1899-Trainer Gisdol: "Ich bin ein Fußballentwickler"

Im RNZ-Interview verrät der neue Trainer Markus Gisdol, wie er Hoffenheim wieder eine Identität geben möchte

12.04.2013 UPDATE: 12.04.2013 22:35 Uhr 4 Minuten, 48 Sekunden
Von Joachim Klaehn und Achim Wittich

Zuzenhausen. Markus Gisdol (43) ist seit 2. April Cheftrainer bei der TSG 1899 Hoffenheim. Der gebürtige Geislinger trainierte von 2009 bis 2011 die U 23 des Kraichgauklubs, war unter Ralf Rangnick (Hoffenheim, Schalke) und zuletzt unter Huub Stevens (Schalke) Assistent. Gemeinsam mit Frank Kaspari (42), Julian Nagelsmann (25) und Athletiktrainer Nicklas Dietrich (30) leitet er die sportlichen Geschicke. Gisdols Vertrag läuft bis 2016. Im RNZ-Interview erläutert der Schwabe seine Vorstellungen über den zukünftigen Fußball des nordbadischen Vereins.

Herr Gisdol, Sie sind jetzt seit zehn Tagen - wieder - in Hoffenheim. Was sind denn Ihre ersten Eindrücke?

Meine eigene Empfindung ist so: Ich bin zurück, ich bin wieder da! Das hat sich letzte Woche richtig gut angefühlt. Ich habe ja damals schon alles mitbekommen, etwa die Einweihung des Trainingszentrums in Zuzenhausen. Ich bin hier letzte Woche unglaublich warmherzig aufgenommen worden von den Mitarbeitern der TSG. Als Mannschaft müssen wir versuchen, einen Strich unter die Vergangenheit zu machen. 

Gegen Fortuna Düsseldorf hat's geklappt. Ein guter Einstand für Sie, der sicherlich allen hilft ...

Klar, unsere Arbeit als Trainerteam macht es leichter. Die Mannschaft braucht diese kleinen Erfolgserlebnisse, ich betrachte das wie Zwischenprüfungen. Wir versuchen, Erfolgserlebnisse auch in wohl dosierter Form im Training zu schaffen. 

Sieben Spieltage vor Saisonschluss ein Team zu übernehmen, ist etwas Spezielles. Was lässt sich überhaupt kurzfristig und inhaltlich ändern?

Eine komplette Saisonvorbereitung, bei der man alles von A bis Z durchplanen und berücksichtigen kann, ist natürlich etwas anderes. Wir versuchen, das Ganze möglichst einfach zu gestalten, müssen Kompromisse machen und diese auch so akzeptieren. Keinerlei Kompromisse dulde ich freilich, wie die Mannschaft miteinander umzugehen hat. Sie muss als Team funktionieren. Wenn beispielsweise ein Spieler im Training einen Ball verliert, dann müssen ihn zwei andere zurückerobern - und es gibt einen Klaps. Lauter solche Kleinigkeiten sind wichtig für den späteren Wettkampf. Die Jungs müssen sich ja nicht lieben, aber Respekt untereinander muss vorhanden sein. 

Welche Grundtugenden braucht die TSG im Klassenkampf?

Der Kampf um den Klassenerhalt steht nicht im Mittelpunkt meiner Überlegungen, sondern die Entwicklung der Mannschaft über diese Saison hinaus. Was ich grundsätzlich erwarte: Die Spieler müssen bereit sein, den nächsten Entwicklungsschritt zu machen. Diese Bereitschaft habe ich festgestellt. Vom Charakter jedes Einzelnen möchte ich mir erst einmal ein eigenes Bild verschaffen. Es bringt nichts, schnell und brutal über jemanden zu urteilen. 

Nach dem Aus für Heurelho Gomes setzen Sie auf Koen Casteels. Ein Risiko?

Ich erinnere nur ans Düsseldorf-Spiel. Als Gomes raus musste, war das eine immens schwierige Situation für uns. Die Spannung im Stadion war zu spüren - fast zum Zerreißen! Ich habe mich umgedreht, Koen Casteels gesehen und gemerkt, wie unglaublich ruhig und konzentriert der ist. Der Junge macht das, so mein erster Gedanke. Koen ist ein großes Torwart-Talent, wir müssen ihn fördern und unterstützen. Das ist ja generell unser Weg in Hoffenheim! 

Diese Woche wurde gemeldet, Sie würden, unabhängig von der Ligazugehörigkeit in der nächsten Saison, den personellen Schnitt wagen ...

Das werden wir sehen. Hoffenheim ist ein ganz spezielles Thema, was die Spielphilosophie anbetrifft. Ich glaube, wir haben eine gute Mannschaft und ich werde mir zusammen mit meinem Trainerteam alle Zeit nehmen, um genauestens zu überlegen, wer vom Spielerischen und vom Charakter her zu uns passt. 

Mit Ihrer Verpflichtung ist die Hoffnung verknüpft, dass die Durchlässigkeit zum Profikader erheblich verbessert wird. Wie soll das aussehen?

Positiv ist doch, dass wir jetzt viele große Talente in Hoffenheim haben. Der letzte Entwicklungsschritt aber, der zu den Profis, ist der schwerste und er ist sehr sensibel. Wir Trainer müssen klug sein, akribisch überlegen und mit Augenmaß handeln. Wir werden den Spielern weiterhin nichts schenken. Sie müssen das Niveau erreicht haben und vor allem auch mental bereit sein für die nächste Stufe. Die Spieler dürfen nicht zu schnell hochgeschoben werden. Auch wir werden vermutlich nicht immer richtig liegen, aber ich weiß, dass Alexander Rosen und ich all diese Rahmenbedingungen sehr gut einschätzen können. 

Zentral ist diesbezüglich die Selbstverantwortung der jungen Spieler ...

An dieser Schraube hat bereits Alexander Rosen gedreht. Der Profibereich ist die letzte Ausbildungsstufe. Ohne dass wir uns mit Barcelona vergleichen wollen, aber nehmen wir als Beispiele doch mal Messi oder Iniesta - die wollen nach wie vor jeden Tag etwas dazulernen. 

Helmut Groß gilt als Ihr Mentor, Ralf Rangnick hat Sie mitgeprägt.

Das stimmt. Ich hatte am Anfang meiner Trainerkarriere das Glück, auf Helmut Groß zu treffen. Helmut ist ein Fußballingenieur, der Mitentdecker der ballorientierten Raumordnung. Er war stets Ansprechpartner und Ratgeber für mich. Ralf konnte ich in der täglichen Arbeit und Umsetzung genau beobachten. Jeder der beiden hatte seinen Einfluss auf mich, doch ich habe auch meinen eigenen Kopf, ein klares Ziel, eine klare Vorstellung von Fußball. Ich bin immer offen geblieben für Neuheiten. 

Auffallend ist die Zunahme an taktischen Finessen.

Im taktischen Bereich hat sich unheimlich viel getan, bedingt durch die Leistungszentren und die bessere Ausbildung der Spieler. Doch am Ende des Tages musst du die Dinge immer einfach halten für die Spieler, einen klaren Plan haben. In der Defensive gibt es keine großartige Kreativität, sondern eine definierte Aufgabe. 

Wie wird die Identität von Hoffenheim wieder spürbarer, erkennbarer?

Wir dürfen nicht so viel nach hinten schauen. Bei uns im Klub ist alles niedergeschrieben. Die Idee von Fußball ist in meinem Kopf, doch wir dürfen die Dinge nicht zu hoch hängen. Wir wollen attraktiven, laufintensiven Fußball spielen, dafür steht Hoffenheim. Doch das dauert ... 

Sie waren schon dreimal in Hoffenheim im Gespräch, hatten Befürworter im Verein. Warum hat es erst jetzt mit dem TSG-Cheftrainer hingehauen?

Hoffenheim war nicht der Grund dafür, dass ich zwischenzeitlich andere Angebote abgelehnt hatte. Ich denke, die Zeit war jetzt erst reif, dass wir uns in Hoffenheim alle besinnen und wieder grundlegend auf unsere Tugenden Wert legen. Wir werden uns nicht über Sprüche definieren, sondern über den Fußball! 

Es ist Ihr erster Cheftrainerposten. Muss da der "erste Schuss" sitzen?

(Lacht) Schauen Sie, ich bin seit 15 Jahren Trainer, habe fast alle Ligen durchgemacht und mir wurde an keiner Stelle etwas geschenkt. Ich fühle mich in Hoffenheim angekommen, arbeite hier, als ob ich einen unbefristeten Vertrag hätte. Ich bin als Trainer kein Fußballabrufer, sondern ein Fußballentwickler. 

Hat die TSG genügend Geduld dafür?

Ich kann nur hart und konzentriert mit meiner Mannschaft arbeiten. Unser entscheidender Gradmesser ist, wie die Mannschaft Fußball spielen will und wird. 

1899 hat mit Alexander Rosen keinen Manager, sondern einen Leiter Profifußball als Nachfolger von Andreas Müller installiert. Eine Besonderheit?

Hoffenheim ist eben kein klassischer Bundesligist in meinen Augen. Aber als große Besonderheit würde ich diese Konstellation nicht bezeichnen. Jeder Verein muss den richtigen Weg für sich finden. Für mich ist Alexander die perfekte Besetzung, weil er ein absoluter Fachmann ist und keiner, der den eigenen Kopf weit zum Fenster rausstrecken will. Ob Manager, Sportdirektor, Leiter Lizenzspieler - die Begriffe sind nicht entscheidend. Er ist das Bindeglied zwischen Profiabteilung und Verein. 

Sie haben mit Frank Kaspari und Nicklas Dietrich zwei Vertraute an Ihrer Seite.

Richtig, aber ich habe insgesamt viele Vertraute in diesem Verein. Damals bei der U 23 sollten wir Meister werden, hatten auch intern schwere Aufgaben zu bewältigen und sind in dieser Zeit eng zusammengerückt. Angefangen bei den Jugendtrainern, über alle Mitarbeiter bis hin zu Bernhard Peters. Wir werden auch jetzt wieder einen steinigen Weg gehen müssen, doch in mir ist die tiefe Überzeugung, dass es funktionieren wird. Außerdem wären Frank Kaspari, Julian Nagelsmann oder Nicklas Dietrich ja nicht hier, wenn ich nicht hundertprozentig von ihren Fachkenntnissen überzeugt wäre. (Schmunzelt) Auch dies ist eine perfekte Konstellation!

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