Heidelberger Forscherungsgruppe entdeckt "Smartphone-Proteine"

Eiweiße, die mehr als eine Funktion kennen - Bilden die am Heidelberger EMBL erforschten "Smartphone-Proteine" ein unbekanntes biologisches Prinzip ab?

12.08.2016 UPDATE: 13.08.2016 06:00 Uhr 1 Minute, 31 Sekunden

Matthias Hentze. Foto: EMBL

Von Birgit Sommer

Ein Smartphone besitzt mehr Funktionen als das alte Festnetztelefon. Die Natur hat längst Ähnliches erfunden wie die Technik. "Smartphone-Proteine" nennt Prof. Matthias Hentze deshalb, was er zusammen mit seiner Forschungsgruppe im Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) in Heidelberg entdeckt hat: Eiweiße (Proteine), die sowohl Gene regulieren als auch in Stoffwechselprozesse eingreifen. "Wir haben einen völlig neuen Aspekt bei Proteinen entdeckt", unterstreicht Hentze, der auch eine Professur für Molekulare Medizin an der Universität Heidelberg hat.

Was jetzt noch Grundlagenforschung ist, könnte in einigen Jahren möglicherweise zu einer neuen Klasse von Medikamenten führen. Denn solche Smartphone-Proteine finden sich beispielsweise im Zucker- und Fettstoffwechsel. US-Firmen haben sich die Idee aus Heidelberg auch schon angeschaut.

Grundsätzlich wollen die EMBL-Wissenschaftler um Hentze erforschen, warum der Mensch so ist, wie er ist. Dazu gehört der Blick auf das genetische Erbe von Mutter und Vater und auf die Stoffwechselvorgänge, die mit dem Lebensstil zusammenhängen. Beide wirken in jedem Augenblick zusammen, macht Hentze im RNZ-Gespräch deutlich. Beide sind in unterschiedlicher Weise gefragt, ob ein Mensch beispielsweise den Mount Everest besteigt oder sich auf den Malediven in den Sand legt.

In die Regulation von Genen hat man schon länger Einblick. Auch die Hentze-Gruppe machte 1992 eine damals einzigartige Entdeckung, deren Bedeutung die Forscher aber nicht so richtig verstanden: Das IRP1-Protein bindet an die RNA (Ribonukleinsäure; wichtige Substanz für die Umsetzung der Erbinformation) in der Zelle und steuert dort die Genregulation des Eisenstoffwechsels - wenn Eisen fehlt.

Wenn genügend Eisen vorhanden ist, produziert das Eiweiß stattdessen das Enzym Aconitase, das im Stoffwechsel die Umwandlung von Citrat in Isocitrat befördert. Zwei Aufgaben, die nichts miteinander zu tun haben. Ein bisher unbekanntes biologisches Prinzip? Rund 60 solcher Eiweiße mit Doppelfunktion kennt Hentze inzwischen. Die EMBL-Forscher wollen nun herausfinden, welche RNAs es sind, die an die Enzyme binden und was sie mit diesen machen. Könnte man zwei Enzyme zusammenbringen und sie "Fließbandarbeit" in einer Art Stoffwechselfabrik machen lassen? Oder die Enzyme umprogrammieren?

Bei der Forschung über "Smartphone-Proteine", (wissenschaftlich: enigmRBP ) arbeitet Prof. Matthias Hentze auch mit Laboren in Australien zusammen. Aus seiner privaten Vorliebe für den fünften Kontinent erwuchsen Kollaborationen, Beratungsaufträge und Vortragsreisen. So wurde auch die australische Wissenschaftslandschaft auf ihn aufmerksam. Der 56-Jährige ist jetzt der einzige Deutsche, der in die 1954 gegründete "Australian Academy of Science" berufen wurde, einer von 30 Wissenschaftlern weltweit, die als "corresponding members" ausgezeichnet wurden, darunter mehrere Nobelpreisträger.