Last-Minute-Ausgleich in Köln

In der Rolle des Spielverderbers

Die TSG Hoffenheim schreibt beim 1. FC Köln nebenbei Klubgeschichte und nimmt den Zweikampf mit dem BVB an

23.04.2017 UPDATE: 24.04.2017 06:00 Uhr 2 Minuten, 33 Sekunden

Ekstase pur: Last-Minute-Torschütze Kerem Demirbay feiert mit seinen TSG-Teamkollegen ausgelassen an der Eckfahne. Foto: Imago

Von Joachim Klaehn

Köln. Es war am späten Freitagabend im Hexenkessel Rheinenergie-Stadion urplötzlich mucksmäuschenstill geworden. Von einem Moment auf den anderen herrschte Schockstarre beim FC Kölle, während die Hoffenheimer Profis eine ekstatische Jubeltraube bildeten und es auch bei den "Bankangestellten" der TSG 1899, angefangen von Cheftrainer Julian Nagelsmann bis hin zu Busfahrer Matthias "Matze" Bauer, kein Halten mehr gab. Kerem Demirbay (90.+3) war nach einem Patzer von Yuya Osako der Last-Minute-Ausgleich gelungen. Der Kölner Express titelte in seiner Samstagsausgabe: "Mist! FC verdaddelt Sieg in der Nachspielzeit".

Hintergrund

Hansi Flick, ehemaliger Sportdirektor beim DFB: "Ein verdienter Sieg für den SV Sandhausen. Der Knackpunkt war der Fehler von KSC-Torwart Dirk Orlishausen. Danach war Sandhausen die bessere und vor allem effektivere Mannschaft. Es war ein großer Schritt Richtung

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Hansi Flick, ehemaliger Sportdirektor beim DFB: "Ein verdienter Sieg für den SV Sandhausen. Der Knackpunkt war der Fehler von KSC-Torwart Dirk Orlishausen. Danach war Sandhausen die bessere und vor allem effektivere Mannschaft. Es war ein großer Schritt Richtung Klassenerhalt."

Ronny Zimmermann, DFB-Vize und Präsident des badischen Fußballverbandes: "Die zwei schnellen Tore zum 2:0 haben dem KSC den Zahn gezogen. Der mutmaßliche Abstieg kommt zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Die Dritte Liga ist stärker geworden, es wird schwer sein, wieder hoch zu kommen. Ich hätte nichts dagegen, wenn wir in der nächsten Runde ein Derby zwischen Waldhof und dem KSC erleben."

Georg Kletti, Bürgermeister von Sandhausen: "Jetzt spricht alles dafür, dass Sandhausen weiter die kleinste Zweitliga-Gemeinde bleibt."

Denis Linsmayer, SVS-Spieler: "Wenn man sieht, wie die Teams punkten, die hinter uns stehen, dann müssen wir in dieser Saison die 40 Punkte-Marke knacken."

Otmar Schork, SVS-Geschäftsführer: "Heute haben wir mal von einem Fehler der gegnerischen Mannschaft profitiert. Danach hat man gemerkt, dass das Selbstvertrauen steigt, wir haben schöne Tore und Chancen herausgespielt, waren kompakt, gallig und haben gut verteidigt." ber/wob

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Der Deutsch-Türke Demirbay beschrieb hinterher in den Katakomben jene Szene, die "Hoffe" bereits vier Spieltage vor dem Saisonende in internationale Sphären hievte. "Ich hatte keine Kraft mehr, um das Ding reinzuhämmern", berichtete der Hoffenheimer Held lächelnd. Er habe einfach spekuliert und sei intuitiv mitgelaufen. "Dann kam die ganze Mannschaft angerannt und hat mir gratuliert. Das ist ein unbeschreibliches Gefühl", so der feine Techniker aus Gelsenkirchen-Buer, der sich zu einer festen Größe im TSG-Kollektiv entwickelt hat. Nagelsmann lobte seinen Mittelfeldmann ausdrücklich: "Kerem ist ganz bescheiden und sehr wissbegierig. Ich habe einen guten Draht zu ihm. Er ist mit Talent gesegnet - ein paar Vereine beneiden uns um ihn."

Durch den präzisen Flachschuss von Demirbay egalisierte die Kraichgau-Elf die 1:0-Führung von Leonardo Bittencourt (58.) und setzte das erste saisonale i-Tüpfelchen. Denn das 1:1 (0:0) in der Domstadt reichte letztlich, um den historischen Einzug in den Europapokal perfekt zu machen. Doch Demirbay gab schon mal die weitere Stoßrichtung im Hinblick auf die Partien gegen Frankfurt, Dortmund, Bremen und Augsburg vor: "Wir haben heute Geschichte geschrieben. Aber wir können eine noch größere Geschichte schreiben."

In der Tat. Als es mit Nagelsmann abseits des Trubels eine Stunde nach dem Abpfiff in die feinsäuberliche Analyse ging, wirkte der Trainer vor allem ehrgeizig und fokussiert. Europa ist kein Grund zum Ausflippen, dazu sind die Verlockungen der Champions League offenbar zu groß. Nagelsmann: "Es ist eine schöne Sache, doch zufrieden kann ich erst am 34. Spieltag sein. Natürlich werden wir versuchen, unter den ersten Vier zu bleiben."

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Nach dem 3:2 des BVB in Gladbach läuft alles auf ein Duell zwischen Dortmund und Hoffenheim hinaus - der Nahkampf um Rang drei verspricht Hochspannung, zumal die Kontrahenten am 6. Mai direkt aufeinander treffen. Unzweifelhaft der bevorstehende Höhepunkt einer aus Hoffenheimer Sicht atemberaubenden Spielzeit, die nunmehr im "Finale furioso" getoppt werden kann.

Das Besondere am eingeschlagenen Weg ist gerade Sportdirektor Alexander Rosen bewusst. "Es ist die beste Saison der Klubgeschichte, der beste Platz der Klubgeschichte", frohlockte Rosen. Die "Nagelsmänner" haben im Rheinland mit den Professor-Rangnick-Schülern aus dem Erstliga-Premierenjahr 2008/09 nach Punkten (55) gleichgezogen. Bereits am kommenden Sonntag (17.30 Uhr) kann der Klubrekord im Heimspiel gegen Eintracht Frankfurt fallen.

Sie hatten sich im Flutlichtmatch am Freitag lange, lange Zeit schwer getan. Die Gäste verfügten zwar über mehr Ballbesitz, doch die "Geißböcke" agierten über zwei Drittel der kämpferischen Begegnung couragierter und griffiger. "Wir waren nicht clever und sind nicht in die Räume gekommen, in die wir wollten", bemängelte Nagelsmann die mäßige Spielintelligenz gegen die unbequemen, beherzten Kölner, die es allerdings vor 49.600 Zuschauern in Müngersdorf versäumten, den Deckel auf den greifbar nahen Heimerfolg drauf zu setzen.

"Effzeh"-Trainerunikum Peter Stöger nahm trotz aller Enttäuschung sein Team in Schutz. "Das Gefühl ist zweigeteilt - das Gegentor ist bitter, mit allem anderen bin ich zufrieden", sagte der Österreicher und zollte gleichzeitig dem Hoffenheimer Leistungsvermögen Respekt, "die TSG hat eine außergewöhnlich gute Mannschaft."

Auch die Facetten Mentalität und Spielglück gehören zu diesem Prozess. Gerade in der Schlussphase wehrten sich die Blauen vehement, Niklas Süle luchste Unglücksrabe Osako den Ball ab, Demirbay war zur Stelle und verwertete kühl. Irgendwie passte es zum Verlauf, dass der Nummer 13 des 1. FC Köln (Osako) ein Missgeschick passierte, wohingegen "Hoffes" 13 (Demirbay) die Kugel versenkte.

In der Rolle des Spielverderbers sind die Hoffenheimer heuer von der Konkurrenz zu beachten. Nicht ausgeschlossen, dass sie auf leisen Sohlen in die Königsklasse marschieren. Und wetten, dass dies wiederum bei den Schwarz-Gelben aus Dortmund einen Tsunami emotionaler Art auslösen würde …

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