter der TSG-Nachwuchs-Akademie. Die DNA der Vereinsphilosophie gehörte demnach mit zu ihren fußballgenetischen Grundlagen.

Am 2. April 2014 lässt sich feststellen: Die Erbfehler eines zwischenzeitlich orientierungslosen und verschwenderischen Dorfklubs wurden erkannt, schonungslos analysiert und peu à peu beseitigt. Gerade in der vergangenen Englischen Woche hat das Hoffenheimer Jugendensemble den Beweis geliefert, dass sich Erlebnis- und Ergebnisfußball in die Balance bringen lässt. Durch das 3:2 in Leverkusen, das 3:1 gegen Hannover und vor allem das abwechslungsreiche 3:3 gegen die Stars des FC Bayern hat sich die TSG ungewohnt hohe Reputation erworben. Hoffenheim habe am Samstag "der Liga die Blaupause eines Spielplans" vorgestellt, "mit dem man die Bayern wenigstens etwas ärgern kann", schrieb die Süddeutsche Zeitung in ihrer Montagsausgabe. Vermag das Lob von Kritikern und Edelfedern größer auszufallen?

Es ist zuvorderst die Art und Weise des mutig ausgerichteten Gisdolschen Offensivfußballs, der zunehmend nationale Beachtung und Anerkennung findet. Nach dem Prestige- und Achtungserfolg in München sagte Gisdol: "Trotzdem sind die Bayern für uns unerreichbar." Diese Mischung aus Realitätssinn und Bodenständigkeit, behutsam verknüpft mit Selbstbewusstsein und sportlichen Zielen, kommt allseits gut an. "Wir müssen unsere eigene Geschichte schreiben", hat Gisdol im kicker an die ständige Feinjustierung des Stils erinnert, den er nach dem "Wunder von Dortmund" und der geschafften Relegation gegen den 1. FC Kaiserslautern seit Saisonbeginn wie ein zartes Pflänzchen pflegte.

Gisdol, 44, und Rosen, 34, sind angenehme und authentische Zeitgenossen. Doch wenn es nötig ist, dann schrecken sie beide nicht vor unbequemen Entscheidungen zurück. Siehe die Installierung der Trainingsgruppe 2 und deren namhafte Mitglieder. Topverdiener Tim Wiese und Co. ins Abseits zu stellen und zur Bedeutungslosigkeit zu verurteilen, war die krasseste Maßnahme. Es brachte dem Duo viel Gegenwind ein und barg ungeahnte Risiken mit Nebenwirkungen - in sportlicher, strategischer und auch juristischer Hinsicht. Der Arbeitsgerichtsprozess mit Eren Derdiyok, der sich zurück ins Training zu klagen versuchte, sollte die Spitze des Eisberges sein. Diese schmale Gratwanderung wurde, trotz ständiger Störfeuer, einigermaßen unfallfrei überstanden.

Ihre Courage und auch ihr scharfer Blick sowohl für Perspektivkräfte wie etwa Niklas Süle, Koen Casteels oder Jeremy Toljan als auch für Spätzünder, Typen und Teamspieler wie Kai Herdling, Sven Schipplock und Tobias Strobl wirkten sich positiv aufs Gesamtgefüge aus. Die Mischung stimmt - mit elf Firminos gewinnt man kein Scharmützel auf der anspruchsvollen Bundesliga-Spielwiese.

Die dringlichen Umbaumaßnahmen eines mit 47 Akteuren (!) aufgeblähten Hoffenheimer Kaders glich einer Sisyphus-Arbeit. "Eine Entscheidung jagte ja die nächste", bekannte Rosen gegenüber der RNZ. Für den jüngsten Bundesliga-Manager, offiziell Direktor Profifußball genannt, wurden die ersten 52 Wochen zu einem Stahlbad. Insgesamt 50 Vertragsangelegenheiten (Neuzugänge, Vertragsverlängerungen, Leihgaben, Abgänge) sind eine stolze Zahl. Rosens spezifische Herausforderung besteht darin, im Spannungsfeld zwischen Vereinsinteressen, Beratern und Profis nicht zerrieben zu werden.

Anlässlich des Jahrestages der Amtsübernahme werden Gisdol und Rosen demnächst von TSG-Boss Dietmar Hopp zum Abendessen eingeladen. Sie verfügen über gute Argumente, den Weg der Hoffenheimer weiter voranzutreiben. Die beiden Baumeister haben sich im knallharten Liga-Geschäft etabliert. Dies sollte der Nährboden für wohltuende Stabilität und Kontinuität im permanenten Entwicklungsprozess sein, der vor 365 Tagen einen kniffligen Anfang nahm.

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