Die Kraichgauer und ein Unglücksrabe hadern (plus Fotogalerie)
Die TSG Hoffenheim hadert mit dem 2:2 gegen den tapferen FC Augsburg - Unglücksrabe Kevin Vogt
Von Joachim Klaehn
Sinsheim. Es gibt Menschen, auf deren messerscharfe Erkenntnisse man sich hundertprozentig verlassen kann. Die Spezies Busfahrer, Hausmeister oder Zeugwart zählt dazu. In klaren Worten wird das Wichtigste treffend zusammengefasst. Auf einen solchen Vertreter berief sich am späten Samstagnachmittag Hoffenheims Cheftrainer Julian Nagelsmann: "Schon unser U 19-Busfahrer hat immer gesagt, wenn man seine Chancen nicht nutzt, wird es am Ende des Tages eng." 23:12 Torschüsse wies die Statistik nach 94 kampfbetonten Minuten zwischen der TSG 1899 Hoffenheim und dem FC Augsburg aus - doch aus Sicht der Kraichgau-Elf sprang eben "nur" ein 2:2 (0:0) heraus, das bei den Hausherren trotz einer imposanten Serie (seit mittlerweile 22 Liga-Heimspielen und 17 Monaten ist "Hoffe" ungeschlagen!) gemischte Gefühle hinterließ.
Hintergrund
So spielten sie
Baumann: Undankbares Spiel für den Keeper. Nichts zu halten bekommen und doch zweimal geschlagen.
Posch: Unauffälliges Bundesliga-Debüt mit wenigen kleinen Wacklern, fiel im Vergleich zu seinen
So spielten sie
Baumann: Undankbares Spiel für den Keeper. Nichts zu halten bekommen und doch zweimal geschlagen.
Posch: Unauffälliges Bundesliga-Debüt mit wenigen kleinen Wacklern, fiel im Vergleich zu seinen erfahrenen Nebenleuten in der Dreierkette etwas ab.
Hübner: Der Verteidiger war der gefährlichste Angreifer: 100-prozentige Chance vergeben, beim Tor dafür umso entschlossener.
Vogt: Solider Spielführer mit so mancher Ungenauigkeit bei langen Bällen.
Uth: Erst ungewohnt defensiv, dann gewohnt offensiv gut. Traumtor.
Zuber: Stark angefangen, nicht so stark nachgelassen.
Geiger: Wächst Schritt für Schritt in Rudys Fußstapfen, die allerdings riesengroß sind.
Amiri: Starkes Spiel ohne die ganz hellen Glanzlichter.
Demirbay: Nach seiner Pause bei weitem noch nicht der Alte.
Kramaric: Stets gefährlich, diesmal ohne Fortune im Abschluss.
Wagner: Versuchte viel, wovon wenig gelang.
Kadarabek: Mehr als ein belebendes Element nach seiner Einwechslung für Demirbay (59.).
Grillitsch: Kam für Amiri und legte Uths Kunstschuss nicht weniger kunstvoll auf, ansonsten aber kaum zu sehen.
Schulz: Übernahm in den Schlussminuten für Zuber. nb
"Wenn ich hier sitze und wir hätten nur eine Chance gehabt, dann würde ich mir ernsthaft Sorgen machen", bilanzierte Nagelsmann in der anschließenden Pressekonferenz, "wir haben leider zu oft vorbei geschossen." Relativ nachsichtig ging der megaehrgeizige Trainer mit seinen phasenweise schludrigen, phasenweise dominanten Schützlingen um, die sich nach den Toren von Benjamin Hübner (52.), Michael Gregoritsch (75.), Mark Uth (85.) und Unglücksrabe Kevin Vogt (90./Eigentor) mit dieser Punkteteilung begnügen mussten.
Kritischer als Nagelsmann bewerteten die TSG-Fankurve und die "Nagelsmänner" selbst den mittelprächtigen Auftritt. Nach der ersten Hälfte wurde die uninspirierte, mühsame Vorstellung gegen die kompakt-verteidigenden Fuggerstädter deutlich hörbar mit Pfiffen quittiert, womit sich Sturmtank Sandro Wagner und Innenverteidiger Hübner beim Hinausgehen nicht einverstanden zeigten. "Es ist jetzt keiner gestorben, aber bei dem Spielverlauf müssen wir einfach gewinnen", redete Wagner später Klartext, "wir müssen abgezockter werden." Die Mannschaft hätte zwar mehr als zwei Tore machen müssen, andererseits müssten auch mal zwei Treffer zum Dreier reichen …
In der Tat: Zweimal lagen die Hoffenheimer am Samstag vor 27.014 Zuschauern bei goldenem Herbstwetter in Führung. Und vor allem das Traumtor von "Mister Cool" Uth (TSG-Manger Alexander Rosen: "Mark Uth pur. In der Nähe des Sechzehners hat er eine unglaubliche Qualität") schien die Blauen spät, aber noch rechtzeitig auf die Siegesstraße zu führen. Doch in zwei, drei Szenen der erst ereignisarmen, dann turbulenten Partie passte schlichtweg das kollektive Verteidigungsverhalten der Nordbadener gegen die wackeren Stehaufmännchen aus Oberschwaben nicht. Schon bei Alfred Finnbogasons Pfostenknaller (38.) wirkte die TSG-Defensivabteilung desorientiert, Gregoritsch bekam vor seinem Präzisionswerk zum 1:1 zu viel Raum geschenkt, und auch beim Last-Minute-Ausgleich der Augsburger fehlte die letzte Aufmerksamkeit und Entschlossenheit im Verbund, so dass der Bauchabpraller von Abwehrchef Vogt noch das 2:2 für die frenetisch jubelnden Gäste ermöglichte. "Was uns dieses Jahr wirklich auszeichnet: Wir geben nie auf!", durfte FCA-Trainer Manuel Baum mit Fug und Recht behaupten.
Sehr zufrieden mit dem Remis war hinterher auch Augsburgs Manager Stefan Reuter. "Wir sind sehr gut beraten, uns nicht blenden zu lassen. Für uns zählt allein der Klassenerhalt", konstatierte der sympathische Franke aus Dinkelsbühl. Für den Weltmeister von 1990 war’s ein vorgezogenes Geburtstagsgeschenk, am heutigen Montag wird Reuter 51 Jahre alt. Ein überaus wertvoller Punkt für die Rot-Grün-Weißen, die eine Zirbelnuss in ihrem stolzen Wappen tragen. "Hoffenheim hat eine richtig gute Mannschaft", philosophierte Reuter im Bauch der Sinsheimer Arena, "Dennis Geiger macht das bereits richtig gut auf der Sechs, allerdings haben sie mit Sebastian Rudy einen super intelligenten Spieler verloren. Aber nicht von ungefähr stehen sie wieder oben."
Jede Menge Lob also für die "Nagelsmänner" aus berufenem Munde, denen unterdessen Leichtigkeit, Esprit und Dynamik etwas abhanden gekommen sind. Zum fünften Mal in dieser Saison verschenkte Hoffenheim wettbewerbsübergreifend eine Führung, trotz eines klaren Chancenplus und erheblichen Aufwands. "Wir müssen das kühler und klinischer ausführen", bemängelte Rosen die kleinen Unzulänglichkeiten und ärgerlichen Nuancen.
Das Gute daran: Der nächste Härtetest in puncto Cleverness folgt prompt. Am Donnerstag (21.05 Uhr) geht es in der Europa League gegen Istanbul Basaksehir FK. Der umstrittene Erdogan-Klub setzt auf einige Altmeister und abgezockte Typen wie etwa den Togoer Emmanuel Adebayor. "Ich hoffe, dass wir hier früher ein 2:0 nachlegen", so Nagelsmann kess vorausblickend. Jeder TSGler weiß: Alles andere als die ersten drei Punkte auf internationalem Level wäre unzureichend. Insbesondere das schleppende Spieltempo muss gegen die im Durchschnitt 30 Jahre alten Türken anders aussehen.
Vorgestern ging es mehr um Versäumnisse und Fehlerdynamik als um positive Gesamtwerte. "Hoffe" holte unter Nagelsmann den 100. Pluspunkt im 56. Spiel seit Mitte Februar 2016, Mark Uths Kunstschuss sollte zugleich das 100. Tor seit der Amtsübernahme des Oberbayern vom herzkranken Niederländer Huub Stevens sein. Ob sich der von Nagelsmann zitierte U 19-Busfahrer überhaupt noch an die letzte Heimniederlage erinnert? Sie geschah am 14. Mai 2016 gegen den FC Schalke 04 (1:4), nachdem der sensationelle Klassenverbleib gerade am Spieltag zuvor unter Dach und Fach gebracht worden war.
Inzwischen existiert in Hoffenheim und Umgebung ein gänzlich anderer Erwartungshorizont - hundertprozentig.