Flitzer im Alumantel: Mit dem Lotus Cortina zurück in die 1960er

In den 1960er Jahren war der Lotus Cortina ein echter Renner in Großbritannien - bei Tourenwagen-Wettkämpfen, aber auch bei Autofahrern, die es auch auf der Straße etwas rasanter haben wollten.

11.10.2016 UPDATE: 11.10.2016 15:07 Uhr 2 Minuten, 51 Sekunden

ypisch britisches Understatement: Dem Lotus Cortina sieht man seine satten Fahrleistungen von außen nicht an. Foto: Stefan Weißenborn

Berlin/London. (dpa)  Wer in den 1960er Jahren mal in England war, kennt den Wagen - und kennt ihn womöglich auch nicht. Denn dieses Auto ist kein gewöhnlicher Ford Cortina, wie er in jener Zeit auf den Straßen der Britischen Inseln in großer Zahl anzutreffen war. Der Lotus Cortina sieht dem damals weit verbreiteten Grundmodell mit seinen runden Rückleuchten und den angedeuteten Heckflossen zwar zum Verwechseln ähnlich. Zugleich war er für Großbritannien in den 1960ern aber auch so etwas wie der Golf GTI im Deutschland der 1980er Jahre: das ultimative Sportgerät für den gewöhnlichen Autofahrer.

Der Lotus Cortina war ein Auto, das bis auf Details normal aussah, auf der Straße aufgrund von mehr Kraft unter der Haube aber einen entscheidenden Unterschied machen konnte. Er war Understatement. "Damals wollte den "familiy racer" jeder haben", sagt Michael Gross, Oldtimerhändler in Berlin und Fachmann in Sachen Lotus Cortina MkI, wie die erste Generation genannt wurde. Gross kennt den Markt dieser Fahrzeuge und weiß, dass es im Grunde keinen gibt: "Vom Linkslenker wurden nur 180 Stück gebaut." Entsprechend ist der gesteigerte Seltenheitswert im Vergleich zu den 1500 rechtsgelenkten Exemplaren, die in den Jahren 1963 und 1966 ebenfalls gebaut wurden.

Das Auto, mit dem Gross selbst heute unterwegs ist, stammt von 1966 und befindet sich in einem beneidenswerten Zustand: "Alle Teile sind zu 100 Prozent original", sagt der Experte. Im Lotus Cortina Registry sei der Wagen gelistet, was ihm Authentizität bescheinigt. Der Oldtimer-Freund hat es sich zur Aufgabe gemacht, weitere noch erhaltene Exemplare des Autos aufzuspüren, das es ohne Fords Motorsportambitionen in England gar nicht gegeben hätte. Denn Ford wollte in der Gruppe 2 mitmischen, einer damals populären Tourenwagenklasse, in der auch hubraumstarke Jaguar oder potente Ford Galaxies unterwegs waren. Und um teilnehmen zu können, mussten mindestens 1000 Einheiten des Autos gebaut werden.

Ford trat an den Gründer der Sportwagenmarke Lotus, Colin Chapman, heran, und so kam statt des mageren 1,2-Liter-Motors, der den Ford Cortina anfangs anschob, ein Twincam mit zwei oben liegenden Nockenwellen aus dem Hause Lotus unters Blech, der mit 106 PS für die Zeit satte Fahrleistungen ermöglichte und bis zu 174 km/h schnell war. Für den Sporteinsatz wurden weitere Modifikationen vorgenommen. So musste das Auto leichter werden, Türen und Motorhaube waren aus Aluminium statt aus Stahl gefertigt. Standfestere Bremsen wurden eingebaut und anstatt der Blattfedern an der Hinterachse Längslenker. Ein Sportfahrwerk war ein Muss. Das Getriebe kam vom Lotus Elan. Und für mehr Kontrolle durch die Piloten bekam das Armaturenbrett Drehzahlmesser, Öldruck-, Wassertemperatur- und Benzinanzeige.

Rennfahrer wie Jack Sears oder Formel-1-Star Jim Clark nahmen hinter dem Steuer Platz und jagten das Leichtgewicht von kaum mehr als 700 Kilogramm über die Pisten. Auch der Motorsport-Allrounder Jackie Ickx machte sich hinter dem dünnen Drei-Speichen-Holzlenkrad des Cortina an die Arbeit. Aber auch ein "alter Herr aus York" fuhr ihn - der Sammler, von dem Michael Gross sein Auto hat. Ausgeliefert wurde der Cortina 1966 nach New York, im Jahr 2000 holte der Mann aus York das Fahrzeug zurück nach England. Gross kaufte es vom Fleck weg und fuhr damit bis nach Deutschland - mit einem demonstrativen Bremsmanöver zwischendurch: "Zurückgefahren bin ich über London. Auf der Tower Bridge habe ich zwei Streifen hingelegt, das musste ich machen."

Mit dem Lotus Cortina unterwegs zu sein, ist wie eine Reise zurück in die Zeit vor ESP und ABS. In Kurven reagiert das Heck nervös, ein Drift wäre einfach einzuleiten. Die Lenkung hat Spiel, trotzdem ist der Kontakt zur Straße da. Und wer den einst hochgelobten Twincam fordert, bekommt das mit einem schönen Fiepen der Ansaugstutzen und einer für heutige Verhältnisse gar nicht so heftigen Beschleunigung quittiert, die allerdings ab rund 5000 Umdrehungen pro Minute noch einmal einen satten Schub erhält. Aber das Tempo spürt man noch. "160 fühlen sich an wie 250 in einem Auto von heute", sagt Gross.

Weltweit suche er nach Lotus-Cortina-Exemplaren, sagt Gross. Bislang drei Linkslenker habe er ausfindig gemacht. "Ich habe schon mal einen Händler in Lissabon entlarvt. Er hat eine Fälschung für 95 000 Euro angeboten", sagt Gross. Woran er die Fälschungen erkennt, will er nicht verraten: "Das soll ja nicht jeder Fälscher wissen.".

Auch Ronald Biggs soll nach dem großen Eisenbahn-Postraub im Jahr 1963 einen Lotus Cortina als Fluchtwagen benutzt haben. Die Londoner Polizei habe dann einige Lotus Cortina als Einsatzwagen geordert, sagt Gross - um auf automobiler Augenhöhe mit den Gangstern zu sein. Manchmal ist auch Gross sehr schnell unterwegs: "Wenn ich bei hohem Tempo auf Landstraßen zum Überholen ansetze, schauen die Leute blöd." In solchen Momenten gibt der Lotus Cortina sein Understatement preis.