Das Schweigen der Frustrierten in der "Trainingsgruppe 2"

Die teure, aber überflüssige Hoffenheimer "Trainingsgruppe 2"

08.08.2013 UPDATE: 08.08.2013 00:00 Uhr 2 Minuten, 32 Sekunden
Streckübung: Ex-Nationaltorhüter Tim Wiese erwacht schon mal aus seiner Lethargie. Foto: APF
Von Hartmut Scherzer

Sinsheim. Bullenhitze liegt über dem Dietmar-Hopp-Stadion oben am Waldrand des 3000-Seelendorfs Hoffenheim. Und Friedhofstille. Bis die sogenannte Trainingsgruppe 2 zum Schulsportplatz der Akademie hinunterschlendert. Irgendwie lustlos. Nicht nur wegen der 33 Grad schon am Vormittag. Prominente Profis sind dabei: Tim Wiese, Eren Derdiyok, Edson Braafheid, Matthieu Delpierre. Der Babbel-Ballast, den der Retter Markus Gisdol abgeworfen hat. Auch Tobias Weis und Matthias Jaissle zählen zu den Aussortierten.

Die mittlerweile "optimale Kadergröße" (Bernhard Peters, Direktor für Sport- und Nachwuchsförderung) trainiert für den Bundesliga-Auftakt am Samstag gegen den 1. FC Nürnberg gleichzeitig hingebungsvoll im Säbenerstraße-ähnlichen Dietmar-Hopp-Sportpark in Zuzenhausen, der Hoffenheimer Nachbargemeinde. Die absonderlichste Trainingsgemeinschaft der Liga, hoch bezahlt zwar, aber nun überflüssig, weiß nicht so recht, wofür sie übt. "Ich sage nichts, und keiner wird etwas sagen", verweigert Tim Wiese jegliche Auskunft über die grotesk anmutende Situation. "Ich will nicht", bestätigt Eren Derdiyok grimmig. Am 14. August spielt die Schweiz in seiner Heimatstadt Basel gegen Brasilien. Einen Ungebrauchten aus der Bundesliga kann auch Ottmar Hitzfeld, der Schweizer Auswahlcoach, nicht mehr gebrauchen. Der Frust steht allen im Gesicht.

Tim Wiese spricht nicht, aber seine Körpersprache verrät die Gefühlslage: die breiten Schultern hängen. Er steht mehr gelangweilt herum, als dass er engagiert Bälle abwehrt, die der vereinslose Kollege Alexander Stolz schießt und wirft. Wie Stolz haben auch die arbeitslosen Ex-Hoffenheimer Eichner, Ibertsberger und Kamavuaka gebeten, beim Klub der Beschäftigungslosen mittrainieren zu dürfen.

Schließlich liegt Wiese im Schatten, den Kopf in die Hand gestützt und schaut dem Passspiel der anderen zu. Der eigens für die Aussortierten eingestellte Fußballlehrer Sascha Koch ist hörbar motiviert und versucht, das aufgefüllte Dutzend zu motivieren: "Ein bisschen bewegen müssen wir uns schon heute Morgen." In Braafheid findet Koch einen lautstarken Gehilfen: "Mach mit, Matse. Weiter. Ja. Okay. Tobi, mach mit."

Es wird Wieses größte Anstrengung in den anderthalb Stunden bleiben, als er mit Alexander Stolz das Aluminiumgestänge aus dem Schatteneck zur Mittellinie in die Mittagssonne schleppt. Damit er sich ja nicht überheben muss, so scheint es, packt Derdiyok auf der Seite des Kraftkerls mit an. Sieben gegen Sechs auf einem Kleinfeld. 25 Minuten lang. Wiese erwacht aus seiner Lethargie, klatscht in die Handschuhe, lobt "schön Junge", fordert "tu doch mal weh" und ruft "nicht aufgeben". Da liegt seine Sechs bereits 0:4 hinten. Zum Schluss steht es 1:6. Derdiyok hat einen Foulelfmeter verwandelt.

Eine Viertelstunde später und fünf Kilometer weiter. Bernhard Peters, Alexander Rosen, Leiter Profifußball, und Medienchef Holger Tromp sitzen in einem Konferenzraum des gläsernen Geschäftsgebäudes im Zuzenhausener TSG-Zentrum. Die Herren sind bereit, über dieses heikle Thema zu reden, nicht aber über einzelne Spieler. Das abgeschobene Sextett dürfte einen geschätzten Marktwert von rund 15 Millionen Euro besitzen, ganz zu schweigen von der millionenschweren Belastung des Gehaltbudgets. Und jeder der Sechs besitzt noch einen Vertrag: Bis 2016 Wiese, Derdiyok, Weis, bis 2015 Jaissle, bis 2014 Braafheid, Delpierre. Bis zum Transferschluss am 31. August hat 1899 Hoffenheim Zeit, das teure Personal vom Nebenplatz und der Lohnliste herunter zu bekommen. "Es gibt einen Markt für diese Spieler", sagt Rosen. "Aber wir werden keine Wasserstandsmeldungen zu einzelnen Spielersituationen geben."

Die Trainingsgruppe 2 ist die Konsequenz eines "Überhangs von über vierzig Spielern", so Rosen, die Gisdol nach der Rettung vor dem Abstieg dann am 1. Juli - ohne Neuzugang - hätte um sich scharen müssen. Mit so einer großen Gruppe zu arbeiten, "macht keinen Sinn", sagt Führungs- und Trainingsexperte Peters, als Hockey-Bundestrainer zweimal Weltmeister. Eine Gruppe wurde für die neue Saison ausgewählt, eine für den Sommerschlussverkauf aussortiert. "Keine angenehme Situation für diese Spieler" räumt Rosen ein. Aber solange sie auf dem Hoffenheimer Hof verweilen, "haben wir die extreme Verantwortung, ihnen ein möglichst optimales Training zu bieten, anstatt sie nur zum Laufen in den Wald zu schicken". Sogar offizielle Testspiele werden arrangiert, offiziell angemeldet bei der DFL: TSG Hoffenheim gegen TSG Eintracht Plankstadt 8:0. Tim Wiese stand in den ersten 45 Minuten im Tor.

Manager Rosen hat irgendwo doch ein Zeitungszitat vom einstigen Nationaltorwart entdeckt "Ich bin sehr gut vorbereitet und könnte sofort spielen." Wo auch immer, nur nicht mehr in Hoffenheim.

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