Hooligans bei Hoffenheim? "Wir haben keine Tradition mit Fangewalt"

Heiko Walkenhorst, Sprecher des Hoffenheimer Fanverbandes, wundert sich über die Härte der Ingolstädter Polizei, die 35 TSG-Anhänger vorläufig festnahm

05.10.2016 UPDATE: 06.10.2016 06:00 Uhr 3 Minuten, 43 Sekunden

Akt der Solidarität: Die Zaunfahne der TSG-Fans hing in Ingolstadt verkehrt herum. Foto: APF

Von Joachim Klaehn

Heidelberg. Heiko Walkenhorst (52, Foto: privat) ist Mitbegründer und Vorsitzender des Akademikerfanclubs 1899 Hoffenheim Rhein-Neckar Heidelberg 2007 e.V. und außerdem Sprecher des übergeordneten Fanverbandes. Am Rande des letzten Bundesliga-Spiels zwischen dem FC Ingolstadt und der TSG Hoffenheim (1:2) wurden 35 "Hoffe"-Anhänger von der Ingolstädter Polizei und einem Unterstützungskommando (USK) wegen Verdachts des Landfriedensbruchs in Gewahrsam genommen. Sie verpassten dadurch den ersten Auswärtsdreier der Nagelsmänner. Von Vereinsseite der Kraichgauer wollte niemand etwas Offizielles sagen, auch nicht Michael Pisot, der führende Fanbeauftragte der TSG 1899. Man verwies seitens der Presseabteilung auf die laufenden Ermittlungen der Polizei.

Die RNZ hakte bei Walkenhorst, Inhaber einer Text- und Werbeagentur, nach und nahm die widersprüchlich dargestellte Episode aus Ingolstadt zum Anlass, die Hoffenheimer Fanszene etwas näher zu beleuchten.

Herr Walkenhorst, in einer Pressemitteilung der Ingolstädter Polizei steht, es habe gewaltsuchende Hoffenheimer Fans gegeben, die sich maskiert hätten, um auf Schanzer Ultras in der Innenstadt loszugehen. In einem Schreiben der Fangruppierung 11hoch3 heißt es hingegen, die bayerische Polizei habe überreagiert und 35 Personen über acht Stunden lang in Gewahrsam genommen. Was stimmt denn nun? Liegt die Wahrheit in der Mitte?

Ich weiß nur, dass ich nichts weiß (lacht). Es ist so, dass es zwei Positionen gibt, die sich teilweise sogar decken. In der Mitteilung von 11hoch3 ist von keiner Vermummung die Rede, sondern von einer Einkesselung durch die Einsatzkräfte. Sicherlich spannend, dass so etwas ausgerechnet in Bayern passiert. Wichtig zu wissen ist in diesem Zusammenhang, dass vor der Partie ein offizieller Fanbrief der Ingolstädter Polizei verteilt wurde, in dem diese ankündigte, konsequent einzuschreiten. Natürlich sind auch Hoffenheimer Fans keine Chorknaben, aber in aller Regel sind sie relativ brav und nicht gewaltbereit. Ich verstehe das wirklich nicht.

Nach übereinstimmenden Berichten ist es zu keinen Personenschäden gekommen …

Es ist ja schön, dass die Polizei nicht erst nach Schäden eingreift und präventiv handelt. Doch es geht letztendlich um die Verhältnismäßigkeit der Mittel. De facto ist ja nichts passiert, in diesem Punkt decken sich beide Schilderungen. Der Begriff Gewaltbereitschaft löst grundsätzlich gewisse Assoziationsketten aus. Man muss sich schon fragen: Wie definiert sich Gewalt und Gewaltbereitschaft? Und woran mache ich das fest?

Wie ist die Hoffenheimer Fanszene aufgestellt bzw. organisiert?

Es existieren im Wesentlichen drei Gruppierungen: Fanverband, 11hoch3 und eine Gruppe der Nichtorganisierten. Diejenigen vom Fanverband feuern an, singen mit und erfreuen sich am eigenen Bundesliga-Team. 11hoch3 hat den Leitspruch ‚Die Kurve verbindet‘. Sie sind die Lauteren und Aktiveren, stellen auch den Capo, also den Anheizer, und intonieren in akustisch schneller vernehmbaren Art und Weise. Auch was geplante Choreografien anbetrifft, arbeiten Fanverband und 11hoch3 sehr eng zusammen.

Hat "Hoffe" also ganz normale Fans?

Wir haben jedenfalls keine Tradition mit Fangewalt. Hoffenheimer Fans sind noch nirgendwo unangenehm aufgefallen! Man hat sich eher über uns lustig gemacht, weil wir relativ wenige sind. Den Akademikerfanclub Heidelberg haben wir zum Beispiel gegen die Selbstproletarisierung gegründet, also eher einen Witz daraus gemacht. Ja, zu Hoffenheim gehören durchaus ganz normale Leute. Und ein erhöhtes Aggressionspotenzial ist bestimmt nicht festzustellen.

Gibt es überhaupt sogenannte Ultras?

Auch hier muss man mit der Begrifflichkeit sehr sorgfältig umgehen: Wer oder was ist ein Ultra? Es gibt sicherlich ein paar wenige, die sich selbst so bezeichnen würden. Wir müssen zwischen Ultras und Hooligans differenzieren. Die Ultra-Bewegung hat ihre Wurzeln in Italien. Bei ihnen stand die Idee der Inszenierung im Vordergrund. Es sollte eine spaßige, fetzige Unterstützung ihrer Lieblingsmannschaft sein. Inzwischen werden die beiden Begriffe Ultras und Hooligans leider aus Unkenntnis vermischt. Der Hooligan ist auf Randale oder gar gewalttätige Übergriffe aus. In Hoffenheim gibt es mit Sicherheit keine Hooligans, sondern allenfalls eine Handvoll verhaltensauffälliger Personen, die hin und wieder Stress in der Kurve machen.

Wie würden Sie die Beziehung zwischen Fans und der TSG einordnen?

Eigentlich ist es gut. Der Widerstand von außen führt vielleicht auch zu einem engeren Zusammenschluss. Wir haben keine Fanproblematik wie etwa in Frankfurt, Köln oder Dortmund. Da ist es von Vorteil, dass wir klein sind (lacht). Es geht harmonisch zu - kurze Dienstwege, flache Hierarchien, alles ganz direkt.

Bei der Auswärtsfahrt nach Mainz wurden TSG-Fans Opfer einer widerlichen Fäkalienattacke von einer Mannheimer Brücke aus. Was ist denn aus den polizeilichen Ermittlungen geworden?

Einige Leute haben der ermittelnden Wasserschutzpolizei Bildmaterial zur Verfügung gestellt. Einen neuen Sachstand haben wir freilich noch nicht. Die Attacke war eklig und gesundheitsgefährdend. Mehr noch: Bei den Bottichwürfen wurden Menschenleben aufs Spiel gesetzt, das ist genauso hirnrissig, wie Steine von einer Autobahnbrücke aus zu werfen.

Eine neue Entscheidung des Bundesgerichtshofes impliziert, dass sich die Vereine Geldstrafen, die ihnen seitens des DFB aufgebrummt werden, von den Verursachern, also von vermeintlichen Fans, zurückholen können. Wie wurde dies von den TSG-Anhängern aufgenommen?

Nicht negativ, denn es betrifft uns ja nicht. Eigentlich ist es ja nur recht und billig, die Verursacher zur Rechenschaft zu ziehen. Das sagt einem der gesunde Menschenverstand. Inwieweit der DFB-Strafenkatalog juristisch abgefedert ist, kann ich nicht beurteilen. Denn eigentlich wird die erwischte Person doppelt sanktioniert: Sie wird nämlich für die Straftat zur Verantwortung gezogen und darüber hinaus in Regress genommen.

Haben sich aus Hoffenheimer Perspektive im Binnenverhältnis zwischen Fans, Vereinen, Ordnungspersonal und Polizei die Grenzen verhärtet oder hat sich die Lage bundesweit entspannt?

Per se ist es ganz entspannt geworden. Ob man als TSG-Fan angemacht wird oder nicht, hängt vielleicht auch mit der eigenen Toleranzgrenze zusammen. Es gibt Einzelfälle, die häufig aber sehr subjektiv sind und mitunter der eigenen Profilierung dienen. Ich würde es so formulieren: Man hat sich in der Bundesliga an uns Hoffenheimern abgearbeitet, die Gags der anderen Fangruppen sind ausgelutscht. Dazu mag der Tabellenplatz in den letzten Jahren beigetragen haben - die Konkurrenz sieht uns nicht mehr als die ganz große, sportliche Gefahr an. Wir Hoffenheimer - womöglich hat dies auch mit der öffentlichen Zurückhaltung eines Dietmar Hopp zu tun - halten lieber die Klappe und lassen die Zeit für uns arbeiten. Und das offensichtlich mit Erfolg.

Heiko Walkenhorst

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